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Jermaine Landsberger Endlich. Fast ein Jahr hat es gedauert,
bis das amerikanische Westcoast-Label Resonance Records von George
Klabin einen Vertrieb für Jermaine
Landsbergers „Gettin‘ Blazed“ in Europa gefunden hat.
Für den Nürnberger Pianisten und Hammond-B3-Spieler war es
2009 wie ein Lottogewinn, als er von Klabin für eine Aufnahme angefragt,
eingeflogen und mit Kerlen wie James Genus (bass), Gary Meek (ts,ss),
Harvey Mason (dr) und Andreas Öberg (guitar) aus Schweden ins Studio
gesteckt worden ist. Auf drei Nummern des funkelnden Albums ist zudem
der große Gitarrist Pat Martino, einer der frühen Idole Landsbergers,
mit von der Partie. Bei dessen rasanter boppigen Komposition „Three
Base Hit“ bekommen die flinken Finger des aus einer musikalischen
Sinti-Familie stammenden Oberpfälzers geradezu Flügel. Seine
musikalische Initiation hat Landsberger auf der Gitarre erfahren. Die
legendäre Orgel spielt er erst seit etwa neun Jahren, was man bei
der Finesse und Spielfreude, mit der er das Instrument in typischer Phrasierung
zum Strahlen bringt, kaum glauben mag. In ruhigen Nummern ganz behutsam
und einfühlsam, entwickelt Landsberger bei schnellen boppigen Titeln
und Latinnummern einen stürmischen Drive, wunderbar eingebettet
in den perfekt swingenden Groove von Mason, einem der meist beschäftigten
Studio- und Tourschlagzeuger Amerikas, und Genus. Glanzlichter setzt
auch Saxo-phonist Meek dem Album auf, das mit Eleganz und faszinierendem
Schwung die gängigen Klischees dessen, was wir von der Orgel kennen,
hinter sich lässt. The Jazz Passengers Lang ist’s her, als Roy Nathanson und Curtis Fowlkes mit Marc Ribot
bei der Kultband „Lounge Lizards“ spielten und kurz darauf
die Band „The Jazz Passengers“ gründeten. Das waren
ungewöhnlich gute Zeiten – nun kommen sie endlich wieder!
Mit intelligenten, humorvollen Stilbrüchen, ironischen Zitaten und
ungewöhnlichen Arrangements abseits aller Mainstream-Jazz-Traditionen: „Reunited“.
Nomen est omen nicht nur als Titel einer neuen CD, sondern tatsächlich
in der kompletten, ursprünglichen Formation der Jazz Passengers.
Musikalisch ist die Band allerdings weder stehen geblieben, noch versucht
sie, gewinnbringend olle Kamellen wieder aufzuwärmen. Elvis Costello
eröffnet die CD mit dem Song „Wind Walked By“ und die
Jazz Passengers begeistern mit den für sie typisch schrägen
Sounds. Ob eigene Kompositionen oder der Coversong „Reunited“,
ein seinerzeit ernst gemeinter Hit des Soul-Duos Peaches & Herb,
die Passengers haben nichts von ihrer Originalität verloren. Eine
vergnügliche Interpretation von „Spanish Harlem“ mit
der Sängerin Susi Hyldgaard rundet die Reunion schließlich
ab. Als kleine Erinnerung an das letzte Jahrhundert gibt es noch zwei
Bonustakes live aus Wien 1995 mit der damaligen Bandsängerin Deborah
Harry. Trotz aller Komplexität, fantastischen Soli und unkonventioneller
Einlagen, ein klein wenig mehr Groove hätte der Aufnahme mit Sicherheit
nicht geschadet. Sei’s drum – oft vermisst, aber nie vergessen,
kann man sich nun an einem neuen, spannenden Jazz Passengers Album berauschen. Lemke–Nendza–Hillmann Drei Sprachen, das hieße auf Esperanto „Tria Lingvo“ – so
benannte der Bassist André Nendza seine aktuelle CD bewusst programmatisch.
Bei Johannes Lemke, Sax und Klarinette, Christoph Hillmann, Schlagzeug,
und André Nendza herrscht offen-hörbar Gleichberechtigung.
