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Es gibt wohl keine bessere Zeit für unglückliche Verliebtheit
als den Frühling in unseren mittleren Breitengraden. Die Luft beginnt
bereits warm zu werden und ist doch noch nicht heiß, die Kältestarre
lässt also allmählich nach, die allzeit heitere Grillstimmung
hat jedoch noch nicht eingesetzt. Die Sonne verhindert größtenteils
Suizidgedanken und macht den Geist frei, sich nach Lösungen für
das selbstverständlich offenkundig unlösbar scheinende Problem
– und um nichts anderes dreht es sich ja bei Liebeskummer –
umzusehen. Was aber ist mit dem Jazz? Die etwas zwiespältige Antwort liefert der Plattenmarkt: Im letzten Jahr erschien, eingebunden in die Reihe „Kuschelrock“, der erste Sampler mit dem Titel „Kuscheljazz“. Jazz, dargestellt als klischeehaft smoothe, unaufregende Hintergrundmusik. Die Kommentare des Liebespaares, dass sich die CD in einem Anfall von musikalischer Abenteuerlust gekauft hat („Ui, schau, da ist auch Norah Jones drauf! Komm, wir probieren jetzt mal, wie Jazz so ist...“), sind vorprogrammiert und nicht minder klischeehaft wiederzugeben: „Guck mal, da ist auch George Michael drauf! Ist das dann auch Jazz?“ Zumal Herr Michael „Roxanne“ von der Polizei covert, Popkünstler covert also Popsong. Hört sich wohl eher nicht nach Jazz an, aber man will ja nicht so sein. „Ah, toll, Robbie Williams auch!“ Ja, Herr Williams covert „Mr. Bojangles“, singt also über einen afroamerikanischen Stepptänzer, der ihn zur Musik inspiriert. Romantisch? Nein, eher nicht. Der Begriff „Kuscheljazz“ war wohl ein semantischer Schnellschuss eines voreiligen Kompilators. Wirklich romantisch wird es erst, wenn gesungen wird, vornehmlich von
einer Frau. Da ist sie wieder, die Krux des Jazz. Instrumente können
das Gefühl von Liebe und Enttäuschung bei weitem nicht so detailliert
ausdrücken, wie es unsere Stimme tut. Sicher, Miles Davis hat mit
„My funny valentine“ schon eine sehr deutliche Sprache gesprochen,
und auch John Patituccis „The four loves“ lässt einen
die Liebe in jedem einzelnen Ton hören. Aber der Herzschmerz, den
vermeintlich harte Rocker wie die US-amerikanischen Weezer in ihrem „Say
it isn’t so“ herauslassen, den vermag der (Instrumental-)Jazz
aus irgendeinem Grund so gut wie nie auszudrücken. Sucht man nämlich nach liebesschwangerem Iatz, wird man in erster
Linie bei weiblichen Interpreten fündig: Rebekka Bakken, Silje Nergaard
und – natürlich – Norah Jones. Was offenbar dem verantwortlichen
Kompilator der „Kuscheljazz“-CD aufgefallen sein muss, die
letzten beiden genannten sind nämlich auf dem Sampler vertreten.
Was sich allerdings auch zeigt, ist dass offenbar nur die jüngste
Generation es schafft, so vielschichtig mit dem Thema „Gefühle“
umzugehen. Die „alten Hasen“ hatten den Dreh irgendwie noch
nicht so raus. Im NuJazz sucht man die Liebe dann jedoch im Übrigen
vergebens. Sie ist offenbar nicht vorhanden, alles, was zu finden ist,
ist sterile Geilheit. Perfekt geföhnte Stilettoträgerinnen,
die mit koksgeblähten Nüstern das Kamasutra durchhecheln. Mag
ja ganz nett sein, ist aber hier nicht Thema. „Liebeskummerjazz“ dagegen ist fast nicht zu finden. Ein Vakuum, das der englische Jazznewcomer Jamie Cullum im Übrigen zu ändern scheint: Seine Version von Jeff Buckleys „Lover, you should have come over“ ist eines der (zumindest meiner persönlichen) musikalischen Highlights dieses Frühjahres und in jedem Fall eine originellere Art, einen Künstler zu covern, als es etwa Miles Davis mit Cindy Laupers „Time after Time“ gemacht hat. Womit wir allerdings wieder beim „Kuscheljazz“ angelangt wären, und das wollen wir ja nicht. Dieser Jamie Cullum und auch die wunderbar traurigen Kompositionen von Rebekka Bakkens letztem Longplayer seien somit jedem empfohlen, der sich dieser Tage seinem Schmerz hingeben möchte. Und wenn der Frühling vorbei ist und im Liebesleben alles glatt läuft, braucht man diese Musik im Idealfall spätestens im Frühsommer sowieso nicht mehr. Sebastian Klug |
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