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Kaum ein Klischee könnte irreführender sein als das vom „Dixie-Drechsel“. Zwar moderiert Karlheinz Drechsel seit rekordverdächtigen 33 Jahren das Dixielandfestival in Dresden, „aber“, so weist der Rundfunkjournalist und Regisseur im Interview auf seine mit Fotografien bedeckten Wände, „sehen sie hier Bilder von Dixiemusikern?“ Wer kennt all die Schlachten, die Karlheinz Drechsel seit 1943 in drei unterschiedlichen politischen Systemen für den Jazz in all seinen Entwicklungsformen geschlagen hat? Nach über 3.500 Rundfunksendungen und einer überwältigenden Zahl von Festivalveranstaltungen wurde dem 1930 in Dresden geborenen und heute in Berlin-Adlershof beheimateten Drechsel am 20. Januar dieses Jahres durch den Berliner Kultursenator Thomas Flierl stellvertretend für Bundespräsident Johannes Rau das Bundesverdienstkreuz am Bande überreicht. Im Interview mit Al Weckert erzählt Karlheinz Drechsel aus seinem Leben zwischen allen Fronten. Jazzzeitung: Den Namen Karl-Heinz Drechsel verbindet die Öffentlichkeit mit Dixieland, selbst Kultursenator Flierl bezog sich in seiner Laudatio auf ihre diesbezüglichen Leistungen. Wie ist dieses irreführende Image zu erklären? Karlheinz Drechsel: Dafür gibt es zwei Gründe. Einmal rührt diese Verbindung von der Moderation des Internationalen Dixieland Festivals Dresden her. Zwar habe ich von 1977 bis 1989 gleichermaßen die „Jazzbühne Berlin“ mitbetreut, eine rein modern bis free orientierte Veranstaltung, bei der häufig auch japanische und russische Avantgardisten gastierten. Das Dixieland Festival in Dresden aber wurde vom DDR-Funk und -Fernsehen live übertragen. Deshalb diese Präsenz im Dixie. Zweitens habe ich viele Dixiebands für die Künstleragentur der DDR auf Tour begleitet und Liner-Notes für Dixieplatten geschrieben. Natürlich habe ich das genauso für moderne Bands getan und ich habe keine Ahnung, warum das nicht wahrgenommen wird. Schauen sie sich doch in meinem Zimmer um: Sehen sie hier Fotos von Dixieland-Musikern? Charlie Parker und Dizzy Gillespie waren in meiner Studentenzeit die größten Einflüsse. Bei mir zu Hause höre ich keine Dixieplatten, auch wenn ich mich jedes Jahr auf das Wiedersehen mit Musikern aus aller Welt in Dresden außerordentlich freue. Persönliche GeschichteJazzzeitung: Ihre persönliche Geschichte des Jazz beginnt vor der DDR-Gründung, nämlich während des Zweiten Weltkriegs.
Drechsel: Ohne es gewollt zu haben, hörte ich bereits im Dritten Reich vom Koffergrammophon Jazz, weil mein Bruder ein begeisterter Swingsammler war. Er hatte in den 30er-Jahren mit dem Sammeln von Schellackplatten begonnen, insbesondere die amerikanischen Serien Brunswick und Odeon. Mein Bruder erklärte mir die Instrumente und noch während des Kriegs importierte er als Frontkurier aus Holland und Belgien Swingplatten von Basie und Ellington. In dieser Zeit wurde ich zum Hüter seiner Schallplatten. Schon bald hatte ich nichts anderes mehr als diese Musik im Kopf. Swing war exotisch, sensationell, andersartig inmitten des vorgeschriebenen nazistischen Alltags. Im Spielmannszug trommelte ich Marschlieder, gleichzeitig aber baute ich mir mein eigenes Schlagzeug zusammen. Einmal die Woche lud ich meine Freunde zum Plattennachmittag ein und 1944 nahm ich unser Koffergrammophon sogar mit in die Schule. Ich spielte der Klasse Ella Fitzgerald und Chick Webb vor. Ich werde das nie vergessen, weil ich anschließend dafür bestraft wurde. Die Platten wurden zerbrochen, ich musste Strafdienst tun und öffentlich als „Swing-Heini“ ausgelacht werden. Am 13. Februar 1945 fiel beim Großangriff auf Dresden mein Elternhaus zusammen und