„Auf die sanfteste Weise radikal und auf die radikalste Weise eingänglich“,
lautet das musikalische Credo der Pat Metheny Group (PMG). Nicht immer
ist dem amerikanischen Gitarristen diese Gratwanderung so gut gelungen
wie auf „The Way Up“ (Warner/Nonesuch). Was an manchen PMG-Alben
der letzten Jahre ein wenig nervte – eine Tendenz zum esoterisch-weltmusikalischen
Schönklang im Breitwandformat –, ist auf der mittlerweile zwölften
Einspielung nicht mehr zu finden. Geblieben ist der eindrucksvolle Drang,
Jazz mit den Mitteln des digitalen Studios so orchestral wie möglich
zu gestalten. In weiten Bögen und raffinierten Arrangements spielt
und improvisiert sich Pat Methenys neu besetzte Truppe durch eine 68-minütige
Komposition von quasi-sinfonischem Ausmaß. Was sich im einen Moment
nach Ouvertüre anhört, klingt kurz darauf nach Be Bop-Trio,
dann wieder nach dem Remix eines Live-Mitschnitts. Über die neue
CD, die neue Besetzung der PMG und seinen Werdegang unterhielt sich Pat
Metheny mit Claus Lochbihler.
Jazzzeitung: Als Jugendlicher haben Sie zwölf bis
14 Stunden am Tag geübt. Spielen Sie noch immer so viel?
Pat Metheny: Nein. Gitarre oder etwas anderes –
für mich ist das mittlerweile alles gleich interessant. Natürlich
spiele ich sehr gern Gitarre, aber in meinem Leben habe ich mittlerweile
erkannt, dass ich das, was ich in der Musik suche, auch sonst anstrebe:
Ob im Gespräch oder beim Spazierengehen – ich möchte jeden
Moment schätzen können. Jeden einzelnen Moment genießen
und formen – darum geht es ja auch in der Musik.
Jazzzeitung: Wie wichtig ist Virtuosität?
Metheny: Natürlich ist es ein schönes Gefühl,
wenn ich nach sechs Monaten auf Tournee merke, dass ich den mechanischen
Vorgang des Gitarrespielens so perfekt beherrsche, dass ich alles, wirklich
alles auf dem Instrument spielen kann. Wenn das nachlässt, ist das
schon etwas, was man vermisst. Was aber in der Musik wirklich zählt,
sind die Ideen. Und Ideen existieren unabhängig vom Instrument, das
jemand gerade spielt.
Jazzzeitung: Träumen Sie von Gitarren?
Metheny: Nein, aber von Musik. Die Gitarre ist für
mich nur ein Instrument, um Musik zu erzeugen. Das ist wie bei einem Bauarbeiter.
Der kann, wenn er von der Arbeit träumt, vom Hammer und anderen Werkzeugen
oder gleich vom fertigen Haus träumen. Wäre ich Bauarbeiter,
würde ich vom Haus und nicht vom Hammer träumen.
Jazzzeitung: Funktioniert auch das Komponieren unabhängig
von der Gitarre?
Metheny: Da verbringe ich viel mehr Zeit am Klavier als
an der Gitarre. Das Klavier ist einfacher. Die Gitarre ist im Grunde ein
seltsames und unübersichtliches Instrument. Dafür unglaublich
vielseitig. Der Satz „Das ist eine Gitarre“ kann fast alles
bedeuten: Vom Typen mit einer unverstärkten Nylon-Saiten-Gitarre
bis hin zu dem, der eine Les Paul mit 27 Marshall-Verstärkern spielt.
Aber auf der Platte steht immer nur: Gitarre.
Jazzzeitung: Angefangen haben Sie ja auf der Trompete.
Wie sind Sie zur Gitarre gekommen?
Metheny: Es war klar, dass ich auf der Trompete nie so
gut sein würde wie mein Bruder Mike, der ein großartiger Trompeter
ist. Schon deswegen sah ich mich nach einem Ausweg um. Und dann waren
da noch meine Zahnspange und die Beatles. Die Zahnspange machte die Trompete
zu einer schmerzhaften Angelegenheit. Die Beatles und all die anderen
britischen Bands machten die Gitarre zu mehr als nur einem Instrument.
Das war ein Symbol dieser ganzen aufregenden Zeit! Sogar für einen
Zwölfjährigen wie mich, der sich deswegen seine erste Gitarre
besorgte.
Jazzzeitung: Und der Jazz?
