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Stau, Verkehrsprobleme, Fehlorientierung. Meine Verabredung mit Herbie Hancock begann unter erschwerenden Vorzeichen. Er war, Stunden länger unterwegs als geplant, erst spät abends im Hotel angekommen, stand noch im Mantel zu Beginn unserer Unterhaltung, checkte die Nachrichten auf ntv und zeigte sich dann erstaunlich neugierig, gesprächsbereit und entspannt, als er merkte, dass es mir nicht um die Standardfragen ging. Einen Musiker, der bereits Anfang der sechziger Jahre mit „Watermelon Man“ einen Ohrwurm in die Welt setzte, der mit „Rockit“ einen der größten Instrumental-Hits der achtziger Jahre kreierte und dessen „Cantaloupe Island“ in der gesampelten Version der britischen Band „US3“ 1994 eine neue Welle der Begeisterung bei einer mit Disco- und Pop-Musik aufgewachsenen Generation auslöste, braucht man nicht mehr nach dem Gang auf der Stufenleiter des Erfolges zu befragen.
„Chameleon“ nannte er einer seiner Kompositionen. Von Anfang an erwies sich Herbie Hancock als ein musikalisches Chamäleon – die Klangfarben und die Spielhaltungen wechselnd zwischen einer akustischen und einer elektrischen, einer der Jazztradition zuneigenden und einer sich für Soul, Funk, Rock, Pop und Hip Hop öffnenden Welt. Herbie Hancock – einerseits der „pure“ Pianist, andererseits der Hexenmeister an den Keyboards. Von 1963 bis 1968 spielte er als festes Mitglied und auch danach noch gelegentlich mit Miles Davis – im „klassischen“ Miles Davis Quintett der sechziger Jahre, das Freiheit und Form in Einklang zu bringen vermochte, aber auch in den elektrischen Bands des Trompeters, der mit „In A Silent Way“ und „Bitches Brew“ Ende der 60er-Jahre dem Rockjazz beziehungsweise der Fusion Music den Weg bahnte. Auch nach den Anfängen bei Miles braucht man Herbie Hancock nicht mehr zu fragen. Das kann man in der Autobiografie von Miles Davis nachlesen, in der es heißt: „Wayne Shorter, Herbie Hancock, Ron Carter und Tony Williams waren großartige Musiker, ich wusste, dass sie als Gruppe, als musikalische Einheit funktionieren. Eine gute Band verlangt von jedem Opfer und Kompromisse; ohne das geht nichts. Mit diesen vier schien das möglich zu sein, und ich hatte recht. Du brauchst die richtigen Jungs, um die richtigen Sachen zur richtigen Zeit zu spielen, dann landest du einen Volltreffer, das ist alles.“ Und speziell zu seinem Pianisten schrieb Miles: „Herbie war wie ein Schwamm. Man konnte alles spielen, er saugte alles einfach auf. Am Anfang erklärte ich Herbie ,Du steckst zu viele Noten in die Akkorde. Der Akkord muss nicht ausgewalzt werden, genauso wenig wie der Sound. Lass die Noten da unten in Ruhe, denn Ron spielt die Tiefen.’ Viel mehr musste ich ihm nicht sagen, außer, dass er manchmal langsamer spielen und nicht zu viel rein bringen sollte.“ Also frage ich Herbie Hancock, der mit einer seiner neueren Platten und mit seinem Bandprojekt „Futur2Future“ Hip-Hop, New Electronica und Afro-Elemente zu einer tosenden Welle von Klängen schichtet, nach der Rolle der Stille. „Silence“, sagt er, „ist wichtig, um den Sound in seiner Qualität erfahren zu können.“ Wie John Cage weiß er, dass es die ereignislose Nicht-Anwesenheit von Klängen nicht gibt, wohl aber unzählige Abstufungen. „Und manchmal“, so Herbie Hancock, „erlebe ich das Phänomen der Stille gerade in den Klangexplosionen.