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Lange schon hat man nichts mehr von Kitty Winter und ihrer Band Gipsy Nova gehört, noch länger nichts mehr von Dunja Blum. Beide sind sie Sängerinnen und Sintezi. Eine rare Spezies auf der ansonsten mit Musikern geradezu überquellenden Szene der Sinti-Musik. Kitty Winter ging dabei, der Name ihrer Band signalisierte es bereits, neue Wege: Sie verwaltete oder nachempfand nicht das Swing-Erbe Django Reinhardts, sondern modelierte ihre Wurzeln mit dem Fusion-Jazz der Marke Weather Report unter anderem Dabei gelang es ihr, eine durchaus eigene Handschrift zu entwerfen. Leider ohne Nachhaltigkeit. Dunja Blum, eine Schwester des Geigers Zipflo Reinhardt, blieb mit der Interpretation von Swingstandards und Zigeunerliedern etwas traditioneller orientiert. Seit dem Rückzug der beiden sind die Bühnen von Sintisängerinnen verwaist. Jetzt meldet sich eine neue Stimme zu Wort, besser zu Klang: Dotschy Reinhardt, 1975 bei Ravensburg geboren und seit 2003 in Berlin lebend.
Bevorzugter Gesangsstil der Sinti, sofern nicht im traditionellen, volksmusikalischen Stil singend, ist der der smarten Show- und Nightclub-Crooner Frank Sinatra, Sammy Davis Jr., Tony Bennett, Andy Williams beziehungsweise ihre weiblichen Kolleginnen Liza Minelli oder Barbara Streisand: schmachtend, gefühlvolle Diktion gebettet in eine wohldosierte, popularmusikalisch gezähmte Swingjazz-Kulisse. Damit erfolgt der Zugriff auf einen Vokalstil, dessen Ursprünge aus derjenigen Musikära – dem Swingjazz – stammen, aus welcher auch die in der Tradition Django Reinhardts stehende Instrumentalmusik herrührt. Dotschy Reinhardt betritt die deutsche Musikbühne mit eigener moderner Musik, aber auch mit der Liebe zur Swingtradition des Django Reinhardt. Ihr Schallplattendebut (Sprinkled Eyes, 2006, Galileo) enthält nicht weniger als acht eigene Titel, doch zu ihrem Repertoire gehören auch große Django-Standards, die sie selbstbewusst mit einem eigenen Text versehen hat (zum Beispiel Minor Swing, Troublant Bolero). Mit luftig-perlendem Fender-Rhodes-Piano und mäandernder Querflöte klingt ihr Ensemble in trendigem Siebzigerjahre-Renaissance-Sound. Ihre Altstimme hat ein weiches Timbre, intoniert klar, geschmeidig und sicher. Um Stimmungen und Textinhalte nuancierter und kontrastvoller zu zeichnen, bedürfen Modulationsfähigkeit und Ausdrucksbreite weiterer Entwicklung. Als Sängerin, als Songwriterin wie als Textschreiberin zeigt die junge Sinteza beachtliches Talent. Gerhard Litterst: Ist Dotschy Ihr „richtiger“ Name oder ein Kosename? Dotschy Reinhardt: Dotschy ist mein Kosename in Romanes. Mein amtlicher Name, gewissermaßen für Geburtsurkunde und Paß, ist Michaela. So nennt mich allerdings niemand. Es ist Tradition bei den Sinti, jedem Kind einen Kosenamen in Romanes zu geben, der sodann auch im Erwachsenenalter ein Leben lang beibehalten bleibt. Litterst: Von welchen Sängerinnen fühlten Sie sich in Ihrem bisherigen Werdegang inspiriert? Reinhardt: Von Sängerinnen eigentlich so gut wie überhaupt nicht! Ella war die Größte, klar. Sie war nicht von dieser Welt, einfach unerreichbar. Doch sie war für mich auch immer wie eine „Swingmaschine“. Bei einer Sängerin kommt es mir darauf an, dass Stimme, Gesang, ja ihre gesamte Erscheinung eine gute Portion Sex Appeal hat, eine weibliche Note, Wärme, gewissermaßen eine Mischung aus Marilyn Monroe und Billie Holiday. Es gefällt mir auch nicht, wenn eine Sängerin zuviel scattet. Es gab zwei weniger bekannte Sängerinnen, die diese Attribute hatten und die mir deshalb sehr gut gefielen: Da ist zum einen Julie London, die auch Schauspielerin war. Ihre erste Plattenveröffentlichung war „Cry Me A River“ und wurde gleich ein großer Hit. Zum anderen ist dies Pat Morressey, die zwei Platten mit Jazzstandards veröffentlicht hat, bei denen sie vom Charlie-Barnet-Orchester begleitet wurde. Sie scattete beziehungsweise improvisierte