Ebenso scheinen die Grenzen zwischen europäischer und amerikanischer
Sphäre überholt. Das verleiht dem aktuellen Album zusätzliche
Relevanz. Hier leben europäische Tugenden, die an klassischer Moderne
oder Folklore imaginaire geschult sind. Kein Zufall, dass Henri Texier
sehr euphorisch auf die frisch aufgenommene CD reagierte. Andere Stücke
wiederum atmen jenen vertrackt-expressiven Groove, mit dem das M-Base-Kollektiv
um Steve Coleman den US-Jazz modernisierte. Soviel zu nur einigen von
vielen Quellen für dieses Trio. Und die Umsetzung erst! Nendza als
einer der virtuosesten Tieftöner im Lande liefert sein unerschütterliches,
wie auch federleicht bewegliches Fundament. Mal verschränkt sich
das Spiel kontrapunktartig mit der sprühenden melodischen Eleganz
von Johannes Lemke, der vor allem hohe Saxophone und Klarinette bläst.
Dazu tanzt und pulsiert Christoph Hillmanns Schlagwerk in den erdenklichsten
Konstellationen und Strukturen. Aus einer Triobesetzung ohne Harmonieinstrument
ergibt sich eine spezifische Luftigkeit. Hier nutzen Lemke, Hillmann
und Nendza alle Chancen. Und es geht noch mehr: Posaunist Mark Bassey
legt bei einigen Stücken seine lässig bluesgetränkten
Linien über das Spiel seines Holzbläser-Partners. Yaron Herman Trio Das renommierte Münchner ACT-Label hat mit Yaron Herman erneut einen
vielversprechenden Piano-Newcomer unter die Fittiche genommen. Nachdem
sich der 1981 in Tel Aviv geborene Herman aufgrund einer Knieverletzung
als jugendliches Basketballtalent zurückziehen musste, beginnt er
erst mit 16 Jahren, das Klavierspiel zu erlernen. Unter dem Einfluss
von Musikprofessor Opher Brayer, der mit seiner individuellen didaktischen
Lernmethode ungewöhnliche Horizonte erschließt, und einem
kurzen Intermezzo in Berklee landet Herman schließlich mit 19 Jahren
in Paris. Dort lernt er Musiker wie Sylvain Ghio kennen und sichert sich
durch sein außergewöhnliches Talent einen festen Platz als
Pianist in der Szene. Seine nun auf ACT veröffentlichte CD „Follow
the white rabbit“ präsentiert Yaron Hermans aktuelles Trio
mit Chris Tordini am Bass und Tommy Crane an den Drums. Nach wie vor
mischen sich bei Hermans Musik Pop und Jazzelemente subtil miteinander.
Ob Interpretationen von Cobains „Heart Shaped Box“ oder Radioheads „No
Surprises“, seine Generation wurde von genau dieser Musik beeinflusst,
und sie begegnet dem Hörer daher im Repertoire wie in Eigenkompositionen
kontinuierlich wieder. Alles in allem ist sein neues Album das bisher
Entspannteste, wenn auch nicht gleich sein Experimentellstes. Aber das
muss es auch nicht sein. Hermans Spiel ist mitreißend, jenseits
von Genregrenzen oder erlerntem klassischen Jazzhochschulballast. Kurzum:
CD in den Player, zurücklehnen und just „Follow The White
Rabbit“! Wollny/Kruse/Schaefer Wenn (em), eines der erfolgreichsten Pianotrios des
gegenwärtigen
Jazz, ein neues Album vorlegt, fragt man sich zwangsläufig, ob es
noch Steigerungen geben kann. Jein, lautet die Antwort beim vierten Album,
das beim diesjährigen Jazz Baltica mitgeschnitten wurde. Die Band
agiert in gewohnter Klangschärfe, erzeugt hochenergetische Spannungsfelder
zwischen Improvisation und Komposition. Bei aller herausragender Technik,
unerschöpflicher Kreativität und traumwandlerischer Interaktion,
den gleichberechtigt gerierten Ingredienzien dieses Trios, ist jetzt
einiges anders. Schlagzeuger Eric Schaefer, der mehr als die Hälfte
der meist neuen Stück beisteuert (das energiegeladene „Phlegma
Fighter“ und die rockende Hommage „Gorilla Biscuits“ sind
noch dabei), betont bewusst den Groove stärker. Sein perkussives,
mitunter rockiges Spiel, setzt andere Akzente. Jeder Ton und jede Phrase
sitzt, das Zusammenspiel ist disziplinierter, wenn nicht präziser.
Der kochende Drive überlässt nichts dem Zufall, so dass sich
Pianist Michael Wollny weniger in Abstraktionen ergeht, Bassistin Eva
Kruse mehr auf den Punkt zupft. Das neue (em) hat nach eigenem Bekunden
die vierte Jahreszeit erreicht und rundet damit seine eigene Geschichte
ab. Alles kommt abgeklärter und aufgeräumter daher. Gelitten
haben Spontaneität und kollektives Improvisieren, geblieben sind
Spielfreude und vitale Kraft. Enders Room Neues aus der Hexenküche des Allgäuer Saxophonisten Johannes
Enders – da werden die Lauscher ganz groß, und die Neugierde
ist kaum zu bändigen. Seit Jahren betreibt der Weilheimer mit seinem
Projekt „Enders Room“ eine Art Klanglaboratorium, eine Werkstatt
für hypnotische Klänge, skurrile Sounds und eine somnambule Ästhetik.
