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Chris Jarrett‘s Four Free Wie in einem optischen so ist man auch in einem akustischen „Wax
Cabinet“ mit manchmal freundlichen oder erschreckenden Phänomenen
konfrontiert. Nur dass, statt Plastilin, in der Musik das Klangarrangement
auf die Wahrnehmung wirkt. Rolf Kühn & Tri-O feat. Matthias Schriefl:
Close Up Er war der erste deutsche Jazzer, der den längerfristigen Sprung über
den großen Teich wagte. (Die erste war und vor ihm, worauf er selbst
in dem biographischen Interview-Band „Clarinet Bird“ von
Maxi Sickert verweist, Jutta Hipp.) Rolf Kühn hat die Musik von
Kindheit an geliebt und gelebt. Immer schon hat er Grenzen und Mauern
erlebt und überwinden können. Als Kind einer jüdischen
Mutter und eines „arischen“ Vaters in Leipzig aufgewachsen
fand er während der Nazizeit Trost und – zumindest innere – Befreiung
bei der Klarinette, der „Geliebten seines Lebens“, als junger
Mann wagte er den Sprung von Ost nach West, später bis über
den großen Teich, dann auch wieder zurück, gereift vom „Clarinet
New Star“ des Down Beat über Engagements u.a. bei Benny Goodman
und im Orchester von Tommy Dorsey zum Leiter des NDR-Fernsehorchesters,
Mitglied der „German All Stars“ und Pionier des freien Spiels
der Kräfte, welch letztere u.a. auf etlichen Einspielungen für
MPS dokumentiert sind. Ganz abgesehen von der überaus fruchtbaren
Zusammenarbeit mit seinem Bruder Joachim! Am 29. September wurde Rolf
Kühn 80 Jahre alt, quicklebendig, neugierig, kreativ wie je. Gemeinsam
mit den Jung-Berlinern Ronny Graupe, g, Johannes Fink, b, Christian Lillinger,
dr, und dem Special Guest Matthias Schriefl, tp, legt er mit „Close
Up“ ein echtes Juwel improvisierter Musik vor, gemischt aus Neugier
und Erfahrung, Weisheit der Jahre, generationenübergreifender Offenheit
und dem Zauber intuitiver Spontaneität. Ad multos annos! Jan Garbarek „Dresden“ ist Garbareks erste Live
Einspielung unter eigenem Namen und präsentiert sein aktuelles Quartett,
aufgenommen 2007 im Alten Schlachthof. Lange haben Fans auf eine neue „Garbarek
Quartett“-Aufnahme
warten müssen. Seit „Twelve Moons“ sind mittlerweile
fast 16 Jahre vergangen, aber das Warten wird entschieden belohnt! Garbarek
und sein langjährig vertrauter Pianist/Keyboarder Rainer Brüninghaus
haben das Quartett mit Manu Katché an den Drums und dem Brasilianer
Yuri Daniel am Bass neu formiert, ohne das Grundkonzept der Gruppe wesentlich
zu verändern. Nach wie vor begeistert Garbareks unverkennbar rufendes
Saxophon. Andres Böhmer/Jan Roth „Schwedische Impressionen sind tönende Aquarelle skandinavischer
Landschaften und Wetterauffälligkeiten. Jan Roths vielfarbiges Schlagzeugspiel
transformiert die sich aufschaukelnden Miniaturkompositionen von Gitarrist
Andres Böhmer. Trolle tanzen in Schleifen, während Hirtengesang
in der Ferne verhallt. Ein tonmalerisch-programmatisches Klang-abenteuer.“ Hört
sich prima an, was der Pressetext über das neue Album des Duo Andres
Böhmer & Jan Roth in Mythen-, Sagen- und Realwelten ausgreifend
wortmalt. Im weiteren Verlauf wird es noch unendlich poetischer, üppig
bildhaft und – einfach – romantischer. Hier ist jemand eindeutig
verliebt. Leider wird nicht klar in wen oder was. Ist der Musiker in
das Land mit seinen Erscheinungsformen verliebt oder ist der Autor der
Zeilen – Dominique Wand – in die Musik(er) verliebt. Als
letzter Ausweg bleibt noch anzunehmen, dass der Werbeschreiber in seine
eigene schwärmerische Prosa verliebt ist und hier – nun ja – reichlich
dick aufgetragen hat. Es ist schöne Musik, zweifelsohne, es sind
nette kleine Stücke und die beiden Musikanten großartige Instrumentalisten,
die mit viel Gespür und sicherem Instinkt für dynamische Feinheiten
und Klangnuancen diese (Miniaturkompositionen) ausloten. Aber es sind
auch furchtbar harmlose Stücke, in ihrer musikalischen Textur und
Gestalt so beliebig und damit letztlich nichts sagend wie die perfekt
gestylten Bilder von Künstlern, die ein weltumspannendes Möbelhandelsunternehmen
von der Stange verkauft. Hier noch eine weitere Kostprobe aus dem Pressetext: „Sonnenstrahlenweich.