begrub damit auch die Plattensammlung. Jazzzeitung: Die Jazzszene Dresdens erblühte nach Kriegsende buchstäblich auf einem Trümmerberg. Drechsel: Nach Kriegsende sprachen wir zunächst nicht von Jazz, sondern von Swing. Meine Eltern betrieben ein Antiquitätengeschäft und dort sammelten sich unglaubliche Mengen von Schellackplatten an, darunter vieles, was im Bombenhagel verloren gegangen war. Ich begann meine erste eigene Sammlung aufzubauen. Die Gleichmacherei ging ja nun mit den Blauhemden von vorne los und wieder war Jazz eine Möglichkeit sich abzugrenzen. Das Interesse an der vorher verbotenen Musik war riesig und die Tanzorchester schossen aus dem Boden. Dresden hatte nach dem Krieg über zehn Bigbands. Günter Hörig bestätigte mir im Gespräch, wie viele der damaligen Musiker in den letzten Kriegsjahren Swing über BBC und Radio Hilversum gehört hatten. Nach dem Krieg strahlten die Soldatensender unsere Lieblingsmusik aus und wir hockten uns vor die Radios und notierten die Melodien mit. Die Angst war weg, es erschien uns wie ein Eldorado. Es war eine außergewöhnliche Zeit! Selbst die Schulen hatten zunächst geschlossen und in jedem Lokal wurde schon mittags getanzt. Der Bedarf an Musikern war groß und ich beteiligte mich als Schlagzeuger an den ersten Wettbewerben für Tanzkapellen. NachkriegsszeneJazzzeitung: Wie ging die Sowjetunion kulturpolitisch mit der Nachkriegsszene um? Drechsel: In der Anfangspolitik sollte Moskau auf ein ganzes Land übertragen werden. Die Russen waren sehr interessiert daran, dass die Theater und Tanzsäle öffneten, dass Kultur stattfindet. Ihnen war gar nicht so wichtig, was passierte, solange es live passierte. Kurios! Alle Orchester spielten bald amerikanische Sachen wie „Sentimental Journey“ oder „In the Mood“. Die Bevormundungen und Einschränkungen gingen erst mit der Gründung der DDR 1949 los, als die Deutschen wieder was zu sagen hatten.
In der Antifaschistischen Jugend durfte ich 1946 meinen ersten Swing-Zirkel gründen, um mich mit Kultur zu beschäftigen, die unter den Nazis verboten war. Alle Mitglieder waren unter zwanzig Jahre alt, brachten Schallplatten mit und besuchten gemeinsam Konzerte. Dieser Zirkel wurde 1949 kurzerhand verboten. Die neue Linie kommunistisch organisierter DDR-Kulturpolitik wurde 1950 bei einem anderen Ereignis noch deutlicher. Das Orchester Heinz Kretzschmar war in Dresden die Band schlechthin. Dass ein deutsches Orchester so spielte wie Woody Hermann oder Count Basie war unerhört und der neu aufkommenden politischen Klasse ein Dorn im Auge. Die amerikanischen Bebopper begannen sich damals mit grellen Jackets, umgekrempelten Röhrenhosen und hohen Absätzen zu kleiden. Diese Mode trugen nun auch die Kretzschmar-Musiker auf der Bühne und nur Wochen später ahmte es die gesamte Anhängerschar nach. Man wollte diesen Mann auf vielerlei Weise loswerden. Ende der fünfziger Jahre entfachte eine bestellte Truppe bei einem Konzert eine Keilerei, die von der bereit stehenden Polizei geschlichtet und von der gleich geschalteten Presse aufgebauscht wurde. Kretzschmar erhielt Spielverbot, das erste in der DDR. Das ganze Orchester mit Ausnahme von Günter Hörig emigrierte in den Westen. Die Jugend betrauerte den Fortgang Kretzschmars, und viele Musiker anderer Gruppen reisten gleich hinterher. Die 50er-Jahre wurden eine ganz harte Zeit. „Ami-Titel“ und englische Texte waren auf dem Staatsgebiet der DDR jetzt unerwünscht, der Rundfunk wurde musikalisch gesäubert. Die Sowjets hatten laut Potsdamer Abkommen das Gebäude des Großdeutschen Rundfunks mitten im Westen als Rundfunkgebäude für den von beiden Seiten schwer bewachten Ostdeutschen Rundfunk zugestanden