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Mit Hans Koller verstarb am 22. Dezember der führende europäische Tenorist der Cool-Jazz-Ära. Für die deutschsprachigen Musiker der 50er-Jahre war Koller, wie es Joe Zawinul formulierte, geradezu „unser Gott“. Selbst in Amerika erlangte der Musiker solche Bekanntheit, daß dort ein Artikel über Jazz in Deutschland mit „Jazz in Kollerland“ überschrieben wurde. Wenn US-Stars wie Lee Konitz oder Zoot Sims in Deutschland gastierten, dann war Hans Koller oft mit von der Partie, als einer der wenigen, die in unseren Breiten auf deren Niveau, (das heißt auch mit eigenständigem Personalstil!), mithalten konnte. Und er paßte blendend zu ihnen. Der Künstler aus Wien zählte zur modernen Lester Young-Schule, zu der in Amerika Tenoristen der „Four Brothers“ – Richtung gehörten, Musiker wie Al Cohn und Stan Getz. Gleichzeitig verband ihn viel mit der Lennie-Tristano-Schule, deren saxophonistische Aushängeschilder Lee Konitz und Warne Marsh waren. Trotz dieser Verbundenheit mit amerikanischen Musikströmungen stand Hans Koller für die Emanzipation, die Abnabelung des europäischen Jazz vom Geburtsland des Jazz. Viele der begabtesten Musiker jener Zeit, etwa Joe Zawinul, Rolf Kühn oder Jutta Hipp suchten ihr Glück in den Staaten. Nicht so Hans Koller. Obwohl seine erste Platte in den USA erschien und dort Aufsehen erregte, besuchte er erst über ein Vierteljahrhundert später die Staaten. Er hätte in Amerika Karriere machen können, verbrachte aber seine Laufbahn in Europa, davon 20 Jahre in Deutschland. Er hätte beim Cool Jazz bleiben können, doch führte ihn sein Weg zu freieren Musikformen und zur Malerei, wodurch er etwas aus dem Blickfeld geriet. In seinem Geburtsland Österreich hat man ihn freilich nie vergessen. 1986 erhielt er als erster Jazzmusiker das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um das Land Wien. 1996 erhielt er als erster den nach ihm benannten, bekannten österreichischen Jazzpreis. In Wien erblickte Hans Koller am 12. Februar 1921 das Licht der Welt. Schon früh erwachte sein Interesse für die Musik, das von seinem Vater, einem Eisenbahner nach Kräften gefördert wurde. Als er als 14-jähriger sein Klarinettenstudium an der Wiener Musikakademie begann, war er schon so weit, daß er gleich beim 5. Semester anfangen konnte. 1939 schloß er das Studium ab. Schon vor dem Krieg gründete er Jazzgruppen. 1940 musste er in die Armee. In der Kriegsgefangenschaft gründete er eine Lagercombo, die so gut war, daß ihn die Amerikaner angeblich deshalb als einen der letzten heimkehren ließen. Dann trat er in den Hot Club Vienna ein, den er später leitete. 1950 übersiedelte er nach Deutschland, wo er für kurze Zeit in Freddie Brocksiepers Septett spielte. Dann gründete er ein Quartett, dem der Bassist Shorty Roeder, der Drummer Karl Sanner und die im vergangenen April verstorbene Pianistin Jutta Hipp angehörten. Mit diesem Quartett spielte Hans Koller 1952 in München jene Aufnahmen ein, die als erste eines europäischen Jazzmusikers ihrem Schöpfer die Höchstwertung im Fachmagazin Downbeat einbrachten: Fünf Sterne. „Viele Jazzfans wird es schockieren zu erfahren, dass in Deutschland moderner Jazz dieses Kalibers existiert”, schrieb der bekannte Jazzkritiker Leonard Feather darüber. Danach leitete Koller die New Jazz Stars, ein passender