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Jazzzeitung
2002/07-08 ::: seite 13
portrait
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Die Musik der Welt ist viel größer als die Weltmusik, sagte Gil daheim in Rio, dessen musikalisches
Werk für sein Land ganz ohne Übertreibung so bedeutend ist wie Sergeants Peppers Lonely Hearts Club
für die westliche Welt. Der vielleicht wichtigste Musiker Brasiliens hat seine Karriere vor 40 Jahren begonnen.
Sein neues Album Kaya NGan Daya klingt ungebremst lebendig. Auch wenn das Song-Material nicht Gils
eigenes ist. Kaya NGan Daya ist eine Kompilation seiner liebsten Stücke von Bob Marley
keine neuen Interpretationen, keine Experimente, schlicht eine Hommage.
Jazzzeitung: Als Bob Marley sein Album Kaja veröffentlichte, wurde ihm vorgeworfen, es sei
soft und zu kommerziell...
Gil: Kaya ist eines der Alben, die ich am meisten verehre. Das hat viel mehr mit Musik zu tun als
mit Kommerz. Das gleiche gilt für Marley. Ganz abgesehen davon, dass er natürlich ein Kämpfer war,
war er Musiker. Sein allererstes Ziel war Musik. Als Kunst, nicht als Kampf. Musik ist nicht Politik. Jedenfalls nicht
als erstes. Sie kann Kampf und Politik transportieren, aber nur, wenn sie zuerst als Musik funktioniert. Bob Marley
war jemand, der solche Musik schreiben konnte. Der Vorwurf, Kaya sei zu soft, entstand, weil alle von
ihm erwarteten, dass er immer mit einer versteckten Waffe in der Hand Musik macht. So war er natürlich nicht
immer. Auf Kaya ist er ganz Musiker. Ohne Waffe.
Jazzzeitung: In Los Angeles nahmen Sie das Album Nightingale auf. Das war 1979. Darauf ist auch
schon ein Marley-Song zu finden, ein Cover von No woman no cry Não chore mais.
Gil: Das war für viele Menschen in Brasilien ein sehr politischer Song. Es war dieser ganz, ganz wichtige
Moment, in dem die Diktatur in meinem Land kippte. Wir waren an der Grenze zu etwas Neuem. Der Song half, dieses Gefühl
stark zu machen, das Gefühl etwas Neues aufzubauen und die Vergangenheit zu überwinden.
Jazzzeitung: Was diese Wirkung angeht, sind karibische und brasilianische Musik nicht weit voneinander entfernt.
Warum?
Gil: Gegen das Establishment zu kämpfen, gegen konservative, reaktionäre Einstellungen, gegen Repression
der Kampf gegen all das macht unsere Musik sehr ähnlich. Besonders wenn man sich den Tropicalismo anschaut.
In den 60er-Jahren haben wir die alten Traditionen der brasilianischen Musik neu entdeckt, haben sie mit Reggae, Jazz,
Rock, mit Samba und Bossa Nova zusammengeführt, und etwas ungeheuer Kraftvolles geschaffen. Tropicalismo war
ein romantischer Krieg. Genau wie Reggae. Deshalb ist die lateinamerikanische Musik auch für die Europäer
so spannend. Weil unsere Sache noch nicht abgeschlossen ist. Ich glaube, das ist in der Musik zu spüren. Sie
erzählt von einem Haufen Jungs und Mädels weit, weit weg in der dritten Welt. Die scheinen dazu auserkoren,
ihre Leben dafür ins Feuer zu werfen, alles in ihren Ländern zu erneuern. Das zu spüren kann wichtig
sein für Europa. Das hat etwas Geschichtliches für die alten Länder, in denen das alles schon seit
Jahren vorbei ist.
Jazzzeitung: Weg von der Geschichte ein Blick in die Zukunft: Nach einem gecoverten Reggae-Album ist
das nächste...?
Gil:
noch nicht designed. Ich habe mindestens drei Ideen. Ich könnte mal wieder eine Samba-Platte
aufnehmen. Oder ein Album mit all den Songs, die ich in den letzten Jahren angefangen und liegen lassen habe. Es hat
ja fünf Jahre gedauert, bis Kaya NGan Daya fertig war. Und die dritte Idee ist,
ich weiß
gar nicht mehr
, es wird wieder lange dauern.
Interview: Michael Zuchold
Tourtermine
7.7. Berlin, 14.7. Bonn, 16.7. Hamburg, 18.7. München (Münchner Klaviersommer)
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