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Selbst die Mitglieder des Orchesters sollen sie gehasst haben, die sperrigen, grausam schweren Kompositionen Bill Russos. Aber Kenton war nun mal der Boss und der liebte die progressiven Klänge, die er wiederholt bei Arrangeuren bestellte, die mit Jazzigem wie Populärem gleichermaßen auf Kriegsfuß standen. Manch monströse Ausgeburt wütender Stahlgewitter bot weder Raum für Improvisation noch einen swingenden Grundrhythmus: Kaum zu glauben, dass die Kenton-Band in der Pearl-Harbour-Ära als Tanzorchester begonnen und danach mit so eingängigen Nummern wie dem Peanut Vendor landesweite Beliebtheit erlangt hatte. Bei Nummern wie Artistry In Rhythm oder Eager Beaver (1943) hatte Kenton seine Band nicht selten als Komponist, Arrangeur und Klaviersolist in Personalunion befehligt. Einige dieser Funktionen delegierte er dann an so ambitionierte Männer wie Pete Rugolo, Bob Graettinger oder eben Bill Russo. Sicherlich waren es in einer Zeit allgemeinen Big-Band-Sterbens gerade die instrumentalen Herausforderungen, die einen steten Strom junger Solisten in das Orchester lockten. Auf diesen Sessions von 1953/54 ist es nachdem ein gewisser Charlie Mariano noch keinen nachhaltigen Eindruck hinterlässt Davey Schildkraut, ein hoch begabter, lyrisch gestimmter Parker-Adept, der gegen Ende der 50er-Jahre unbegreiflicherweise in der Versenkung verschwand. Die Karriere eines anderen Altsaxophonisten war dafür umso länger: Gegen Ende der CD absolviert ein junger und virtuoser, vom Temperament her eher verhaltener Bopper namens Lee Konitz gleich vier Soloauftritte in Folge, nachdem der eigentlich ebenfalls gebuchte Charlie Parker aus vertraglichen Gründen nicht mitwirken durfte. Womit wir beim zweiten Teil des Showcase wären der Bill-Holman-Abteilung, welche im Gegensatz zu den mehrheitlich statisch-verkopften Machwerken Russos die Zeit so gut wie unbeschadet überstand. Es wird kein Zufall sein, dass Holman bis zum heutigen Tag aktiv geblieben ist und dabei auch noch einen blendenden Ruf genießt. Sicher wirkt der klangliche Eindruck ein wenig plump, auch schleichen sich (beim durchkomponierten Theme and Variations) akademische Assoziationen ein. Doch Holmans Musik zwingt niemandem Kollektivismen auf; im Zweifel lässt sie vitalen Bewegungsimpulsen freien Lauf. Die geballte Big-Band-Power der Clarke-Boland Big Band bildete so etwas wie die maskuline Antithese zur Gil-Evans-Tradition, die momentan idealtypisch von Maria Schneider repräsentiert wird. Von einem so kräftig swingenden, die ganze Unternehmung unerbittlich vorwärts peitschenden Schlagzeuger wie Kenny Clarke kann jede Großbesetzung nur träumen. Dessen eminente jazzhistorische Rolle als Bebop-Pionier muss heute niemandem mehr nahe gebracht werden. 1962, zum Zeitpunkt dieses zweiten, damals unbetitelten Atlantic-Albums, firmierte das 21-Mann-Orchester aber noch als Francy Boland Big Band. Der belgische Pianist, Komponist und Arrangeur ist seit Auflösung der CBBB im Jahre 1973 zunehmend in Vergessenheit geraten. Dabei gelang es ihm wie keinem Zweiten außer Ellington, seine Musik im Hinblick auf die spezifischen Stärken seiner internationalen Solisten zu entwerfen. Auch als Architekt ausgewachsener Suitenwerke stand er dem Duke in nichts nach; Werke wie Faces, All Blues oder Change Of Scenes (für Stan Getz) zeugen von seiner Könnerschaft. Aber welchen kreativen Kopf würden Asse wie Benny Bailey, Idrees Sulieman, Derek Humble, Sahib Shihab oder Ake Persson (um nur eine Hand voll zu nennen) nicht zu Großtaten inspirieren? Amerikanische Gesangsfreunde verehren den einstigen Velvet Fog Mel Tormé seit über fünf
Jahrzehnten; bei uns blieb der geschmackssicher scattende Crooner mit dem beneidenswert präzisen,
swingenden Timing bis zu seinem Tod 1999 stets ein Geheimtipp. Nun sind seine beiden letzten, 1988 im Abstand von
nur vier Monaten mit dem ebenfalls 1925 geborenen Marty Paich und seinem seltsamerweise zwölfköpfigen Dek-tette
eingespielten Platten Reunion und In Concert Tokyo als Doppel-CD greifbar. Auf unterschiedliche
Labels verteilt, profitierten deren frühere Meisterwerke nie vergleichbar vom CD-Boom wie andere Meilensteine
des Jazzgesangs. Mátyás Kiss Diskografische Hinweise
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