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Der Klarinettist, Saxophonist, Bandleader, Komponist, Arrangeur und einfach nette Mensch Gianluigi Trovesi aus Bergamo in Norditalien, der Anfang Januar seinen 60. Geburtstag gefeiert hat, ist seit vielen Jahren für außerordentliche Produktionen bekannt. Man denke nur an das mitreißende Shakespeare-Projekt „Round About A Midsummer’s Dream“ aus dem Jahr 2000. Nun hat er sich mit der neuen CD „Fugace“ bei ECM eine Art Vermächtnis gegönnt, „oder um diesen etwas seltsam klingenden Ausdruck zu umgehen, eine Art ideologische Entwicklungslinie für meine nächsten Jahre.“
Aufgeführt hat er es beim letztjährigen ECM-Festival in Dornbirn, wo auch Gelegenheit bestand, mit ihm darüber ein Gespräch zu führen. Die Grundsubstanz der Aufnahme stammt von einem Kompositionsauftrag für das Festival in Vicenza, mit dem er eine Art Dedikation an Louis Armstrong verbinden musste. In den Nachkriegsjahren aufgewachsen, als nicht nur die amerikanische Zivilisation, sondern auch Kulturprodukte wie der Jazz über den Atlantik kamen und ihren Siegeszug in Europa antraten, sind ihm bis heute die Armstrong’schen Fanfaren und Scats noch im Ohr, die sich epidemieartig auch in Italien verbreiteten. „Leider habe ich damals verpasst, ihn persönlich zu erleben, sowohl in Mailand als auch in Bergamo. Aber immerhin wurde sein in San Remo aufgenommenes Konzert im italienischen Fernsehen übertragen.“ Wie eine Art Prozesssion lässt Trovesi auf „Fugace“ all die Helden seines musikalischen Lebens wie auf einer Bühne aufziehen und wieder abtreten. Er vermischt aber nichts, sondern bedient sich der Form eines regelrechten Medleys, dem er den äußeren Rahmen des italienischen Theaters gibt. Neben den gewichtigen Themen tritt in den Pausen der Harlekin in Gestalt einer Scarlatti-Persiflage mehrfach unter dem Namen „Siparietto“ in Erscheinung, mit Hilfe eines ans Herz gehenden Cembalo-Samples, das aber auch vom Ensemble in „Siparietto I“ orchestral verarbeitet wird. Alle Überhöhungen, zum Beispiel in der Gestalt des Orfeo, Erinnerung an Monterverdis Gewalttat, die erste Oper zu komponieren, ebnet Trovesi wieder ein, dies schon mit der Namensgebung der CD und des Titelstücks: „‚Fugace‘ bedeutet etwas, das, wenn man darüber redet, schon vergangen ist. Ich benutze diese humoristischen Dinge gerne, gerade dann, wenn man der Meinung ist, dass etwas ganz besonders wichtig ist.“ Die Instrumentierung (drei Bläser, drei Streichinstrumente, zwei Mal Bass und Cello, und zwei Mal Percussion und Schlagzeug) nutzt Trovesi, um die wesentlichen Elemente seines „Testaments“ herauszuarbeiten: „Percussion für die zeitgenössische Musik, andere Kulturen wie die afrikanische, der E-Bass für den Jazz, die beiden anderen Streicher für die europäische Streichmusik vergangener Jahrhunderte, Trompete für den Jazz wie auch die Posaune, die aber auch wichtiges Stilmittel für die europäische Musik als Fanfare ist. Und die Klarinette ist der Schlüssel, um alle musikalischen Räume und Welten zu betreten.“ „Fugace“ befindet sich in ständiger Entwicklung, schon die Studioaufnahme war anders als das Liveerlebnis vor über zwei Jahren, erweitert über die Armstrong-Reminiszens hinaus. In einer ersten großen Folge der wichtigsten Themen seines Lebens führt er auf die ihm typische Art in den Jazz ein („As Strange As A Ballad“), legt Fährten und Wegweiser, denen man leicht durch die Jazzkeller bis zu Charles Mingus folgen kann. Nach „Orfeo“ schlägt er den großen Bogen in die aktuelle „Weltmusik“, indem er mit „African Triptych“ den großen Einfluss der Musik des Schwarzen Kontinents zitiert. Mit „Canto di Lavoro“ ist er schon bei Louis Armstrong, bearbeitet auf geniale Weise dessen West- End-Blues-Kadenz: Bevor dieser dann natürlich aus der Retrospektive („Blues and West“) auftritt, gibt es aber noch ein augenzwinkerndes Selbstporträt („Clumsy Dancing of the fat bird“): Größe ist, über sich selbst lachen zu können! „Il Domatore“ ist der Dompteur mit und ohne Tiger (doppelter Bezug: Tiger Rag und die Klarinette als Dirigent, Dompteur des Geschehens). Die Armstrong-Prozession ist vorüber, aber noch nicht Trovesis Testament. Es gibt noch Bartók („Fugace“), bevor dann Toto, der große und unvergessene Clown, alias Fulvio Maras an den Percussions, sich zur großen Reise in die Karibik aufmacht, gefolgt von der Abschlusspromenade der Band. Wahrhaft großartige Musik, die alle Vorzüge europäischer Musik und ihre Bezüge zur amerikanischen Musik auf geniale Weise offen legt, wie man sie besser nicht verständlich machen kann. Kein Wunder, dass die italienischen Journalisten „Fugace“ zur italienischen Jazzplatte des Jahres 2003 gewählt haben. Hans-Jürgen von Osterhausen
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