Metheny: Mein Bruder brachte eine Platte von Miles Davis
nach Hause. Als ich das hörte, war alles für mich schlagartig
anders. Es war, als ob sich der Himmel öffnen würde! Ich begann
mich sofort für Jazz zu interessieren, obwohl die Gitarre im Jazz
bis dahin eine eher unwichtige Rolle gespielt hatte – ganz anders
als im Rock’n’Roll. Was im nachhinein übrigens ein Riesenvorteil
war: Die spannendste Herausforderung meiner Karriere war es, die Möglichkeiten
der Gitarre mit dem Jazz in Einklang zu bringen.
Jazzzeitung: Wie viel Trompete steckt heute noch in
Ihrem Gitarrenspiel?
Metheny: Jede Menge. Ich versuche immer noch wie ein
Trompeter zu denken und zu atmen. Wie ich phrasiere und klinge, hat sehr
viel damit zu tun.
Jazzzeitung: Von Cuong Vu, den Trompeter, den Sie in
die Pat Metheny Group geholt haben, heißt es wiederum, er klinge
wie ein Gitarrist...
Metheny: Das habe ich schon oft gelesen. Vielleicht,
weil er eine Rolle für die Trompete gefunden hat, die es vorher nicht
gab. Bei Cuong Vu klingt die Trompete nach Struktur. Nach Sounds, bei
denen man nie denken würde, dass sie aus einer Trompete kommen. Er
besitzt etwas ganz Seltenes: Etwas, was ich atmosphärische Virtuosität
nennen möchte.
Jazzzeitung: Wie funktioniert die Pat Metheny Group?
Wie eine Band-Demokratie?
Metheny: Bei der Pat Metheny Group handelt es sich um eine wohlwollende
Diktatur. Mit mir als Diktator. Irgendwie funktioniert Demokratie nicht
in einer Band – das ist jedenfalls meine Erfahrung. Irgendeiner
muss den Ton angeben.
Jazzzeitung: Die Band hat sich verjüngt: Sie haben
zeitgleich mit Cuong Vu den mexikanischen Schlagzeuger Antonio Sanchez
in die Band geholt. Jüngstes Mitglied ist der Harmonika-Spieler Grégoire
Maret...
Metheny: Antonio Sanchez ist der wichtigste Faktor der
neuen Besetzung. In der 27-jährigen Geschichte der Band gab es nur
drei Schlagzeuger – und alle drei waren großartig. Aber Antonio
stellt den radikalsten Wandel in der Geschichte der PMG dar. Er spielt
auf einem so wahnwitzig hohem Niveau – ich hätte nie gedacht,
dass jemand wie er überhaupt geboren würde! Im Grunde dreht
sich bei „The Way Up“ alles um Antonio Sanchez. Was immer
ich und Lyle Mays uns beim Komponieren ausgedacht haben – Antonio
hat darauf besser reagiert, als wir uns das je erträumt hatten.
Jazzzeitung: Mochten Sie schon immer Mundharmonika?
Metheny: Irgendwie schon. Aber auf die Idee, einen Harmonikaspieler
in die Band zu holen, kamen Lyle und ich nicht sofort. Beim Komponieren
wussten wir bei einem bestimmten Part nicht, wer ihn spielen sollte. Als
ich Grégoire Maret live mit Cassandra Wilson hörte, klangen
er und sein Instrument wie die Lösung unseres Problems. Und tatsächlich:
Er passt super zu uns, klingt gut und versteht die Band. Stilistisch ist
Grégoire eine Mischung aus Toots Thielemans und Stevie Wonder.
Harmonisch ist er viel weiter, weil er mit Typen wie Steve Coleman und
Ravi Coltrane gespielt hat.
Jazzzeitung: Ihr Rat an die Millionen von Gitarristen
weltweit, die versuchen wie Pat Metheny zu klingen?
Metheny: Don’t do it! Never.
Jazzzeitung: Was sollen sie stattdessen tun?
Metheny: Der beste Rat, den ich jungen Musikern geben
kann: Versucht in jeder Band immer der Schlechteste zu sein. Dann lernt
ihr am schnellsten. Wenn ihr der Beste seid, solltet ihr unbedingt die
Band wechseln.
Interview: Claus Lochbihler
CD-Tipp
Pat Metheny Group: The Way Up
Warnermusic/Nonesuch
Konzerttermine
27. Mai, Memmingen
29. Mai, Nürnberg, Meistersingerhalle
30. Mai, München, Muffathalle
1. Juni, Frankfurt, Alte Oper
5. Juni, Hamburg, Musikhalle
9. Juni, Köln, Philharmonie
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