bekommen. Eine groteske Situation, in der ich 1949 eine Stelle in der Hörfunkabteilung als Regisseur antrat. Jazz-ModeratorJazzzeitung: Ihre erste Rundfunklaufbahn war von kurzer Dauer. Trotzdem legten Sie hier den Grundstein für Ihre Karriere als Jazz-Moderator. Drechsel: Ich schloss mich in Westberlin den German Jazz Collectors an und besuchte in Dahlem den AFN, ein für mich umwerfendes Erlebnis. Als dann eine Sendereihe namens „Die Wahrheit über Amerika“ von unserem Sender ausgestrahlt wurde, fragte ich nach, ob dort auch Jazz seinen Platz erhielte. 1952 begann meine Karriere als Jazzmoderator mit zehnminütigen Beiträgen zu dieser Sendung. Wenige Monate später musste das Gebäude geräumt werden, weil der Kalte Krieg ausgebrochen war. Aus „Reorganisationsgründen“ wurde ich entlassen. Aus meiner Stasi-Akte weiß ich heute, dass ich unter Spionageverdacht stand. Jazz PanoramaJazzzeitung: Es folgte ein Intermezzo bis zur zweiten Rundfunkverpflichtung und der Geburt von „Jazz Panorama“. Drechsel: In Dresden war der Kulturbund dem Jazz offen. Ich bot mich dort als Referent an. Weil man jegliche Aktivität einem Träger unterstellen musste und Reginald Rudorf in Leipzig seinen Jazzkreis erfolgreich der FDJ angegliedert hatte, machten wir es ebenso. Die IG Jazz wählte mich zum Vorsitzenden. Wir luden den Westberliner Helmut Brandt für ein Gastspiel ein, aber Berlin war damals Frontstadt und der Auftritt wurde untersagt. Wir zogen deshalb in die Nachbargemeinde Radebeul um, und das Konzert wurde zu einem Riesenerfolg. Die FDJ schäumte. Im gleichen Jahr war der Verdacht auf Spionage gegen mich fallen gelassen worden, ein Hintergrund, von dem ich damals nichts ahnte. Der Ostdeutsche Rundfunk gab mir eine zweite Beschäftigung, bis mir als Nachrichtensprecher ein Fehler unterlief. Eine Meldung namens „In Karl-Marx-Stadt wurde bei der FDJ eine IG Jazz gegründet“ änderte ich um und sagte: „In Karl-Marx-Stadt wurde wie schon zuvor in Dresden bei der FDJ eine IG Jazz gegründet“. Das reichte aus, um als unzuverlässig zu gelten. Erneut war meine Radiozeit beendet, doch es kam noch schlimmer. Rudorf wurde verhaftet, der Leipziger Jazzclub verboten und ein Schauprozess gegen den Jazz inszeniert. Auch unsere Interessengemeinschaft wurde 1957 geschlossen. Rudorf wanderte ins Gefängnis, nichts schien mehr möglich. Erst bei meinem dritten Rundfunkengagement Ende der 50er-Jahre erreichte ich mit simpler Überredungskunst die Genehmigung einer vollständigen Jazzsendung. Der Deutschlandsender der DDR hatte die Zielrichtung Westdeutschland. Ich begründete meine Initiative also damit, dass der westdeutsche Hörer Jazz gewohnt sei. 1959 ging ich mit dem „Jazz Panorama“ auf Sendung, dass ich dreißig Jahre lang bis zur Wende wöchentlich produzieren durfte. Hinzu kam später monatlich die „Jazznacht“. Mit dieser Sendung war ich am 9. November 1989 nachts live beschäftigt, als ein Redakteur mir den Zettel auf den Tisch legte, ich solle ansagen „Die Mauer steht offen“. Ich war ergriffen, als ich diese Meldung in einer Jazzsendung kundtun durfte. Jazzzeitung: Ihre Kontakte zu Jazzkünstlern aus dem Westen nahmen in den 60er Jahren zu. Drechsel: In der Folgezeit habe ich für die Künstleragentur der DDR ausländische Gruppen auf ihren Tourneen durch die DDR begleitet und deren Konzerte moderiert. Höhepunkte der 60er-Jahre waren die Louis-Armstrong-Tournee 1965, das erste Albert-Mangelsdorff-Gastpiel und die vielen Konzerte von englischen Gruppen wie beispielsweise von Chris Barber. Am Ende dieser Tourneen wollten mir die Künstler aus dem Westen stets im Intershop Kaffee kaufen. Ich aber wünschte mir Schallplatten! Daneben waren Tauschpartner eine