nicht soviel. Es war mein Onkel Bobby Falta, der mich auf sie aufmerksam gemacht hat. Ihre zwei Platten, wahre Raritäten, werden bei uns wie ein Familienschatz gehütet. Ich habe mich immer mehr von Sängern faszinieren lassen, allen voran Frank Sinatra und Tony Bennett. Dieser Crooner-Stil gefällt mir. Litterst: Würden Sie meinen Eindruck teilen, dass es seit Kitty Winter und Dunja Blum, keine Sinteza-Sängerin mehr gegeben hat, die nachhaltig auf der Szene in Erscheinung getreten ist? So gesehen, erscheinen Sie als die neue große Hoffnung der Sinti-Musikszene. Reinhardt: Ja, ersteres stimmt, letzteres müssen andere beurteilen. Kitty ist ja leider nicht mehr aktiv. Sie hatte vor einigen Jahren noch einmal einen Riesenhit in Asien, was sie noch einmal angeregt hatte, weiterzumachen, doch zwischenzeitlich hat sie sich vom Musikleben zurückgezogen. Dies gilt leider auch für Dunja Blum. Litterst: In welchem musikalischen Umfeld sind Sie aufgewachsen? Sind ihre Eltern Musiker? Reinhardt: Nein, aber musikbegeistert. Meine Mutter hat neun Geschwister, mein Vater einen Bruder. Vincence Pfisterer, war einer von ihnen, er spielte Gitarre. Mein Großvater war Wanderprediger und sang in den Gottesdiensten und spielte Harmonium. Er förderte viele junge Musiker aus meinem familiären Umfeld, erteilte ihnen Musikunterricht und hielt sie zum Üben an, eine Art Mentor der Familie. Er war sehr autoritär und forderte von ihnen Disziplin ein. Ich war sechs Jahre alt, als er starb. Eine andere Person, die mich sehr beeindruckt hat, war eine Großtante (eine Tante meiner Mutter), die klassische Sängerin war. Sie war eine sehr starke Frau, die sich immer durchgeboxt hat, hochbegabt. Sie hat – auf sich alleine gestellt – viele Reisen gemacht. Dann ist da noch der Vater von Kitty Winter, ein großer Liebhaber von Sängerinnen und Sängern. Mit ihm habe ich viele anregende Gespräche geführt. Er hat mich mit seiner Kenntnis und seiner Platten mit vielen Gesangsolisten vertraut gemacht. Ja und schließlich ist da mein Onkel Bobby Falta, dessen Meinung und dessen Geisteshaltung ich sehr schätze. Er ist eine wirkliche Persönlichkeit. Er erklärte mir, „man muss in sich selbst einkehren und hineinhören, um seine eigene Sprache zu finden“. Womit er Recht hat. Litterst: Wann haben Sie Ihr Interesse für Sinatras Gesangs- und Musikstil entdeckt? Reinhardt: Das fing bereits als Kind an, als ich seine Platte „Frank Sinatra sings for Only The Lonly“ hörte. Ich versuchte jedes Stück nachzusingen. Es sind großartige Einspielungen, die Platte ist für mich bis heute ein „All-time-favourite“ geblieben. Litterst: Haben Sie heute noch Stücke dieser Platte in Ihrem Repertoire? Reinhardt: Nein. Am meisten habe ich mich um eine eigene Interpretation von „Good bye“ bemüht, ich habe das Stück auch vor drei Jahren aufgenommen, es wurde aber bislang noch nicht veröffentlicht. Litterst: Haben Sie zunächst einen bürgerlichen Beruf erlernt,
bevor sie sich für die Laufbahn einer Sängerin entschieden
haben? Litterst: Ich habe gelesen, dass Sie schon als Kind in einer TV-Show von Horst Jankowski, dem 1998 verstorbenen Pianisten und Leiter des RIAS-Tanzorchesters, aufgetreten sind? Reinhardt: Ja, da war ich höchstens 15 Jahre alt. Es war die TV-Show „Swing & Talk“, die, so glaube ich, in 3-SAT gesendet wurde. Es war ein großartiges Gefühl, von einem Orchester wie dem RIAS-Tanzorchester begleitet zu werden. Daneben gab es in einem Club in Stuttgart die Perkins-Park-Swingabende, in denen Jankowski eine Swingcombo hatte. In dieser Combo saß Kuno Schmid, der damalige Ehemann von Kitty Winter, an den Keyboards. Er hatte mir diese ersten Engagements vermittelt. Daraus wurden über einen längeren Zeitraum verteilt vier bis fünf Auftritte, in denen ich Songs wie „Close Enough For Love“ von Johnny Mandel, „Saving all my love for you“ von Whitney Houston oder „Twin Rose Song“, einen Bossa Nova von Kitty, sang.