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Es war, als hätte er den Schnee bestellt. Schon auf dem Weg zur Leipziger Schaubühne im Lindenfels alle Schemen in schwarz-weiß. Gonzales-Wetter. Dann war der Saal rappelvoll, weil der Pianist aus Kanada mit einer unverhofften Solo-Platte im letzten Herbst der gehobenen Popularmusik seinen sehr besonderen Kick gegeben hat. Und weil man beim großspurigen Entertainer nicht einmal hinterher genau weiß, woran man gewesen ist. Auf der Bühne stand kein Flügel im Licht, sondern ein Klavier, wie ein Schrank und schön einsehbar die Saiten und Hämmer. Alles so übersichtlich wie diese Musik, die er hintröpfelt, nachdem er mit genialischer Präsenz seinen Platz eingenommen hat. Gonzales zeigt Brusthaar und die Zähne, wenn er schmunzelt. Er schmunzelt oft, und die Gigolo-Frisur wird nicht lange halten. Mucksmäuschenstill ist es im Publikum, es sei denn, man lacht. Das tut man oft und laut, denn Gonzales ist ein Ironiker von Gnaden. Beim zweiten Stück stützt er den Kopf in die Linke und punktet mit der Rechten so eine simple Melodie, die man einfach lieben muss. An Satie könnte man denken, an Chopin, Monk, sogar an Keith Jarrett. Gonzales hat nicht einmal etwas dagegen, wenn uns Richard Clayderman einfällt. Hauptsache alles ist schön mollmelancholisch und ohne den falschen Optimismus des Dur. Und Hauptsache, man sitzt bequem. Deswegen trägt Gonzales Pantoffeln. Und weil so ein Pianovortrag etwas Aristokratisches haben muss, streift er sich beim dritten Stück einen überdimensioniert glitzernden Ring über. Den kann man gut sehen, weil oben an der Bühnenwand eine breite Projektion die Tastatur zeigt und die darüber tanzenden Finger. Gonzales hat sich das bauen lassen vom Videokünstler Ninja Pleasure, damit man ihm auf die Finger schauen kann und er sich selbst. Und damit man vielleicht ein bisschen besser versteht, warum diese kleinen sentimentalen Stücke voll „linkshändiger Begleitung und rechtshändiger Melodieführung“ von so ungeheurer Suggestivkraft sind. Das changiert zwischen Chanson und Klassik, Salon und Bar. Und das verteidigt eine aussichtslose Position, seit im bürgerlichen Wohnzimmer große Multimediabildschirme den Flügel verdrängt haben. Weil Gonzales ein nostalgischer Kämpfer auf diesem verlorenen Feld ist, hat sein Auftritt etwas Morbides. Der Charme ist brüchig. Die Seitennaht seiner Hose ist geplatzt, der Kaschmirpullover ist löchrig. Das alles hat Methode bis ins Detail. Ulrich Steinmetzger |
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