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Jazzzeitung

2004/03  ::: seite 1

titelstory

 

Inhalt 2004/03

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
musiker-abc:
Joe Venuti
no chaser:
Sucht den Superstar!
jäzzle g’macht:
Liebeskummerjazz
farewell: Hans Koller / / Czeslaw Niemen // Die Jazzzeitung verabschiedet sich von ...


TITEL / DOSSIER


Titel: Vielfalt und Dichte
Wolfgang und Christian Muthspiel
Dossier. Zwischen allen Fronten
Bewegtes Leben: der Rundfunkjournalist Karlheinz Drechsel


BERICHTE


Dirk Berger und seine Mission in Sachen Groove // Berliner Jazz-Quintett Olaf Ton in Dachau // Wolfgang Dauner in Fürstenfeldbruck // Bossa Nova Legenden in Ingolstadt //


 JAZZ HEUTE


Eine Schönwetter-Musik
Thema Plattenindustrie – die Majors und der Jazz, Teil I
Jazz 2010
Kulturhauptstadt wird greifbar


 PORTRAIT / INTERVIEW


Bob Rückerl // Mercedes Sosa // Joachim Kühn // Trovesi


 PLAY BACK / MEDIEN


Raritäten aus der Free-Jazz-Welt
Manfred Eichers Label ECM setzt seine Serie :rarum fort
CD. CD-Rezensionen 2004/03
Bücher.
Peter Niklas Wilsons letzte Veröffentlichung zur „Reduktion“ // Bücher über Attila Zoller und Charlie Christian
Noten. Noten für Altsax, Geige und ein Real Jazz Book
Instrumente. Epiphone Emperor II „Joe Pass“
Medien. One-Man-Show der Superlative
Ein Gespräch mit Uwe Leiber von Jazz-network.com und Jazzradio Stuttgart
Medien. link-tipps


 EDUCATION


Abgehört. Wegweisend in Hard- und Bebop

Freiburger Schüler-Jazzorchester zwanzig Jahre

Regensburger Music College lädt zum Tag der offenen Türe


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2004/03 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (508 kb))

Vielfalt und Dichte

Wolfgang und Christian Muthspiel

Es ist zwar nicht seine Art, aber in seiner illustren Gitarristenlaufbahn hat Wolfgang Muthspiel (geboren 1965) schon mehrfach Furore gemacht, dies- wie jenseits des Atlantiks – 1988 zum Beispiel. Da rief Gary Burton den 23-jährigen Österreicher auf den vielleicht begehrtesten Posten, den der Jazz einem Gitarristen zu bieten hatte: Die Nachfolge Pat Methenys, den Muthspiel noch heute, als er sich längst von diesem übermächtigen Vorbild gelöst hat, als seinen Helden und als „wichtigsten Musiker auf der Gitarre“ bezeichnet.

Foto: virtuose Brüder: Posaunist Wolfgang (li.) und Gitarrist Christian Muthspiel

Furore machte Muthspiel auch die vergangenen Jahre. Als angesagter Duo-Partner der noch angesagteren Sängerin Rebekka Bakken, als Preisträger (European Jazz Prize 2003), vor allem aber als unberechenbarer Tausendsassa, der sich in einer solchen Vielzahl von Projekten tummelt, dass es manchmal schwer fällt, mit Wolfgang Muthspiel Schritt zu halten.

Auf „Quinton“ hat er 2002 die „Real Book Stories“ (Q-0101-2/EFA 63201-2) herausgebracht – Muthspiels im engeren Sinne vielleicht jazzigstes Projekt mit Aufnahmen von Jazz-Standards wie „Solar“ oder „Someday My Prince Will Come“, die Muthspiel als „Gespräche über Jazz-Standards“ verstanden wissen möchte. Mit den gleichen Gesprächspartnern – Brian Blade (Schlagzeug) und Marc Johnson (Bass) – und auf dem gleichen Label kommt demnächst die Fortsetzung dieser „Real Book Stories“ heraus.

