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Jazzzeitung
2002/07-08 ::: seite 14
portrait
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Die Woodhouse Studios in Hagen sind seit 25 Jahren ein Begriff für solide und innovative deutsche Rock- und
Popproduktionen. Peter Maffay, Udo Lindenberg, Joachim Witt, Randy Brecker, Pyogenesis oder Farmer Boys sind nur ein
kleiner Auszug aus der Liste der Künstler, die unter Siggi Bemm oder Dan Diamond, was in etwa das Gleiche ist,
ihre Alben und Lieder produzierten.
Jazzzeitung: 25 Jahre Woodhouse Studios. Zeit, Bilanz zu ziehen. Wie fällt diese Bilanz aus?
Siggi Bemm: Sehr interessant. Ich habe über Kinderlieder, Death Metal und Freejazz äußert unterschiedliche
Menschen kennen gelernt. Was will man mehr?
Jazzzeitung: Gibt es Erfahrungen, die Sie auf keinen Fall missen möchten?
Bemm: Einfach der Kontakt mit diesen kreativen Menschen, die Musik und die damit verbundenen Emotionen. Das
möchte ich nie missen.
Jazzzeitung: Die Neigung zum Produzentenberuf kommt sicher durch die Vorkarriere als Musiker. Gab es eine
Initialzündung, die Sie veranlasste, sich endgültig diesem Beruf hinzugeben?
Bemm: Nein, eigentlich gar nicht. Das ist fließend ineinander übergegangen. Viele Leute fanden die
Sachen, die ich gemacht habe sehr gut und irgendwann steht man vom Technikerstuhl auf und sitzt im Produzentenstuhl,
was in meinem Fall der gleiche ist und berät einen Kollegen bei der Arbeit. Wenn das Gefallen findet, rutscht
man langsam in diese Geschichte. Das geht nicht von heute auf morgen.
Jazzzeitung: Heutzutage scheint eine gute Singleproduktion für viele Preise und Awards zu reichen. War
der Einstieg in den Beruf früher schwieriger?
Bemm: Früher war der gesamte Musikmarkt wesentlich weiter gefächert. Mit Preisen wurde nicht so um
sich geworfen, wie das momentan der Fall ist. Allerdings haben Preise heute nicht mehr den Stellenwert. Wer früher
eine goldene Schallplatte hatte, der hatte wirklich was geschafft. Wer heute eine hat, na ja...
Jazzzeitung: Oftmals muss man Überzeugungsarbeit als Produzent leisten, um die Band von ihrer eigenen
musikalischen Freiheit etwas wegzubringen. Ein schwieriger Vorgang?
Bemm: Jein. Ich sage immer, die Rolle eines Produzenten ist, sich erstmal hinzusetzen und die Band zu verstehen.
Und natürlich das, was sie machen. Man bekommt eine Band angeboten, weil sie irgendetwas hat. Das ist ein Unterschied
im Vergleich zu Kunstprodukten wie Popstars. Da schreibt man einen Song speziell für eine bestimmte Klientel
und eine Konsumerrichtung und man hat Interpreten, die das zu singen haben. Bei einer Band ist das anders. Eine Band
ist gewachsen und macht etwas, woran jemand Gefallen gefunden hat. Würde ich nun anfangen das zu verbiegen, wäre
das falsch. Ich muss versuchen, ihr Ding auf den Punkt zu bringen und ihre Inhalte zu verstehen. Gut, hin und wieder
muss man sie ausbremsen und ein Solo oder Introthema streichen. Es geht darum, die Stärken hervorzuheben und
die Schwächen zu eliminieren. Aber eine Band zu verbiegen, das ist der falsche Weg. Dann sollte man sich Studiomusiker
nehmen oder selbst komponieren.
Jazzzeitung: Mit wachsendem Erfolg baut sich Ihnen gegenüber eine steigende Erwartungshaltung auf. Können
Sie mit Druck umgehen?
Bemm: Ich bin ein Mensch, der sich selbst unter Druck setzt. Wenn du dich nicht antreibst, bleibst du auf der
Stelle stehen. Das sollte nicht der Fall sein. Man muss permanent den Markt beobachten, denn Musik- und Soundgeschmäcker
ändern sich über die Jahre ständig. Manchmal sogar im Jahresrhythmus. Das muss man im Griff haben.
Man darf sich nicht zurücklehnen und sagen ich bin der Weltmeister, ich kann das alles. Selbstverständlich
gibt es den Druck von außen, und man weiß, jetzt habe ich so ein Ding an der Hand, jetzt muss ich
die Leute aber auch bedienen. Ich muss gestehen, dass ich vor jeder Produktion, egal ob das eine Newcomer-Band
oder Peter Maffay ist, morgens erstmal Magenschmerzen habe. Und das wird sich nicht ändern. Das ist so eine Adrenalin-Sache,
wie kriege ich das nur hin?, aber hinterher wird es immer gut. Meine persönliche Anforderung, die
Anforderungen von außen und Druck sind ständig dabei.
