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Es gibt Festivals, die der Jazz-Nische zu entfliehen versuchen, indem sie auf Expansion setzen. Oft dehnen sich dann nicht nur Auftrittsorte und Publikumsgröße aus, sondern auch der dem jeweiligen Programm zu Grunde liegende Jazzbegriff. Einen Gegentrend dazu markieren Jazz-Events, die bewusst auf Kleinräumigkeit, ja Exklusivität setzen. Beispiele dafür sind die Jazzkonzerte auf Schloss Elmau oder das „Festival da Jazz“ in St. Moritz. Der Mann hinter dem Schweizer Jazzereignis, das in diesem Jahr zum dritten Mal stattfand, ist der Sänger und Kulturmanager Christian Jott Jenny. Im Interview mit Claus Lochbihler erklärt er, warum er sein Club-Festival als Gegenmodell zu dem in Montreux begreift, wie sein Verhältnis zum Sponsoring aussieht, und weshalb man den Nischencharakter des Jazz seiner Ansicht nach nicht bekämpfen, sondern nutzen sollte. JazzZeitung: Wie würden Sie die Programmpolitik des „Festivals da Jazz“ beschreiben?
Jott Jenny: Es liegt auf der Hand, dass wir kein Modern–Jazz-, aber auch kein Swing-Festival machen. Ich versuche, einen guten Mix hinzubekommen. Die Fragen, die ich an mich selbst als Programmmacher stelle, sind eigentlich immer die gleichen: Würden dich wirklich alle 27 Abende des „Festival da Jazz“ interessieren? Bekomme ich jeden Abend etwas geboten, was anders ist als am Abend zuvor, aber auch für sich allein als etwas irgendwie Extraordinäres steht? Ich versuche, mich in einen Gast oder Konzertgänger hineinzuversetzen, der sich im Idealfall vornimmt, das ganze Festival mitzunehmen. Ein solcher bin ich dann ja auch: Ich bin bei jedem Konzertabend anwesend und höre mir jeden Takt an. JazzZeitung: Sie müssen Ihr eigenes Programm aushalten. Jott Jenny: So ist es. Und so sollte es auch sein. Als Programmmacher sollte man sich dem aussetzen, was man zusammengestellt hat. Bei der Programmierung orientiere ich mich vor allem am Lustprinzip. Deswegen ist die Frage, ob das Programm genügend Abwechslung bietet, auch so wichtig. Natürlich spielen auch mein eigener Geschmack, meine Vorlieben eine Rolle: Mich interessieren Newcomer, ich finde es aber auch toll, wenn man verdiente Größen des Jazz einmal in einem anderen Kontext zu hören bekommt. Mir gefällt BeBop. Außerdem bin ich Melodiker: Das, wofür zum Beispiel das Festival in Willisau steht, ist nicht unbedingt meine Sache. Was wir in St. Moritz präsentieren, sollte sich immer in einem irgendwie melodiösen Bereich bewegen. Besonders am Herzen liegt mir außerdem Klaviermusik. Ich bin ein großer Rezital-Fan. Deswegen sollte immer Platz sein für so etwas Großartiges wie den diesjährigen Solo-Auftritt von Brad Mehldau. JazzZeitung: War das für Sie der Höhepunkt des Festivals? Jott Jenny: Nach dem Festival-Höhepunkt werde ich jeden zweiten Tag gefragt. Dabei ist das eine ganz schwierige Sache, weil ein Festival über fünf Wochen natürlich mehr als nur einen Höhepunkt zu bieten hat. Zudem habe ich oft den Eindruck, dass jeder seinen eigenen Konzerthöhepunkt erlebt. Für viele Festivalbesucher zum Beispiel war das Konzert von „Manhattan Transfer“ der Höhepunkt. Für mich dagegen der Solo-Abend mit Brad Mehldau. Ein absoluter Leuchtturm nicht nur des diesjährigen Festivals. Außerdem das mit Sicherheit beste Konzert, das ich je von ihm gehört habe. Und ganz anders als die Auftritte, die ich vorher mit ihm erleben durfte, etwa in der Zürcher Tonhalle. Aber auch das Konzert mit Paul Kuhn fand ich fantastisch. Das war einer von den Abenden, an denen die Energie zwischen Musikern und Publikum einfach nur flutscht. JazzZeitung: Was für ein Feedback bekommen Sie eigentlich von den Musikern zum Auftrittsort? Nüchtern betrachtet ist der legendäre „Dracula Club“ von Gunther und Rolf Sachs nichts anderes als ein etwas luxuriöseres Berg-Chalat, das mit nur 150 Leuten schon ziemlich voll ist. Jott Jenny: Beinahe alle unserer Musiker sind von dieser Location begeistert. Viele lassen uns im Nachhinein ausrichten, dass sie sich sehr wohlgefühlt haben und unbedingt wiederkommen möchten. Brad Mehldau hat uns seine Begeisterung sogar per Postkarte mitgeteilt. Dieses Feedback der Musiker ist für mich die allerwichtigste Bestätigung. Gerade weil es im Vorfeld des Festivals Stimmen gab, die uns ein baldiges Ende vorhergesagt haben, weil wir angeblich zu klein seien. Dabei ist es gerade diese Kleinräumigkeit, die bei Musikern wie Konzertbesuchern so gut ankommt. JazzZeitung: Ist diese Kleinräumigkeit das, was Ihr „Festival da Jazz“ von den vielen anderen abhebt? Jott Jenny: Ich denke schon. Vor allem, weil dadurch eine unglaubliche Nähe zum Künstler entsteht. Eine Bühne im eigentlichen Sinne gibt es bei uns gar nicht. Zuschauerraum und Bühne sind nicht wirklich getrennt, eigentlich findet alles auf der gleichen Ebene statt. So wie in einem kleinen, intimen Jazzclub. Allerdings mit dem Unterschied, dass man in unserem Festival-Club einen Weltstar wie Brad Mehldau zu hören bekommt. Ich jedenfalls kenne nichts Vergleichbares. Wo sonst können Sie von einem Barhocker aus einem Musiker wie James Carter auf die Finger schauen? JazzZeitung: Mehldau hat rein akustisch, ohne jede Verstärkung gespielt. Ist das Ihre Idealvorstellung für Konzerte im „Dracula Club“? Jott Jenny: Eigentlich schon. Allerdings muss man bei bestimmten Besetzungen
