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Jazzzeitung

2007/01  ::: seite 16

jazz heute

 

Inhalt 2007/01

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
all that jazz: Was ist Jazz?
no chaser: Der Trommelkreis
jazzfrauen:Antje Uhle
Farewell: Abschied von Anita O’Day


TITEL

Der Jazz und das Mädchen
Steht Norah Jones für Qualität im Pop?


DOSSIER
- Jazz im BR
Mit Jimmy kam der Jazz zurück
Jazzgeschichte schreibt der Bayerische Rundfunk schon immer nach Mitternacht


BERICHTE
/ PREVIEW
Profile Dornbirn || Neues Festival in Dresden || 23. Ingolstädter Jazztage || Reihe „Jazz im Gärtnerplatz“ || Internationales Jazzfestival Münster


 PORTRAIT / INTERVIEW
Stan Getz im Studio mit Abbey Lincoln || Dotschy Reinhardt || „Jazz“-Duo Hasler Henschel || Joe Zawinul im Großformat || Mit der 24 Bit Masteredition bringt das Label Enja den Klang der 70er-Jahre zurück || Das Oles-Pänomen

 JAZZ HEUTE
Marching Band
Der spanisch-amerikanische Krieg und New Orleans


 PLAY BACK / MEDIEN

CD.
CD-Rezensionen
CD.
Critics Choice
CD. Scheffners Liste
DVD. Alle DVD-Rezensionen
Bücher:
Bücher über Fake Books und Jazz Bones || Die seltsamen Tagebücher des Claudius Reimann
Noten. Diverses


 EDUCATION
Ausbildung. Ausbildungsstätten in Deutschland - Fortbildungen, Kurse (pdf) (62 kb)
Abgehört 47. Der mit der rechten Hand erzählt
Teil 1 von 2: Keith Jarrett und Brad Mehldau improvisieren über „Prism“
Nadelöhr für das Berklee College of Music
Ein Interview mit Reinhard Stephan, Geschäftsführer und Bernhard G. Hofmann, Künstlerischer Leiter der Jazz & Rock Schule in Freiburg

Marching Band

Der spanisch-amerikanische Krieg und New Orleans

Forscher, die die Ursprünge des Jazz in New Orleans untersuchen, verbringen meist nicht viel Zeit mit dem spanisch-amerikanischen Krieg 1898. Zum einen, weil er nur ein halbes Jahr dauerte, aber auch, weil sein Einfluss auf das kulturelle Leben der Stadt nicht leicht nachzuvollziehen ist.

Unser Bild oben zeigt Jack Teagarden (li.) und Louis Armstrong. Indirekt verdankt der berühmte Trompeter dem spanisch-amerikanischen Krieg seine Ausbildung.

Bild vergrößernUnser Bild oben zeigt Jack Teagarden (li.) und Louis Armstrong. Indirekt verdankt der berühmte Trompeter dem spanisch-amerikanischen Krieg seine Ausbildung.
Foto: Jazzzeitungsarchiv

Zwei der erfolgreichsten Bands zu jener Zeit waren die „Onward Brass Band“ und das „John Robichaux Orchestra“. Die „Onward Brass Band“ gründete sich Mitte der 1880er Jahre, noch bevor die “Jim Crow“-Gesetze in Kraft traten, die zur Rassentrennung führten. Die Band bestand aus zwölf Musikern, die meisten waren Kreolen, aber Schwarze und Latinos waren auch repräsentiert. Sie spielten bei Paraden, politischen Kundgebungen, Sport- und Freizeitveranstaltungen und Beerdigungen. Vor dem spanisch-amerikanischen Krieg stand die „Onward“ für Präzision und Hochglanz. Sie wurde unter weiten Teilen der farbigen Bevölkerung als beste „Marching Band“ angesehen und für die Stimmung bewundert, die sie bei ihren Darbietungen erzeugte.

Der kreolische Violinist John Robichaux war ebenfalls ein gut ausgebildeter Musiker, der 1896 ein Tanzorchester gründete, sich später aber dem veränderten Geschmack anpassen musste: als Jazz begann, den Markt zu dominieren.

