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Einige schmunzeln, als diese zarte, etwas schüchtern wirkende, mädchenhafte Frau mit der altmodischen Brille die Bühne betritt. In der rechten Hand hält sie eine dickbäuchige Gitarre, in der linken Armbeuge baumelt eine viel zu große Handtasche, die sie jetzt gegen den Notenständer lehnt. Mary Halvorson setzt sich, trocknet die Handflächen an ihrer Jeans, wirft einen Blick herüber zu Bassist John Hébert und Schlagzeuger Ches Smith, nickt kurz, und ab geht die Post. Schnell zieht sie einen hinein in ihre ganz eigene Welt, in der sich Gegensätze um den Hals fallen. Sie scheint diese Kontraste zu lieben, das Spannungsfeld, das sich auftut zwischen abstrakt geformten und lyrisch gepolsterten Passagen, den Austausch zwischen Freiheit und Form. „Ich glaube einfach, dass die Balance gewisser Herangehensweisen, Klangeigenschaften, Stilen und Emotionen ganz wichtig ist“, wird sie später im Interview sagen. Dialog Akustik-ElektronikAuch in ihrem Gitarrenspiel vermittelt die 30-jährige zwischen grundverschiedenen Ansätzen. Wer ihr zuhört, meint dem Dialog eines akustischen und eines elektrischen Instruments zu folgen. Mary Halvorson spielt meist mit harter Attacke und einem ganz klaren Ton, der weit entfernt ist vom Geplinker so vieler Kollegen. Den transparenten Sound zerstört sie hin und wieder mit splittrigen Kamikaze-Glissandi und einem Delay-Fußpedal, auf dem sie hin und her schaltet, bis die Töne zu eiern beginnen und in verschiedene Richtungen ausbeulen. Kurz nach dem Konzert hockt sie am Bühnenboden, einen Batzen Geldscheine vor sich und mehrere leere Tüten. Ach, hätte ich doch ein paar CDs mehr im Gepäck gehabt, wird sie sich wohl denken. Manch einer, der Mary Halvorson in Form eines signierten Tonträgers mit nach Hause nehmen wollte, geht heute leer aus. Wenn das immer so läuft bei ihren Konzerten, muss die Gitarristin ihr neues Album „Saturn Sings“ (Firehouse 12) bald nachpressen lassen. Die Rezensionen, die ihr in den USA in Form von imaginären Lorbeerkränzen zuteil werden, dürften den Verkauf ebenfalls ankurbeln. Peter Margasak vom Chicago Reader sieht in der aus Boston stammenden Frau „vermutlich den originellsten Jazz-Gitarristen, den diese Dekade hervorbringen wird“ (im Englischen wird ohne Zusatzerklärung nicht zwischen weiblich und männlich unterschieden). Troy Collins von All About Jazz attes-tiert der Saitenhexerin, ein „Ausnahme-Talent“ zu sein. Ziel vor AugenObwohl solche Lobpreisungen auf ihrer eigenen Website zu finden sind, ist es Mary Halvorson merklich unangenehm, als sie damit konfrontiert wird. „Es bedeutet mir viel, dass sich die Leute mit Komplimenten nicht zurückhalten“, sagt sie mit leicht rosigen Wangen, gesenkten Blicks. „Ich finde es natürlich auch gut, wenn manch einer findet, dass ich auf der Gitarre etwas Neues mache – denn das versuche ich immerhin, auch wenn ich dieses Ziel noch nicht unbedingt erreicht habe.“ Jimi Hendrix ist schuld, dass sich Mary Halvorson als 12-jährige von der klassischen Geige abwendet und sich eine Gitarre besorgt. Ihr erster Lehrer führt sie gleich in die Welt des Jazz hinein, zeigt ihr typische Harmonien, Phrasierungen, Akzentuierungen. Mary lernt schnell, studiert später an der Wesleyan University, unter anderem bei Anthony Braxton. Heute spielt Mary Halvorson sogar im Diamond Curtain Wall Trio ihres einstigen Professors, „ohne seine Musik wirklich vollständig zu verstehen“. Seit sie 2002 nach New York zog, hat sie neben Braxton mit manch anderem Visionär gespielt. So was prägt, so was schlägt sich im eigenen Schaffen nieder. Das gestaltet sie so vielseitig wie möglich. Sie betreibt ein songorientiertes Duo mit der Viola-Spielerin Jessica Pavone, ein Trio und Quintett mit jazziger Ausprägung, eine dampfende Progrock-Gruppe namens „People“ mit dem „Mostly Other People Do The Killing“-Drummer Kevin Shea. Und sie stürzt sich regelmäßig in Projekte, die gegensätzlicher nicht sein könnten. „Ich langweile mich schnell, oder vielleicht sollte ich besser sagen, dass ich nicht immer dasselbe spielen möchte. Also nehme ich die Herausforderung an, so viele unterschiedliche Arten von Musik wie möglich zu spielen, versuche aber in allen Kontexten, meine musikalische Identität zu wahren.“ Text/ Foto: Ssirus W. Pakzad Konzert-TippMary Halvorson gastiert am 10. November als Mitglied von Marc Ribots Sunship-Quartett beim Festival „Saitensprünge“ im Kurhaus Bad Aibling
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