Name, gehörte auch der junge Albert Mangelsdorff zur Band. 1953, nach dem Tod Django Reinhardts, war Hans Koller, die europäische Antwort auf Stan Getz, sicher der meistbeachtete europäische Jazzmusiker. Eine Tour Dizzy Gillespies mit Hans Kollers New Jazz Stars brachte 1953 den Durchbruch. Seit dieser Zeit kam es in den 50er-Jahren immer wieder zur Zusammenarbeit mit bekannten amerikanischen Musikern, so mit Dizzy Gillespie (1953), Bill Russo (1955), Lee Konitz und Stan Kenton (1956) und Benny Goodman (1958). Zunehmende Bedeutung für Kollers Band Mitte der 50er-Jahre bekam der Wiener Musikwissenschaftler, Komponist und Pianist Roland Kovac, der auch mit seinen Arrangements den Sound der mit kontrapunktischen Stimmengeflechten beeindruckenden Combo entscheidend beeinflusste. Zugleich Höhepunkt und Sonnenuntergang der europäischen Cool-Ära war in den späten 50er-Jahren ein Quartett Kollers, dem Attila Zoller sowie der Bassist Oscar Pettiford und zeitweise der Schlagzeuger Kenny Clarke, also zwei amerikanische Bebop-Pioniere, angehörten. 1957 wirkte er in der von Eddie Sauter geleiteten Big Band des Südwestfunks, von 1958 bis 1965 leitete Koller die Workshops des NDR. 1960 wurde er beim legendären Jazzfestival in Antibes als bester Jazzmusiker überhaupt ausgezeichnet. Im Laufe der 60er-Jahre war Kollers Musik so komplex geworden, daß er merkte, kein anderer werde sie wohl so adäquat interpretieren würde wie er selbst. Also stürzte er sich bei Plattenaufnahmen gerne via Playback-Verfahren in Kollektivimprovisationen. 1970 kehrte der Saxophonist, der 20 Jahre in Deutschland gelebt hatte, nach Wien zurück und gründete die Gruppe Free Sound, zu der unter anderem Wolfgang Dauner und Zbigniew Seifert gehörten. Zwischen 1975 und 1980 leitete Koller die International Brass Company, der unter anderem sein alter Spielgefährte Albert Mangelsdorff und Kenny Wheeler angehörten. Zu einer seiner späten Formationen gehörte auch ein siebenköpfiges Saxophon-Ensemble, in dem alle Saxophone vom Sopranino bis zum Bass-Sax vertreten waren und sich kollektiver Improvisation hingaben. Übrigens spielte er selbst nicht nur Tenor, sondern beherrschte auch die anderen Instrumente der Saxophonfamilie. In den 90er-Jahren trat Koller nur noch vereinzelt auf, lebte zurückgezogen mit seiner Malerei. So steht zu befürchten, dass inzwischen eine ganze Generation junger Jazzhörer- und Musiker herangewachsen ist, die ihn nur noch dem Namen nach kennt. Das wäre schade, denn Koller war nicht nur eine Vaterfigur unserer Jazz-Szene, er verfügte – vom ureigenen Sound zur künstlerischen Kompromisslosigkeit – im Übermaß über Jazz-Tugenden, die in Vergessenheit zu geraten drohen. So besaß Hans Koller in Vollendung die Gabe, lange Improvisationen aus dem Ärmel zu schütteln, in denen jeder Ton saß und mit stimmiger Notwendigkeit aus dem Vorherigen zu folgen schien und deren Wendungen trotzdem überraschend wirkten. Als er sich (ähnlich wie seine Freunde Mangelsdorff und Zoller) nach der Cool-Ära freieren musikalischen Gefilden zuwandte, blieb ihm diese Kreativität und die Fähigkeit zu swingen erhalten. „Wenn ein Jazzmusiker das Gleiche spielt wie vor 30 Jahren, dann spielt er 30 Jahre schlechter“, meinte Koller einmal. „Stillstand im Jazz ist ein Rückschritt.“ Marcus A. Woelfle |
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