Trotz der verheerenden Auswirkungen eines Urteils vor dem Obersten Gerichtshof im Jahr 1896, das Kreolen und Afroamerikanern in New Orleans ihre Bürgerrechte verwehrte, waren viele von ihnen zwei Jahre später dennoch bereit, sich zur Armee zu melden, als Spanien der Krieg erklärt wurde. Unter den Kampfwilligen waren einige der besten Musiker der Stadt, auch von der „Onward“-Band und dem „Robichaux Orchestra“. Ihr Dienst in der neunten Infantrie der Freiwilligen (welche die „Immunen“ genannt wurde, weil man glaubte, dass schwarze Männer weniger anfällig für tropische Krankheiten seien) fiel zeitlich fast exakt mit der Verschiebung der musikalischen Geschmäcker zusammen, die den Aufstieg des Jazz in New Orleans beförderte. Die meisten Musiker meldeten sich im Juli 1898 zur Armee. Herausgeputzt in blendend weißen Uniformen, waren sie ein regelrechtes Spektakel und erfüllten genau die Erwartungen der Militärs. Es war kein Wunder, dass die schwarze Bevölkerung von New Orleans auf den Einschiffungsmarsch der „Immunen“ mit Stolz reagierte und in großer Zahl erschien. Die Times-Picayune schrieb: „Die Esplanade Avenue hatte gestern einen Rand von Schokolade. Für den Betrachter schien es, als habe jeder Neger im Umkreis von hundert Meilen von New Orleans das Ablegen der Negertruppen mitverfolgt.“

Nach ihrer Ankunft auf Kuba bezog „die Neunte“ Quartier. Aber die Kämpfe waren so gut wie beendet, so dass die Aufgaben der Einheit aus wenig mehr bestand als Exerzieren, Banditen zu jagen und spanische Gefangene zu bewachen. Eine Schießerei führte zum Tod eines Soldaten, zweier kubanischer Polizisten und zweier kubanischer Zivilisten. Zwanzig Soldaten starben an Malaria.
Das Regiment verließ Kuba am 12. April 1899 und wurde sechs Wochen später in Pennsylvania aufgelöst. Es hielten sich Fragen, was diese Musiker wohl an Musik gehört haben mögen, während sie auf Kuba waren.

Die weite Verbreitung von Clave (eine Folge von synkopierten kubanischen Rhythmen) unter Schlagzeugern in New Orleans, stellt eindeutig eine musikalische Verbindung her zwischen Kuba und New Orleans. Sie spielten häufig bei „Second Line Paraden“. Der Begriff „Second Line“ bezieht sich auf Tänzer aus den Vierteln, die traditionell bei Brass-Band-Paraden auftauchen. Ihre Funktion ist es, ausgelassen auf der Straße zu tanzen und so die Band zu veranlassen, schwungvoller und ausdrucksstärker zu spielen. Santiago de Cuba hat eine sehr ähnliche Tradition, die „Inavasiones“.

Resultierten diese parallelen Entwicklungen aus dem spanisch-amerikanischen Krieg? Auch wenn dieser Gedanke verlockend ist, gibt es wenig Beweise, die diese These stützen, denn Kontakt zu Kuba bestand auch seit langem durch Handelsrouten zwischen den geographisch nahe beieinander liegenden Hafenstädten Havanna, Santiago de Cuba und New Orleans seit langem.