Jazzzeitung: Die Bandbreite Ihrer Produktionen reicht vom Kinderlied bis Death Metal. Können Sie sich
an eine musikalische Richtung erinnern, für die Sie sich motivieren mussten, weil Sie Ihrer Richtung überhaupt
nicht entsprach?
Bemm: Als ich das erste Mal mit Death Metal konfrontiert wurde, bin ich doch sehr verblüfft dagestanden.
Spontan dachte ich, na Siggi, kannst du damit etwas anfangen?. Ich kannte das nicht und sah plötzlich
eine Double Bass Drum. Bis dahin hatte ich eigentlich nur Standard Rock gemacht. Und jetzt Double Bass und Marshall-Türme
bis der Arzt kommt. Die Musik ist zudem extrem speziell und ich kannte sie bis dato nicht. Dann kam noch der Gesang...
Das war ein Punkt, an dem ich mich fragte, ob ich damit klarkommen würde. Doch ich bin ein Mensch, der versucht
verschiedene Sachen zu analysieren und zu sehen, was drin ist. Zunächst einmal sah ich eine technische Herausforderung,
weil dieser Speedkram, gerade mit einem richtigen Schlagzeug, von der Soundseite her gesehen ziemlich schwierig zu
handhaben ist. Ich habe mich damit auseinander gesetzt und fand das hinterher ganz interessant. Deswegen habe ich
sehr viele Bands aus dieser Sparte gemacht. Von daher bin ich sehr offen, was die musikalische Richtung angeht. Es
gibt Sachen, mit denen könnte ich nichts anfangen. Die Techno-Abteilung ist überhaupt nicht meine Welt.
Das geht Leute an, die jünger sind als ich und die einen ganz anderen Film fahren. Wogegen ich die elektronische
Mischung zwischen Gitarren, RnB und Loops programmieren sehr gerne mache. Das ist eben eine Art von modernem
Soul. Aber mit der Abteilung Techno oder House komme ich nicht klar. Wobei ich diesen Stil nicht ablehne, ich könnte
ihn nur nicht handeln.
Jazzzeitung: Diese Vielseitigkeit kann manchmal Verschleiß oder Verzetteln nach sich ziehen. Offensichtlich
nicht bei Ihnen.
Bemm: Ganz und gar nicht. Diese Verschiedenartigkeiten der Stilrichtungen erlauben mir in jeder Produktion
Schubladen aufzumachen, die ungewöhnlich sind und auf die jemand, der festgelegt ist, gar nicht kommen würde.
Ich beherrsche dieses Metier und kann, wenn ich möchte, in die unterschiedlichsten Schubladen greifen und das
in die Produktionen einfließen lassen, um ihnen einen speziellen Kick zu geben.
Jazzzeitung: Viele Produzenten haben ihren Stil. Rick Parasher erkennt man am Pearl Jam Sound. Siggi Bemms
Geheimnis scheint zu sein, keinen erkennbaren Stil zu verfolgen.
Bemm: Richtig. Es gibt ein paar Dinge, die mich von anderen Produzenten unterscheiden. Ich habe schon eine
eigene Handschrift, aber ich versuche, für jede Band individuell etwas zu finden. Ihnen nicht meinen Sound zu
geben, sondern mein Know-how zur Verfügung zu stellen, um speziell für sie Neues zu kreieren. Das unterscheidet
mich von Leuten, die ihren Sound haben und das durchziehen. Mir liegt daran zu erfahren, was die Band zu einer besonderen
macht. Der Band eine für sie persönliche Note aufzudrücken, das ist mein Anliegen.
Jazzzeitung: Kann es passieren, diesen Job als Routine abzuhaken?
Bemm: Man kann das selbstverständlich irgendwann als Routinejob abhaken. Die Gefahr besteht in dem Augenblick,
in dem man viel zu tun hat und schnell produzieren muss. Dann könnte es vorkommen, bestimmte Sachen aus einer
Routine heraus zu bedienen. Wenn ich das merke, klopfe ich mir sofort auf die Finger und ziehe die Bremse. Dennoch
bleibt die Gefahr sehr groß.
Jazzzeitung: Und sollten Sie es einmal nicht merken?
Bemm: Dann merken es mit Sicherheit ganz schnell die anderen und ich hoffe, dass mir dann jemand in den Hintern
tritt.
Interview: Sven Ferchow
www.woodhouse.de
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