In nächtelangen Sessions werden da elektronische Beats, Tüfteleien
und Mikro-Details mit analogen Klängen und Improvisationen zusammengebaut
und -geschraubt – bis daraus eine fliegende Untertasse für
trunkene Weltraumbummler und Alltagsverächter geworden ist. Auf
dem neuesten, dem fünften „Room“-Werk, mischen neben
Enders, der sämtliche Programmierungen und zahlreiche Instrumentalstimmen
selbst eingespielt hat, der österreichische Gitarrist Wolfgang Muthspiel,
der Trompeter Micha Acher vom „Tied & Tickled Trio“,
Stefan Schreiber (b-cl) und die Schlagzeuger Billy Hart und John Hollenbeck
als Gäste mit. In seiner eigenwilligen Verknüpfung von Minimal-Klängen,
an Robert Wyatt erinnernde Gesängen, Science-Fiction-Romantik und
Traurigkeit mit oft repetitiven rhythmischen Mustern entfaltet Enders
Musik einen Sog, dem man sich nur schwerlich entziehen kann. Damit weist
sie weit über die Grenzen des Jazz, wie man ihn normalerweise kennt,
hinaus in diverse Richtungen zeitgemäßer Popästhetik
und elektronischer Musik. Paul Zauner’s
Blue Brass Wenn soziale Kälte das Leben umgibt, ist „Soulful Change“ willkommen
auf der Agenda. Um potenziellen Trübsinn zu vertreiben, lädt
Paul Zauner’s Blue Brass zu klassischen Songs dieses Genres auf
einer Zeitreise in eigenen Arrangements ein. Zunächst schmeicheln
vertraute Melodien wie „I Can’t Stop Loving You” (Curtis
Stigers) die Ohren, doch durch Akkordaufweichungen und rhythmische Lockerungen
wird ein Plus an Soul hinzugefügt. Weiche Timbres, „In A Sentimental
Mood” (Duke Ellington), driften in gesteigerter Emotionalität
des Gesangs von Mansur Scott zur Parodie. Durch alle Soul-Register dekliniert
er auch „Round Midnight” (Thelonius Monk), sodass dieser
Standard im dichten Trio mit Posaunist Paul Zauner und Pianist Donald
Smith praktisch neu erfunden wird. Ein strammer Rhythmn & Blues Drive
bringt die Fahrt mit kantigen Brass-Kicks weiter zum „Song For
Chester” (Peter Massink), doch Wolfgang Derschmidt bremst das Tempo
in „Petis Calypso” (Peter Massink) mit einem wunderbar melodischen
Bass-Solo. Vor der Endstation ein Abstecher zu „Jeanneret” (Hans
Koller), dessen Wucht sich in freien Kollektiv-Exkursionen der Brass-Sektion
entspannt. Zurücklehnen kann man sich dann bei atmosphärischen
Klavier-Arpeggios, mit denen Donald Smith singend „Everything Must
Change” begleitet. Mit diesem fabelhaften Soul-Treibstoff aus Österreich
ist der Alltag zu ertragen. Ein Klasse-Album. Florian Ross Bislang hat sich Florian Ross im Trio und größeren Formaten
hervorgetan, wo er weitgehend sein Handwerk erlernte. Jetzt legt der
vielseitige Kölner Pianist nach acht Alben seine erste Solo-Aufnahme
vor. Nachdem er 2004 erstmals solo aufgetreten war, fand er Gefallen
an dieser völligen Gestaltungsfreiheit. Sein Wunsch wuchs, „solo
zu spielen und doch nicht gänzlich allein zu sein“. Mithilfe
eines Loop-Geräts, das ihn live komponieren und orchestrieren lässt,
tritt er in Dialog mit sich selbst. Mechanisch, um auf den Titel der
CD zu kommen, ist die Verbindung Technik und Klavier, doch Ross gestaltet
sie seelenvoll. Es entsteht eine faszinierende Klangwelt miteinander
verwobener Stimmen. Die 17 Stücke, zur Hälfte freie Improvisationen,
versteht Ross „als eine lange Reise ins eigene Innenleben“.