“ Seit vielen Jahren ist er Buddhist, auch auf diese Weise mit der Stille, der Konzentration auf das Wesentliche vertraut. Mit dem Album und der Band „Headhunters“ von 1973 fusionierte Herbie Hancock Jazz, Electronics, Funk, Rock und Soul. Diese Linie führte weiter zu „Future Shock“ mit dem Hit „Rockit“ (1983) und zu „Future2Future“ von 2001. Er wolle, sagt Hancock, das alles nicht unbedingt als Jazz verstanden wissen. Gleichwohl wäre auch diese Seite des Chamäleons ohne den Jazz und die Roots im Blues nicht vorstellbar. Bereits bei „Future Shock“ waren DJs und Scratcher involviert. „Future2Future“, wiederum in der Zusammenarbeit mit Bill Laswell entstanden, nutzt auf raffinierte Weise Programming und Mixing als kreative Möglichkeiten der musikalischen Produktion. „Manchmal werde ich gefragt,“ wirft Herbie Hancock ein, „ob das, was junge Leute heute mit Samples produzieren, ohne ein Instrument zu beherrschen oder einzusetzen, noch im konventionellen Sinne als Musik zu bezeichnen sei. Und ich versuche dann immer klar zu machen, dass es nicht auf die Virtuosität in den Fingern, sondern auf die Überzeugungskraft der Ideen ankommt.“ Das sagt Herbie Hancock, geboren am 12. April 1940 in Chicago, der vom siebenten Lebensjahr an Klavierunterricht bekam und schon mit elf Jahren als Solist des Chicago Symphony Orchestra mit Mozarts Klavierkonzert D-Dur auf der Bühne stand. Technik ist für ihn unabdingbar, aber er interessiert sich zugleich seit je für Technologien und jene Zukunftsmedien, die die Rolle des Individuums in den Produktionsprozess neu definieren. „Die Technologie“, so Herbie Hancock, und damit sind wir bei einem seiner Lieblingsthemen, „muss kontrolliert werden, damit wir nicht zu ihren Sklaven werden. Ursprünglich entwickelt, um die Humanität zu befördern, ist Technologie vielfach in gegenteilige Dienste gestellt worden, weil der Geld-Faktor wie ein Aphrodisiakum wirkte. Das Ziel verlierend, ging es nicht mehr um das GOAL, sondern nur noch um GOLD, um Geschäft, Geld und Macht. Nicht die Technologie ist es, die uns in die Zukunft führen kann, sondern die Weisheit.“ Herbie Hancock pointiert solche dozierende Sätze mit einem herzlichen Lachen und findet ganz schnell den Übergang von der philosophischen Verallgemeinerung zu seiner aktuellen Musik. Was muss Jazz tun, um zu überleben, frage ich ihn: „Er muss offen bleiben für die Begegnung mit anderen Kulturen und die Fusion mit anderen, neuen Ausdrucksmöglichkeiten.“ Das zählte zu den Lektionen, die ihm Miles Davis mit auf den Weg gegeben hat. Was war am wichtigsten von allem, was er von Miles lernte? „In der Musik aufrichtig und ehrlich zu sein und weiterzugehen, nicht bequem zu werden.“ Geht es Herbie Hancock, wenn er in die Rolle des Rockstars schlüpft, darum, im Applaus der Menge zu baden oder darum, ein junges Publikum an seine Musik heranzuführen? Will er zeigen: „das kann ich auch?“ Oder ist es diese umtriebige Neugier, die ihn immer wieder anderes ausprobieren lässt? „Ich wollte nie ein Purist sein“, sagt er. Und fügt augenzwinkernd hinzu: „Wenn Jazz stets eine Musik gewesen ist, die neue Einflüsse assimiliert hat, dann bin ich doch näher am ,puren Jazz’ als jene, die die Klischees des Bebop nachspielen. Und außerdem ist ,Purismus’ vor allem eine Frage der persönlichen Integrität, nicht eine der Stilreinheit.“ In diesen und in vielen anderen Fragen, die Musik und das Sein betreffend, stimmt Herbie Hancock mit seinem langjährigen Freund und Weggefährten, dem Saxophonisten Wayne Shorter, überein. Herbie Hancock ist das Alter ego von Wayne Shorter und vice versa. „Wenn es darum geht, etwas Neues zu schaffen“, so Herbie Hancock, „dann geht es nicht in erster Linie um das Material, sondern um die Einstellung, um den Spirit.“ Mit Wayne Shorter hat er in Bands gespielt, die den Geist des Miles Davis Quintetts weitertragen, in V.S.O.P. mit Ron Carter, Tony Williams und dem Trompeter Freddie Hubbard. Gemeinsam mit Wayne Shorter musiziert er im Duo. „1+1“ – die purste und direkteste Form der Kommunikation, noch immer unerschöpflich, was die Ideen anbelangt, rein akustisch, gar nicht futuristisch und auf eine sehr nachdrückliche, dabei unspektakuläre Weise zukunftsweisend. Bert Noglik Radio-Tipp
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