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Jetzt müssen wir mal über die Basics reden: das pure Überleben. Natürlich wirst du von Jazzkritiken nicht reich werden. Du wirst keine Familie ernähren können, den großen BMW kannst du dir abschminken und die jährliche Karibik-Kreuzfahrt ebenfalls. Vielleicht kriegst du bei McDonald’s irgendwann Rabatt. Auf jeden Fall musst du ununterbrochen fleißig sein. Goldene Regel für den Anfang: jede Rezension dreimal verkaufen. Kleiner Tipp vom Profi: Ändere jedes Mal den ersten Satz, damit es nicht gleich auffällt. Wenn dein Stil erst mal perfekt ist, kannst du sowieso alle Sätze einer Rezension beliebig vertauschen. Noch besser verwertbar ist ein Interview: als Radio-Feature, Zeitschriften-Porträt, Konzertankündigung im Stadtmagazin. Du musst einfach lernen, mit dir selbst Doppelpass zu spielen. Die größten Jazzkritiker sind jeder für sich eine ganze Mannschaft. Das geht so: Erst einmal schleimst du dich bei einer Plattenfirma ein, dann produzierst du dort ein Album deines Lieblingsmusikers, dafür schreibst du natürlich selbst die Liner notes, dann stellst du die CD im Rundfunk vor, lässt dich von der Jazzzeitung dazu interviewen, veröffentlichst viermal die gleiche Rezension darüber, verkaufst einen exklusiven Studiobericht mit deinen Fotos, platzierst fünf Interviews mit dem Künstler und buchst ihn aufgrund des großen Presse-Echos für das nächste lokale Festival. Natürlich kannst du über das Ganze schon mal vorsorglich ein Kapitel für deine Memoiren schreiben. Wichtig ist, dass du dein Ziel fest im Blick hast und dich nicht ablenken lässt. Denn ein Jazzkritiker muss Jazzkritiken schreiben, ansonsten braucht er von nichts was zu verstehen. Lass die Finger von Literatur, Kunstgeschichte, Philosophie und Politik. Auch Musiktheorie, Harmonielehre und Instrumentaltechnik haben dich nicht zu interessieren. Manchmal ist es schon hinderlich, wenn du weißt, was Phrasierung oder Intonation bedeutet, ein Saxophon von einer Trompete unterscheiden kannst oder zu irgendwas eine eigene Meinung hast. Geh völlig unbelastet an die Dinge heran. Bleib so ahnungslos, wie du bist. Kollegiale Grüße, Rainer Wein
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