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Jazz vor 20 Jahren. Ich blättere durch deutsche Jazzmagazine von Anfang 1984. Die Anzeigenkunden: Labels wie Jazz Haus Musik, Moers Music, FMP, Ocean Records, Rare Records, Hat. Dazu kommen Vertriebe wie Pläne, Bellaphon, Helikon, außerdem Plattenhändler, Buchverlage, Musikalienhandel, Festivals. Unter den am häufigsten rezensierten Labels findet man SteepleChase, Soul Note, Muse, Pablo, Black Saint, Enja. Ich muss lange suchen, ehe ich auf CBS, RCA oder Ariola stoße, die Großen der Branche.
Die Plattenindustrie steckte 1984 tief in der Rezession. Fünf Jahre vorher waren die Umsatzzahlen erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs rückgängig gewesen, bald steigerten sich die schrumpfenden Gewinne zur ernstlichen Finanzkrise. In dieser Situation hatten die Branchen-Riesen anderes im Kopf als den Jazz. Selbst ein Superstar wie Stan Getz arbeitete damals nicht mit CBS oder RCA, sondern mit SteepleChase, Concord und Black Hawk. Der Jazz gehörte den Independents. Schon wenige Jahre später schlug das Blatt um: Die Branchenführer zogen sich an ihrem eigenen Schopf noch einmal aus dem Sumpf. Im Sog des neuen Mediums CD, propagiert von Sony und Philips, formierte sich die Branche neu. Ende der 80er-Jahre entstanden die fünf Major Companys, die den CD-Markt bis heute beherrschen. Beflügelt vom konjunkturellen Aufschwung, entdeckten die Majors damals auch den Jazz wieder. Einst unabhängige Labels wie Blue Note, Verve oder Impulse wurden als Anhängsel der großen Firmen neu belebt. Ob Sony, PolyGram (später: Universal), EMI, Warner oder BMG: Die Großen begannen nach dem Vorbild des Pop ihre Jazz-Stars aufzubauen und bastelten drum herum ein Image von Coolness, Eleganz, Lifestyle, Prestige und Klassizität. Sie griffen die Trends auf – Acid Jazz, Mainstream-Renaissance – und gaben ihnen ein internationales Podium. Christian Kellersmann, heute Head von Universal Classics & Jazz, sah die frühen 90er aus dieser Perspektive: „Wir haben den Menschen die Angst vor dem Jazz genommen, und das war das Wesentliche. Als wir anfingen, stand er in der hinterletzten Ecke der Läden, staubig und missachtet.“ Die Jazz-Erfolge der Majors sind Vermarktungs-Erfolge. Denn Promotion, Vertrieb, Medienarbeit, weltweite Koordination, das sind die strukturellen Stärken der internationalen Konzerne. Der Jazz war für sie ein erfreuliches Nebengeschäft in der Hochkonjunktur der 90er-Jahre, brachte Presse und Prestige und belastete den Apparat nicht. Die musikalische Pionierarbeit überließ man freilich anderen: den unabhängigen Jazzlabels. Zur Erinnerung: Diana Krall machte ihre erste Platte für Justin Time, Joe Lovano für Soul Note, Pat Metheny für ECM, Cassandra Wilson für JMT, John Scofield für Enja. Heute, da die Pop-Umsätze mit bis zu 50 Prozent Rückgang in den Keller schießen, heißt es für den Jazz: Mitgefangen, mitgehangen. Die Major Companys sind durch die digitale Piraterie in ihrer Lebenssubstanz bedroht und sehen sich als „Avantgarde der Apokalypse“. Was wir gerade erleben, ist keine Popularitätskrise des Jazz, sondern eine Strukturkrise des CD-Markts. Die vom großen Pop-Geschäft abhängigen Handelsketten brechen einfach weg. Fachgeschäfte für Marktnischen sind dank der jahrelangen Dominanz der Majors dünn gesät. In der Hoffnung auf schnelles Geld ersetzen die überlebenden Händler ihre Jazz-Abteilungen rasch durch DVD-Kinofilm-Angebote. Gut möglich, dass sich die Majors nun im Eiltempo von den Randmärkten
verabschieden, die in konjunkturellen Schönwetter-Zeiten ein hübsches
Zubrot lieferten. Alarmzeichen gab es längst: Die Jazz- und Klassik-Departments
bei den großen Konzernen wurden reduziert oder geschlossen. Programmverantwortliche
Musiker wie Branford Marsalis oder Steve Coleman wurden freigesetzt und
arbeiten heute mit Independents. Sony trennte sich sogar von Wynton Marsalis
und Terence Blanchard. Sehen deutsche Jazz-Magazine bald wieder so aus
wie vor 20 Jahren? Nur Blue Note (EMI) scheint unbeirrt: Das verdankt
die Firma der Finanzspritze Norah Jones, die Pop-Grammys und Pop-Millionen
einfuhr. Doch weil die Sängerin jahrelang durch die Jazzclubs tingelte
und Blue Note (noch) als Jazz-Label gilt, darf Jones nebenbei auch die
deutschen Jazz-Charts anführen. Mit dem vielen Geld hat Blue Note
inzwischen den Soul-Sänger Al Green und den Popmusiker Van Morrison
verpflichtet. Auch da bereitet sich eine Art Abschied vom Jazz vor. Hans-Jürgen Schaal
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