Der spanisch-amerikanische Krieg verstärkte allerdings, was bereits vorhanden war. Sicher ist, dass die fast zehnmonatige Abwesenheit von Musikern der beiden besten Bands der Stadt entscheidende Auswirkungen auf Angebot und Nachfrage hatte. Das ermöglichte es jüngeren Musikern, ihre Aktivitäten auszudehnen und auf Kosten der Älteren eine eigene Klientel zu bilden. Als die Männer der Onward-Band nach Kuba aufbrachen, hatten sie die besten Musiker-Jobs in der Stadt. Als sie zurückkehrten, hatten sie einiges aufzuholen. Mit dem Aufstieg des Jazz wurde der Trombonist William „Bébé“ Ridgley, der jüngere Bruder des Onward-Mitglieds Emmanuel Ridgleys, berühmt als Kopf der Tuxedo-Jazz-Band, während Emmanuel selbst in Vergessenheit geriet. Einige der Musiker, die nach Kuba gegangen waren, hatten sich durch diese Erfahrung verändert.
Ein Onward-Bandmitglied erinnerte sich, dass Babtiste Delisle Althorn spielte, bevor er in den Krieg ging und dort mit Posaune begann. Zurück in New Orleans, konnte er mit der Posaune in einer Jazz-Band spielen. Mit einem Althorn wäre das nicht möglich gewesen.

Die größten Auswirkungen auf die frühe Entwicklung des Jazz in New Orleans hatte weniger das, was der Musikszene der Stadt durch den spanisch-amerikanischen Krieg hinzugefügt wurde, sondern, was ihr durch den Krieg weggenommen worden war. Es gibt eine Ausnahme zu dieser These. Jeder der den Jazz von New Orleans liebt, schätzt das musikalische Vermächtnis des Trompeters Louis Armstrong, des ersten Superstars dieser Musik. Aber nur wenige wissen, wie sein Leben als Ergebnis des spanisch-amerikanischen Krieges eine dramatische Wende nahm.

Armstrong begann seine musikalische Karriere mit elf Jahren in einem Gesangsquartett, das für Pennies an Straßenecken auftrat. Ein Mangel an elterlicher Aufsicht, der es Kindern erlaubte, sich auf der Straße herumzutreiben, war ein sicherer Weg in die Jugendkriminalität. Silvester 1912 wurde Armstrong verhaftet, weil er mit einem Gewehr in die Luft geschossen hatte, um das neue Jahr zu feiern. Er wurde in das „Heim für verwahrloste farbige Kinder“ gesteckt, eine Zufluchts- und Besserungsanstalt, die von Captain Joseph Jones, einem Veteran des spanisch-amerikanischen Krieges, gegründet worden war. Wie Armstrong sich später in seinem Leben erinnerte, war dies eines der besten Erlebnisse, die ihm jemals passiert sind. Captain Jones hatte als Sergeant in der 25. Infanterie auf den Philippinen gedient. Dank seiner harten Arbeit und Disziplin war er als Captain entlassen worden, eine Seltenheit für einen Afroamerikaner. In der Besserungsanstalt gründete er ein Musikprojekt für die Kinder. Dort erhielt Louis Armstrong seine ersten Musikstunden und lernte andere große Musiker wie Mahler und Rossini kennen. Wenn wir darüber nachdenken, was Captain Jones für Louis Armstrong getan hat, können wir festhalten, dass trotz der Unmenschlichkeit und dem Gemetzel, die mit Krieg assoziiert werden, manchmal eine menschliche Natur durchscheint, die eine bessere Welt möglich erscheinen lässt. Denn vielleicht wäre Captain Joseph Jones ohne seine Erfahrungen im Krieg nie auf die Idee gekommen, ein Kinderheim zu gründen, in dem es Musikunterricht für schwarze Kinder gab.

Krieg, genau wie Jazz, ist immer voller Überraschungen, und manchmal sind es angenehme.

Bruce Boyd Raeburn

Der Autor ist Jahrgang 1948 und arbeitet als Kurator des Hogan Jazz Archives der Tulane University in New Orleans. Er ist Doktor für amerikanische Geschichte und Spezialist für die Geschichte des Jazz in New Orleans. Seit 36 Jahren spielt er dort selbst als Schlagzeuger in Jazz-, Rock- und Rhythm- und Blues-Bands.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von: „Kulturaustausch – Zeitschrift für internationale Perspektiven“, herausgegeben vom Institut für Auslandsbeziehungen ifa, Ausgabe 1/2007
Übersetzung: Nicole Graaf


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