Wer sich in Berlins Szeneclubs rumtreibt, wird sie dort nicht treffen.
Denn Jessica Gall ist Mutter zweier Kinder und vereint ihr Leben als
Profi-Sängerin mit einem bodenständigen Alltag. Nach einer
Babypause hat die gebürtige Berlinerin ihr Album „little big
soul“ abgeschlossen. Dessen sinnlich-leichte Klänge verschmelzen
Pop mit Country-Anleihen und lässigem Jazz.
JazzZeitung: Jessica, nennt Ihr Eure Musik Country-Jazz?
Jessica Gall: Das Album klingt wirklich ein wenig nach Country, weil
wir Pedal Steel Guitar und Dobro verwenden. Das war aber gar nicht
beabsichtigt; uns hat einfach die Farbe der Instrumente gefallen. Und
nun wurde ich von einer Frauenzeitschrift sogar als „das deutsche
Cowgirl“ bezeichnet.
JazzZeitung: Frauenzeitschriften schreiben
auch nicht über jeden
Jazzer. Setzt Ihr jetzt auf die kommerzielle Schiene?
Gall: Die Platte geht wirklich ein bisschen mehr in
Richtung Pop. Unsere Songs sind eingängiger als früher; sie gehen leicht ins Ohr.
Aber gleichzeitig sind sie auch so anspruchsvoll, dass man sie nicht
als billige Popmusik abstempeln kann. Auf unserem Debüt haben wir
Popsongs gecovert, um sie jazziger zu machen. Jetzt spielen wir eigene
Stücke, die zwar immer noch viele Jazzelemente haben, insgesamt
aber individueller und eigenständiger geworden sind.
JazzZeitung: Inwiefern?
Gall: Im Vordergrund stehen meine Stimme und sehr persönliche Texte.
Dadurch entstanden Klangschichten, die eben schwierig einer Genre-Schublade
zuzuordnen sind.
JazzZeitung: Seit wann gibt es Eure Band?
Gall: Den Pianisten Bene Aperdannier habe ich schon
1999 bei einem Band-Workshop kennen gelernt. Unmittelbar danach haben
wir angefangen, miteinander
im Duo zu arbeiten. Die anderen Musiker kamen nach und nach dazu, zuerst
der Bassist Edward Maclean. Der Schlagzeuger Martell Beigang und der
Gitarrist Jo Ambros sind seit etwa fünf Jahren dabei. Inzwischen
haben wir aber einen neuen Gitarristen, Johannes Feige. Der ist auch
ein guter Sänger und verstärkt den Background-Chor.
JazzZeitung: Wie gehst Du beim Songschreiben
vor?
Gall: Melodien fallen mir leicht ein. Sie tauchen beim
Duschen, Abwaschen oder Autofahren auf. Manchmal setze ich mich auch
ans Klavier und spiele
vor mich hin. Aus den besten Ideen schreiben mein Produzent Robert Matt,
Bene Aperdannier und ich das Gerüst der Songs. Mit der Band gemeinsam
arbeiten wir sie dann aus. JazzZeitung: Und wie entstehen die Texte?
Gall: Die Musik existiert meist zuerst. Passende Texte
zu finden, ist die größere Herausforderung für mich.
Dazu brauche ich wirklich Ruhe und Zeit; das passiert nicht nebenbei.
Für die neue
Platte habe ich mit der Texterin Robin Meloy Goldsby zusammengearbeitet,
die meine Gedanken in wunderbare Bilder und Worte gefasst hat.
JazzZeitung: Um welche Themen drehen sich die Songs?
Gall: Das ist eine große Palette persönlicher Erfahrungen,
die von fröhlichen bis zu traurigen Momenten reicht. In „Beautiful
Girls“ singe ich über eine langjährige Freundschaft. „The
Moment When You Need Me“ erzählt wiederum davon, dass man
oft in wichtigen Situationen für eben diese engsten Freunde nicht
genug da sein kann. „I Love My Life“ nimmt auf augenzwinkernde
Weise meinen Alltag als Mutter aufs Korn. Es ist sicher schwer, die Musik,
Kinder und Haushalt unter einen Hut zu bringen. Manchmal steigt mir schon
alles über den Kopf; und dann ärgere ich mich, dass ich nicht
noch besser organisiert bin. Wenn ich zum Beispiel verschlafe und meine
Tochter zu spät in den Kindergarten bringe, weil ich abends zu lange
im Studio gearbeitet habe. Mein Mann ist aber zum Glück auch Musiker;
er hat ja die beiden Alben produziert. Deshalb kann er mich bestens unterstützen.
JazzZeitung: Unter Deinen Vorfahren gab es
auch schon etliche Musiker, nicht wahr?
Gall: Meine Oma war klassische Pianistin; mein Opa Sänger, aber
er verlor im Krieg durch eine Mine sein Gehör. Mein Vater, ein Sänger
und Pianist, ist mit seinen Kindertheater-Shows durch die ganze DDR gezogen
und hat mich mitgenommen; da stand ich schon als Sechsjährige auf
der Bühne. Und auch meine Mutter hat eine tolle Stimme. JazzZeitung: Du spielst auch Saxophon. Warum
nicht auf der Platte?
Gall: Alt-Saxophon habe ich schon in meiner ersten Band
gespielt. Eher zufällig bin ich mal zum Singen ans Mikro gegangen. Erst nach und
nach habe ich dem Gesang den Vorrang gegeben. Mit dem Saxophon fühle
ich mich immer noch sehr wohl, nur fehlt mir dafür die Zeit. Das
muss man ja täglich üben, weil sonst der Ansatz weg ist. Ich
spiele gelegentlich bei Live-Auftritten, aber eigentlich genüge
ich nicht meinen eigenen Ansprüchen.
JazzZeitung: Der originellste Song Eures Debüt-Albums war eine Jazzversion
von „Hänschen Klein“. Warum habt Ihr die Schiene mit
Volkslied-Bearbeitungen nicht weiter verfolgt?
Gall: Wir dachten in der Tat über ein komplettes Volkslied-Programm
nach. Aber das haben wir dann aufgegeben, weil wir merkten, dass es nur
wenige Volkslieder gibt, die so tiefgründig wie „Hänschen
Klein“ sind. Gespräch: Antje Rößler
CD-Tipp
Jessica Gall: little big soul
Herzog Records (Edelkultur)
Tourtermine
www.uk-promotion.de/musikthemen-coverdownload/jessica-gall/
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