und Konzerten Ausnahmen machen. Wenn Sie ein Klaviertrio unverstärkt
spielen lassen, kann es sein, dass sich der Schlagzeuger so zurückhalten
muss, dass es doch besser ist, Klavier und Bass zu verstärken. Mehldau
ist glücklicherweise ein so intelligenter Mensch und Musiker, dass
er beim Soundcheck sofort gemerkt hat, dass er als Solist keine Verstärkung
braucht. In so einem Raum ist es wirklich am besten, rein akustisch zu
spielen. JazzZeitung: Sie arbeiten beim „Festival da Jazz“ sehr viel mit Sponsoring, was bei diesen Zuhörerzahlen und Künstlern wie Mehldau auch gar nicht anders möglich wäre. Inwieweit reden Ihre Sponsoren mit, was die Programmgestaltung betrifft? Jott Jenny: Grundsätzlich ist es so, dass ich als Programmmacher das Programm bestimme – und zwar nach den inhaltlich-musikalischen Gesichtspunkten, die ich vorhin umrissen habe. Es ist also nicht so, dass sich der Hauptsponsor seine Lieblingsband wünschen kann. Wir machen kein Wunschkonzert für Sponsoren! Natürlich äußert jeder – ob Sponsor oder nicht – seine Wünsche. Das kann und möchte ich auch niemandem verbieten. Im Gegenteil: Ich bin froh darüber zu hören, was andere schön oder spannend finden. Es gibt zum Beispiel einen unserer Hauptsponsoren, der ist Geschäftsführer einer großen Bank. Der will sich mit mir nie über seine Bank unterhalten oder darüber, ob das, was er sich vom Sponsoring erwartet, auch eingetroffen ist. Er möchte ausschließlich über Jazz reden. Was ich wiederum gern tue, weil er sich wirklich super auskennt – ein totaler Jazzfreak. Bei so jemandem hört man gern zu, wenn er Vorstellungen oder Wünsche äußert. Ich kenn ja weiß Gott auch nicht alles, was sich im Jazz so tut! JazzZeitung: Was ist ein solches Festival, was das Sponsoring betrifft, einem Veranstaltungsort wie St. Moritz voraus? Jott Jenny: Natürlich hilft es sehr, dass das Engadin mit St. Moritz sehr viele wohlhabende Menschen anzieht. Hinzu kommt, dass im Sommer die touristische Infrastruktur – etwa Hotelkapazitäten – viel weniger genutzt wird als im Winter, weil St. Moritz eben traditionell eine Winterdestination ist. Das sind natürlich Vorteile, die wir nutzen. Ehrlicherweise muss man aber auch sagen, dass derselbe gute Ruf, den St. Moritz bei vielen genießt, bei anderen Vorbehalte auslöst. Das merken wir leider immer wieder. Erfreulicherweise jedoch reisen die meisten dieser Festivalbesucher mit Vorbehalten an und begeistert wieder ab. JazzZeitung: Spielt für die Musiker auch das Touristische an St. Moritz – die Berge, die Seen, die Gletscher – eine Rolle? Jott Jenny: Viele haben dafür leider nicht die Zeit, weil es für sie gleich weiter zum nächsten Konzert geht: Bei Brad Mehldau war es zum Beispiel so. Aber wenn sie ein oder zwei Tage länger bleiben können, genießen sie die Umgebung wie jeder andere. Hinzu kommt, dass allein schon die Bahnfahrt von Chur nach St. Moritz wirklich jeden begeistert. Das hat schon oft so manche schlechte Stimmung eines Künstlers wieder wettgemacht. JazzZeitung: Außerhalb der Schweiz ist nach wie vor Montreux das bekannteste Jazz-Festival in Ihrem Land. Montreux ist über Jahre hinaus immer größer und noch größer geworden. Sehen Sie das „Festival da Jazz“ als Gegenmodell? Jott Jenny: Ja. Nicht nur, was die Größe, sondern auch den Jazzbegriff angeht. Zum einen können und wollen wir gar nicht so wachsen, wie das Montreux seit Jahren tut. Unser Konzept ist das eines Club-Festivals. Wir bedienen eine Nische, aus der wir auch gar nicht hinaus expandieren wollen, und die heißt Club-Jazz. Ich glaube an die Rückführung des Jazz an einen seiner Ursprungsorte: den Club. In Montreux sitzt oder steht man zusammen mit 5.000 anderen Leuten in einer Konzerthalle. Da ist man bei uns viel näher dran. Ich denke, dass der Jazz wieder hip und angesagt ist. Und zwar nicht trotz, sondern wegen seiner Stellung als Nischenkultur. Von vielen unserer Besucher wird Jazz als exklusiv und hip wahrgenommen. Als Luxusgut, wenn Sie so wollen. Ich glaube, dass man das nicht bekämpfen, sondern nutzen sollte. Interview in voller Länge unter www.nmz.de, 2011 findet das Festival da vom 14. Juli bis 14. August statt. www.festivaldajazz.ch/de/home/
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