Sie verraten ihre Nähe zur klassischen Musik, die der Pianist studierte,
sind aber spontane Momentaufnahmen. Mal ist es eine impressionistische
Hommage an Vorbild Bill Evans, mal eine Anlehnung an Neue Musik („Györgi“),
mal ein Tribut an John Coltrane („Moment’s Notice“),
neben „Sometime Ago“ der einzige Standard des Albums. Florian
Ross’ Monologe und Dialoge sind voller Poesie und Intimität.
Die CD lebt vom Wechselspiel zwischen Solo-Spiel und Doppel-Solo. Es
gebiert vielschichtige Klänge, die sich auf mehreren Ebenen verschränken
und den Hörer in Atem halten. Ein Solo-Album dieses hochkalibrigen
Pianisten war längst fällig. Anat Fort Trio Seit ihrem ECM-Debüt vor drei Jahren hat sich die lange als Geheimtipp
gehandelte Anat Fort, die sich auch in New York umtat, einen beachtlichen
Namen geschaffen. Auf ihrem zweiten Album, das hierzulande erschienen
ist, legt die israelische Pianistin beredt Zeugnis davon ab. Vorbilder
wie Bill Evans, Paul Bley und Keith Jarrett haben ihre Spuren in ihrem
Spiel hinterlassen. Auch die Zusammenarbeit mit Paul Motian klingt an.
Die gleichnamigen Hommagen an den Drummer, die die CD einleiten und beschließen,
sind ebenso Variationen von Stücken des Vorgänger-Albums wie „Something
about Camels“. Ansonsten kann Anat Fort mit weiteren eigenen Stücken
aufwarten. Sie zeichnen sich durch klare Konturen und fließende
Eleganz aus, die den singbaren, lyrischen Melodien bekommen. Neben Klassik-Einflüssen
sind leichte Folklore oder Gospel-Anklänge zu vernehmen, wie man
es von Egberto Gismonti oder Keith Jarrett kennt. Sie sind entwickelt
mit viel Gespür für Raum und Klang, womit Forts Klangästhetik
beschrieben wäre. Die schlicht wirkenden Kompositionen sind in Wahrheit
ganz vertrackt. Forts Zusammenspiel mit dem seit 1991 in New York lebenden
Heidelberger Schlagzeuger Roland Schneider und dem New Yorker Bassisten
Gary Wang ist unaufgeregt, unspektakulär. Mit homogenem Klangbild
ist ein weiters idealtypisches ECM-Album entstanden. Ob man es braucht,
mag der Hörer entscheiden. Anja Ritterbusch Quartett Anja Ritterbusch ist auf vielen der Songs bewusst
in die Tiefe gegangen, hat eigene Emotionen ausgelotet. Für so etwas zieht sie so manch
literarische Quelle heran, bedient sich bei Liebesgedichten an Rilke
und Antonio Carlos Jobim. Aber sie schreibt auch selbst sehr berührende
Songlyrik. Und ihre Stimme erst! Ihr Organ klingt jung, ja jugendlich,
legt aber zugleich verblüffende Reife offen und zeigt sich gesangstechnisch über
alle selbstgesteckten Anforderungen locker erhaben. Und das will hier
viel heißen, denn die Stücke ihres Quartetts winden sich über
weitgespannte Melodiebögen oft in epische Dimensionen hinein, überraschen
mit unvorhersehbaren Einfällen – und sind harmonisch-melodisch überaus
vertrackt! In wilden Intervallsprüngen, manchmal auch übermütigen
Scat-Passagen toben sich Ritterbuschs Gesangslinien aus und verneinen
auch – vor allem in einer Bill-Evans-Adaption – die große
Vocal-Jazz-Geste nicht. Das alles funktioniert so gut, weil sie sich
von den ausgefeilten Band-Arrangements ihrer drei Mitstreiter vorantreiben,
forttragen lässt. Pianist Eike Wulfmeier ist hier ein ausdrucksstarkes
Pendant, derweil Bassist Michael Gudenkauf und Schlagzeuger Timo Warnecke
zwischen zupackender Präzision und sanfter Leichtigkeit agieren.