Und dann wären da noch die stets edel verpackten Aufnahmen, die Muthspiel auf dem eigenen Label „material records“ (www.materialrecords.com) veröffentlicht. Allein 2002 waren das vier CDs. „Ich wollte einfach Dinge, die mich beschäftigen und die ich gut finde, produzieren. In dieser Vielfalt und Dichte könnte ich das sicher nicht auf einem anderen Label herausbringen“, sagt Muthspiel. Die Sorge, dass das eigene Label auf Kosten der eigenen Musik gehen könnte, teilt Muthspiel nicht: „Natürlich ist ein Label auch ein Geschäft. Und es bringt nicht nur Spaß. Aber ich war noch nie so produktiv wie jetzt. Und dabei nutze ich meine Zeit bei weitem noch nicht aus.“

Von Wolfgang Muthspiels vielen Unternehmungen ist das Duo mit dem älteren Bruder, dem Posaunisten und Komponisten Christian Muthspiel, das Projekt, in dem der Gitarrist am längsten und intensivsten spielt. 1983 gab das „kreativste Jazz-Brüdergespann Europas“ (Roland Spiegel/„Die Abendzeitung“) sein erstes Konzert. 20 Jahre später hat sich das Duo mit elektronischen Mitteln zur vielstimmigsten Zweierbegegnung der improvisierten Musik entwickelt, das sich auf „early music“ (material records 007-2) mit dem Sound der eigenen Jugend und dem musikalischen Erbe des verstorbenen Vaters – eines Chorleiters im steirischen Judenburg – auseinander setzt. „Wenn wir nicht auf dem Berg waren, haben wir gesungen. Verschärfte Version: Singen auf dem Berg“, sagt Wolfgang Muthspiel, wenn er beim Konzert den Posaunenjodler „Calling You“ ankündigt. Ein Posaunenjodler, der improvisierend Lieder aus der Jugend wie „Der Hirschauer“ oder „Südtiroler Dui“ umkreist. So wie alle Aufnahmen dieser CD um Trigger kreisen, um auslösendene Klangfragmente der eigenen Jugend, als diese noch nicht vom Jazz erfasst war. Klang-Trigger, das sind auf „early music“ A-capella-Aufnahmen und Chormusik aus der Renaissance, Volkslieder und Alpenländisches. Wolfgang und Christian Muthspiel spielen auf dieser CD nicht nur Gitarre/Violine und Posaune/Klavier, sondern auch mit Loops, Sequencern, Delays und allem, was moderne Musikelektronik sonst noch so hergibt. Der entscheidende Unterschied zu so vielen anderen Projekten, die elektronische Klänge mit Improvisation auf akustischen Instrumenten zu verbinden versuchen: Bei Muthspiel & Muthspiel klappt das auch live; die Elektronik gewinnt nicht als Improvisations- und Spontanitäts-Killer die Oberhand, sondern dient als Erweiterung der Instrumente dazu, im Duo Mehrstimmigkeit und größere Dichte zu erzeugen. Wolfgang Muthspiel, der sich selbst „überhaupt nicht als Technikfreak sieht“, nennt als Ausgangspunkt ihrer elektronischen Ausflüge „musikalische Sehnsüchte“: „Aus der kargen und schon etwas unzugänglichen Besetzung von Gitarre und Posaune wollten wir etwas machen, das fesselt. So kam es zu Überlegungen wie: Es wäre schön, wenn diese Line weiterliefe und ich noch etwas darüber spielen könnte. Wie mache ich das? Aus solchen Überlegungen hat sich ergeben, dass man sich ein Effekt-Kasterl kauft. Und dann noch einen Sequencer. Wenn du dich lange und intensiv damit beschäftigst, wird so ein Effekt zu einer wirklichen Erweiterung des Instruments. Auf einmal ist der Moment, in dem man auf das Loop steigt, nicht wesentlich anders, als wenn man einen Akkord spielt.“

Claus Lochbihler

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