“ Es war für mich unheimlich aufregend, in einer Show aufzutreten, in der ansonsten gestandene Persönlichkeiten wie die Geiger Svend Asmussen und Helmut Zacharias oder der Gitarrist und Mundharmonikaspieler Toots Thielemans auftraten. Litterst: Sie haben im November 2006 Ihr Debutalbum veröffentlicht, „Sprinkled Eyes“. Auffallend hieran ist: Während die weitaus überwiegende Anzahl der Sintimusiker ihre „musikalische Visitenkarte“ mit Interpretationen der großen Nummern von Django Reinhardt abgeben – um zu zeigen, „das ist der Maßstab, und dem kann ich genügen“ –, treten Sie mit nicht weniger als acht Eigenkompositionen auf die Bühne und einem Fächer von Songs, die zwar allesamt auf die eine oder andere Weise Ihre Herkunft erkennen lassen, aber so ganz und gar nicht in dieses traditionelle Sinti-Swing-Bild, man könnte auch sagen: in das Django-Klischee, passen. Das kann nicht nur daran liegen, dass Django keine Vokaltitel hinterlassen hat. Reinhardt: Es hat eine Plattenfirma gegeben, die wollte eine Platte mit mir machen mit den ganzen „Touristen-Nummern“ von Django Reinhardt und einer Hot-Club-Besetzung. Das habe ich abgelehnt. Ich wollte mit meiner Musik auf der Szene erscheinen, das ist viel ehrlicher. Wenn die Leute dann hierauf anspringen, dann weiß ich, sie tun es wegen mir und meiner Musik und nicht wegen der soundsovielten Django-Auflage, die seiner Kunst nicht gerecht wird. Es ist ohnehin bedauerlich, dass er ständig auf die Swingnummern der 30er-Jahre und die Hot-Club-Phase reduziert wird. Dabei hat er doch so viel anderes gemacht, auch in Begleitung einer Big-Band. Man wird dem Werk Django Reinhardts nicht gerecht, wenn man einfach nur seine Hits benützt, man sollte ihm mit mehr Respekt begegnen. Sein Werk ist so komplex, dass man nicht leichtfertig damit umgehen sollte. Litterst: Im Booklet steht, sie seien Autodidakt. Haben Sie tatsächlich keinen Gesangs- und Gitarrenunterricht gehabt? Reinhardt: Doch. Mit Autodidakt ist gemeint, dass ich keinen Gesang studiert habe. Ich hatte Unterricht an der Jazz- & Rockschule Freiburg. Meine Gesangslehrerin war die Jazzsängerin Cécile Verney, mein Gitarrenlehrer Max Zinthaber. Der Unterricht bei Cécile Verney hatte auch eine spirituelle Dimension, ich mochte ihre mentale und emotionale Einstellung zum Singen. Jetzt in Berlin habe ich Unterricht bei dem klassischen Belcanto-Sänger Cesare Colona. Er ist halb Österreicher, halb Italiener. Er hat mich gelehrt, nicht so sehr auf die klassische Einordnung der Stimmlage zu achten, sondern einfach die Stimme zu schulen in Intonation und Ausdruck. Litterst: Auf Ihrer Website bieten sie nicht nur das Programm „Sprinkled Eyes“ mit dem zugehörigen Ensemble (Alexej Wagner (g), Uli Bartel (mandoline, viol) Christian von der Goltz (key,p), Scott White (b), Armando Chuh (perc), Gregoire Peters (fl) an, sondern auch ein Programm „Django, the composer“ mit einer anderen Besetzung, nämlich Geige, zwei Gitarren (darunter Lancy Falta) und Kontrabaß, also fast eine klassische Sintiswingbesetzung á la Quintette du Hot Club de France. Was singen Sie in diesem Programm? Reinhardt: Es handelt sich dabei eigentlich um meine ersten Gehversuche nach der Ankunft in Berlin. Es ist der traditionelle Django-Sound in der typischen Gypsy-Swing-Richtung, gemischt mit einigen Jazzstandards. Ich singe dabei mehrere Django-Originale, die ich mit einem eigenen Text versehen habe. M e i n e Musik ist jetzt jedoch „Sprinkled Eyes“, mit der ich identifiziert werden möchte. Litterst: Auf „Sprinkled Eyes“ findet sich Djangos Überhit „Nuages“ mit
den Lyrics von Tony Bennett, dessen gesungene Version „All For
You“ auf seinem enorm erfolgreichen Spätwerk „The Art
Of Romance“ aus dem Jahre 2004 enthalten ist. Des Weiteren treffen
wir auf die vielleicht zweitberühmteste Komposition Djangos, nämlich „Minor
Swing“ mit Lyrics, die Sie verfasst haben. |
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