Zuweilen wünscht man sich stärkere Ruhepole. Aber es kristallisieren
sich auch schnell Highlights heraus: Momente starker Intimität setzt
der Opener „Fall“ frei, aber auch das Titelstück, einer
Reflexion über die Reise des Unbewussten während der Nacht
bis zum Sonnenaufgang. Steve Lacy Man mag ja Hemmungen vor Solokonzerten haben,
vor allem wenn es um Instrumente geht, die üblicherweise nicht Gegenstand von Solopräsentationen
sind. Das Sopransaxophon gehört sicherlich zu diesen, wenn da nicht
Steve Lacy wäre, der seit über 40 Jahren diese besondere Form
der Präsentation seiner Kunst pflegt. Man mag auch Hemmungen haben,
sich einer solchen Präsentation per Aufnahme zu widmen, würde
wahrscheinlich eine Live-Aufnahme vorziehen. Tommy Meier Root Down Die glühende Energie von Fela Kutis großen Besetzungen lebt
weiter. Etwa dank des Schweizers Tommy Meier und seiner fabelhaften Mitstreiter
in der Großformation „Root Down“. „The Master
and the Rain“ heißt deren zweites Album – zugleich
die 181. Veröffentlichung auf dem Zürcher Intakt Label, das
in diesem Jahr sein 25-jähriges Bestehen feiert. Die knapp zwei
Dutzend Musiker kupfern nicht Afrobeat ab, sondern schicken vielmehr
ihre Hörerschaft auf imaginäre Reisen, die nur durch ausgiebiges
Selber-Reisen so authentisch wirken können. So konnten einige Bandmitglieder
die Aura im sagenumwobenen „Shrine“, Fela Kutis einstigem
Club in Lagos, hautnah erleben. Zudem haben sich „Root Down“ bei
ausgiebigen Liveauftritten vorm afrikanischen Publikum abgearbeitet.
Für das vorliegende Album ist die Tanzmusik Westafrikas aber nur
einer von zahlreichen stilistischen Anknüpfungspunkten, die jedoch
alle unmittelbar auf den schwarzen Kontinent bezogen sind. Südafrika
oder der Maghreb bieten weitere Quellen für atmosphärisch dichte,
suitenartig miteinander verwobene Bigband-Arrangements. Das passiert
mit so viel Klasse, so viel unverstellter Entdeckerlust, als würde
Duke Ellington eine moderne Neuauflage seiner „Far East Suite“ hinlegen!
Mit variantenreich überkochender Rhythmik und Irene Schweizers pianistischen
Ausbrüchen an der Grenze zur kontrollierten Raserei. Mit Elektronik-Soundscapes,
die geradewegs in die tropische Nacht entführen oder dem Wüstenwind
Atem verleihen. Und die Posaunen, Klarinetten, Saxophone, Trompeten vereinen
mal solistisch, dann wieder im druckvollen Tutti die ganzen Emotionen
und Visionen aus einer hierzulande noch weitgehend unbekannten Welt mit
sinnlichem Bluesfeeeling. The late great Phil Seamen Der Engländer Phil Seamen (1926–72) war einer der besten europäischen
Schlagzeuger (manche sagen sogar, er war der beste). Und er war der erste
Europäer, der mit den großen amerikanischen Drummern mithalten
konnte. In dem hervorragenden Booklet gibt es dazu einige Aussagen. Louis
Bellson: State of Monc „Deutschland hat Jazzanova, Frankreich St. Germain und in den Niederlanden
haben wir State of Monc”, so lobt das Geert Jan Jacobs Zitat des
OOR-Magazins die niederländische Nu-Jazz-Combo „State of Monc“ auf
ihren Werbemedien. Die sieben Musiker, bestehend aus Arthur Flink (tp),
Hielke Praagman (elec.), Robin Koerts (b), Tuur Moens (dr), Milan Bonger
(as), Ben van den Dungen (ts) und Johan Hendrikse (keys), haben sich
zum Ziel gesetzt, anspruchsvollen Jazz mit elektronischen Beats zu vereinen
und präsentieren ihr neues Album „Phantom Speaker“.
Wenn St. Germain House-artigen Nu-Jazz kreierte, der auch einer breiteren
Masse angenehm ins Ohr ging, so hat sich „State of Monc“ mit
dem Breakbeat für ein düstereres elektronisches Grundgerüst
entschieden und zielt auf anspruchsvollere Jazzliebhaber ohne Zukunftsangst.
Dem Breakbeat entsprechend besticht das Album durch teils sehr schnelle
Tempi in „Boom!“ oder „Mindbeamer“ und sehr tiefen,
groovigen Bässen sowie für den Jazz unkonventionelle Rhythmen.
Doch das eigentlich Bemerkenswerte an „Phantom Speaker“ ist
die gut gelungene Fusion zwischen Mensch und Maschine. So fällt
ein fließender Übergang der interessanten Soundshapes der
Synthesizer auf der elektronischen Ebene zu der anspruchsvollen und komplexen
Melodieführung der Bläser nur positiv auf und begeisterte beim
North Sea Jazz Festival oder dem Amsterdam Dance Event. Ungeübten
Hörern wird das Album jedoch zu anspruchsvoll sein.
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