Anzeige |
||
Anzeige |
|
Ihnen kann ich’s ja verraten: Ich befinde mich seit einiger Zeit in einer schweren Beziehungskrise. Und zwar geht es um meine CD-Sammlung. Kurz gesagt: Wir sind einander fremd geworden. Natürlich weiß ich, dass sich Partner verändern, dass sie wechselnden, unkontrollierbaren Lebenseinflüssen ausgesetzt sind. Aber irgendwie ist da eine Grenze erreicht, wenn man seine eigene CD-Sammlung nicht wiedererkennt, finden Sie nicht? Früher einmal, da haben wir uns ohne viele Worte verstanden. Ich konnte irgendwo ins Regal greifen, blind eine CD herausziehen, sie ohne hinzusehen in den Player legen, den Startknopf drücken – und ich erkannte die CD innerhalb von Sekunden. Selbst wenn ich auf Track vier drückte und dann noch zwei Minuten weit ins Stück reinging, mitten in die Improvisation: Ich fand mich sofort zurecht, konnte Interpreten, Album- und Stücktitel nennen. Aber heute? Meine Therapeutin sagt, ich müsse lernen, meine CD-Sammlung als einen unabhängigen Menschen zu betrachten, der ein Recht habe, sich zu entwickeln. Unsere Beziehung dürfe nicht zur Monade werden, zum Zweier-Kokon. Ich müsse akzeptieren, dass jeder Partner auch ein eigenes Leben habe, anderen Menschen begegne, Promotern zum Beispiel, PR-Leuten, Publicity-Spezialisten. Solche Begegnungen gehen nicht spurlos an einem vorüber. Meine CD-Sammlung zum Beispiel steht mit mehreren Presse-Promotern in Kontakt, die mehr oder weniger heimlich auf sie Einfluss nehmen. Ich weiß genau, dass ich noch nie eine CD von Florian Poser gekauft habe. Oder von Tibor Szemzö. Oder von Gerald Veasley. Und doch machen sich diese Musiker in meiner CD-Sammlung breit, bilden Zellen und Inseln, die nicht aufhören wollen zu wachsen. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe gar nichts gegen diese Musiker: Sie mögen einfühlsam, talentiert, sogar genial sein. Aber was hat meine CD-Sammlung mit ihnen zu schaffen? Sie ist doch mit mir zusammen. Ich liebe sie doch. Rainer Wein (rainer.wein@gmx.net) |
|