andere Quelle für die wichtige, aber äußerst komplizierte Musikbeschaffung. Ich schickte die in der DDR reichlich produzierte Klassik ins Ausland und bekam Jazz zurück. Jazzbücher hingegen waren über Westberlin besser zu beschaffen. Das Jazzpodium war insbesondere in den frühen Jahren meine Hauptinformationsquelle über den Jazz im Ausland. Nachdem ich in den 50ern an das Jazzpodium geschrieben hatte, schickte mir Herausgeber Dieter Zimmerle das Heft Monat für Monat nach Dresden. Über die Mauer kam die Zeitschrift zum Rundfunk, manchmal bekam ich sie auch nicht ausgehändigt. Das Jazzpodium war in der Ulbricht-Ära abseits vom Radio eine wichtige Informationsquelle. JazzentwicklungJazzzeitung: Auch in der DDR kündigte sich eine neue Jazzentwicklung an. Wie trugen Sie dem Rechnung? Drechsel: Persönliche Kontakte spielten in der DDR eine bedeutende Rolle. Die guten Kontakte zur Dresdner Konzert- und Gastspieldirektion führten dazu, dass ich dort von 1965 bis 1968 einmal im Jahr unter dem Titel „Großkonzert des DDR-Jazz“ die Elite der Modernen Strömungen auf die Bühne stellen durfte. Lenz, Hörig, Fischer – alle waren dabei. Im ersten Jahr lud ich privat den damaligen Leiter der WDR-Jazzabteilung als Zuschauer ein und drückte ihm illegal einen Mitschnitt des Festivals in die Hand. Er sendete die komplette Aufnahme, etwa wie Joachim Kühn und Luten Petrowsky dort 1965 zum ersten mal „frei“ spielten. Westdeutsche Medien waren fortan beim Großkonzert verboten. 1968 wurde mir die Organisation auf Anweisung durch den Rundfunk entzogen. Der Berliner Friedrichstadtpalast organisierte 1970 unter dem Titel „Jazz am Abend“ ein Konzert mit sieben Gruppen vor 3.000 Zuschauern. Das Interesse war riesig, aber wieder wurde meine Mitarbeit als Stein des Anstoßes genommen. Modern Jazz war anrüchig, er galt zwar nicht mehr als „formalistisch und dekadent“ wie in den 50ern, aber die Entwicklung wurde faktisch ohne Einfluss von oben vorangetrieben, bis er irgendwann nicht mehr ignoriert werden konnte. Jazz war ein Ventil, dadurch erklärt sich seine Massenfaszination. Viele gingen zum Jazz nicht allein wegen der Musik, sondern um „dabei“ zu sein. Der Jazz war ein Gegenpol zur allgemeinen DDR-Entwicklung. KulturpolitikkennerJazzzeitung: Wie funktionierte diese Verbindung aus staatlichem Interesse und kulturellem Engagement? Drechsel: Wenn man sich in der DDR für den Jazz aktiv einsetzen wollte, musste man die Kulturpolitik ganz genau kennen. Was gibt es für Richtlinien und Beschlüsse? Wo kann ich im Sinne eines Parteibeschlusses den Jazz einbeziehen? Als 1964 das große „Deutschlandtreffen“ veranstaltet und die Jugend aus Westdeutschland eingeladen wurde, versammelten sich Hunderttausende von Jugendlichen in Berlin. Also bin ich zur Berliner Stadtleitung der FDJ gegangen und habe gesagt: „Bei einer solchen Veranstaltung darf doch der Jazz nicht fehlen“. Ich durfte der FDJ Vorschläge machen und es kam zum ersten Amateurjazzfestival der DDR in Berlin. Jazzzeitung: Hat die Beat-Entwicklung in diesem Zusammenhang eine Rolle gespielt? Drechsel: Jazz wurde anfangs mit Rockmusik und Zerstörungswut gleichgesetzt. Aber dann übernahm der Rock’n’Roll und die Beatmusik an Stelle des Jazz die Rolle des roten Tuches für den Staat. In dieser Zeit entstanden viele Amateurjazzgruppen, weil man plötzlich nicht mehr so beobachtet wurde. Noch einen größeren Ruck hat der Besuch von Louis Armstrong in der Kulturpolitik verursacht. An Armstrong deutelte keiner herum, nicht einmal das ZK. Erstmals schrieb das „Neue Deutschland“ positiv über Jazz. Armstrong hat nicht geahnt, welchen Anteil er an diesem kulturpolitischen Tauwetter hatte. Ich habe über lange Jahre für den Kulturbund Vorträge vor Studenten und Jugendlichen gehalten unter dem Motto „Jazz: ja oder nein?“ Das Motto hatte das ZK geprägt. Die Leute haben sich dafür stark interessiert, man „agitierte“ für den Jazz. Meine Frau schüttelte immer nur den Kopf: „Muss das sein?“ Angst begleitete viele Aktivitäten. Eine dieser riskanten Abenteuer war unsere Verbindung zu der Organisation „Jazz Lift“. Sie wurde von einem Pfarrer geleitet, transportierte Jazzschallplatten über die Transitstrecke und schmiss die Ladung an vereinbarten Streckenpunkten nachts aus dem Auto. Wir saßen dort im Wald, sammelten die Pakete ein und verschickten die Schallplatten an Adressen in der ganzen DDR. Einige Platten trugen die Anschriften von Spendern in den USA. Leider flog die Organisation 1965 auf. UnterhaltungskunstJazzzeitung: Die große offizielle Anerkennung kam mit dem „Komitee für Unterhaltungskunst“. Drechsel: 1973 wurde das „Komitee für Unterhaltungskunst“ gegründet, was zum einen eine Bevormundung war, zum anderen aber den einzelnen Sparten soviel Möglichkeiten wie nie zuvor bot. Der Jazz wurde zum ersten Mal als „eigenständige Kunstform im Ensemble der Künste“ anerkannt. Conrad Bauer war im „Komitee für Unterhaltungskunst“ der erste Vorsitzende der „Sektion Jazz“, ich sein Stellvertreter. Auf einmal gab es Geld für Workshops und Tourneen. Diese Aktivitäten führten in den 80er Jahren auch zur Veranstaltung der ersten „Jazztage der DDR“ in Weimar. Die Jazzwerkstatt Peitz wurde den Autoritäten wegen dem wild anmutenden Free-Jazz-Publikum und dem internationalen Zuspruch langsam unheimlich. Organisator Uli Blobel bekam Schwierigkeiten durch die Behörden, emigrierte in den Westen und hinterließ eine Lücke. Die „Sektion Jazz“ organisierten daraufhin die „Jazztage der DDR“ und lud über 300 Jazzmusiker ein. Alle waren da, vom Amateurjazz der Oldtime-Szene über die Hochschulen bis hin zur Avantgarde. Alle städtischen Bühnen standen uns zur Verfügung. Reisen, Unterbringungen, Proberäume – all das wurde bezahlt. Petrowsky hat sich lautstark über Musiker erregt die sich unterbezahlt fühlten. Mit einigem Recht fragte er: „Wisst ihr eigentlich, was dass hier für uns bedeutet?“ Es gab bereits einen Generationenkonflikt im DDR-Jazz, die jungen Leute erinnerten sich nicht an die Probleme der 50er-Jahre. Jazzzeitung: Die zweiten Jazztage der DDR fanden bereits in der Zeit der DDR-Auflösung statt. Drechsel: Während das erste Jazzfestival ausverkauft war, spielte sich das zweite ohne Publikum ab. Die einzigen Gäste waren im November 1989 eine Woche nach Maueröffnung eine Hand voll Westjournalisten und der RIAS Berlin, der aus dem Ü-Wagen sendete. Ich werde diese absurde Situation nie vergessen. Anschließend war es vorbei mit dem Geld und der DDR-Jazzszene. Trotzdem war die Maueröffnung das Beste, was uns beschert hätte werden können. Nach der ÖffnungJazzzeitung: Was fällt Ihnen als erste Verbesserung Ihres Lebens nach der Maueröffnung ein? Drechsel: Dass ich kein Manuskript mehr vor meinen Sendungen zeigen muss. Mein Frau hat gesagt: „Es muss mir jetzt keine Angst mehr machen, dass du dich für Jazz interessierst.“ In den 90er-Jahren übernahm ich die künstlerische Leitung diverser Festivals in Ost und West und setzte die Moderation des Internationalen Dixieland Festival Dresden fort. Ausgerechnet jetztJazzzeitung: In Ihrer Ansprache bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes äußerten Sie Verwunderung, darüber „ausgerechnet jetzt“ ausgezeichnet zu werden. Drechsel: Als Nichtmusiker einen Preis zu bekommen, dieser Gedanke
wäre mir nie gekommen. Interview: Al Weckert
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