Schweden ist schön.“ Michael Riessler/Howard Levy/Jean-Louis Matinier:
Metall- und Rohrblattzungen sind für „Silver & Black“ das
Inventar. Nämlich die Bassklarinette von Michael Riessler, Diatonische
Harmonica (und Klavier) bei Howard Levy und Jean-Louis Matinier am Akkordeon.
Ein ziemlich riskantes Projekt, sind doch die Timbres der Instrumente
sehr ähnlich. Gerade beim Aufenthalt im „Coma Berenices” (eine
Referenz zur gleichnamigen Galaxie) ist das evident, denn das Haar der ägyptischen
Königin Berenike verführt zu wallenden Klang-Verschlingungen.
Die sich auch sonst bemerkbar machen, etwa in den Traumszenen der „REM” (Rapid
Eyes Movements), wo sich aber aus seufzenden Akkordeon-Akkorden unisono
ein Blizzard Balkan-Riff herauslöst. Klangrisiko wird deshalb oft
in äußerst virtuosem Hypertempo entspannt, entweder per Akkordeon-Solo
in klein gekräuselten, romantischen Arpeggios für „Amischa” oder
durch „Louisiana” im Tremolo-Trab der Bassklarinette. Selten
gönnt sich das Trio Atempausen, wenn gezupfte Klaviersaiten dem
peruanischen König „Vela” etwas Ruhe bringen. Auch die „Seven
Steppes” beginnen zwar mit einer Harmonica-Doina, starten dann
aber zu einer ausgiebigen Fiesta kollektiver Improvisation durch. Manchmal
wird die Neigung zum Geschwindigkeitsrausch allerdings übertrieben,
so wenn bei „The Ravinia Merengue” der eigentliche Tanz und
die Grazie melodischer Finessen zu schnellen Skalen gepresst werden.
Doch solche Details trüben kaum die Freude. Mari Boine Mari Boine gehört zur Urbevölkerung der Arktis, den Samen.
Schon seit 25 Jahren ist sie im Musikgeschäft aktiv; im Laufe der
Zeit wurde sie zu einer Integrationsfigur ihres über mehrere Staaten
zersplitterten Volkes. Denn die Sängerin verbindet die Folklore
der Samen mit zeitgemäßem Pop, Rock und Jazz; zudem macht
sie immer wieder die Diskriminierung ihres Volkes zum Thema. Dennoch
strahlt Boines neues neuntes Album Optimismus aus. Der Titel, der lateinische
Name der Küstenseeschwalbe, deutet symbolträchtig den Aufbruch
zu neuen musikalischen Ufern an. Denn dieser Vogel verbringt den Sommer
in Lappland und den Winter in Südafrika – und Mari Boine kooperiert
erstmals mit Xhosa-Musikern: der Sängerin Lathozi Madosini und der
zwölfköpfigen a-cappella-Gruppe Abaqondisi Brothers. Im Kontrast
zu diesen exotischen Klängen stehen die elegischen Melodiebögen
des norwegischen Trompeters Ole Jørn Myklebust. Mari Boine präsentiert
sich hier vor allem als Geschichtenerzählerin. In ihrem suggestiven
Song „Lihkahusat“ (Entranced) erinnert sie sich an die kollektive
Trance bei den Laestadianisten; ihre Eltern gehörten dieser lutherischen
Erweckungsbewegung an. Weil sie die samische Volksmusik für moderne
Klänge öffnet, wird Mari Boine immer wieder von Folklore-Puristen
angefeindet. Dabei offenbaren ihre stilistischen Ausflüge gerade,
welches Potenzial in der Konfrontation von alt und neu steckt. Fanfare Ciocarlia Gypsy Power pur! Was Fanfare Ciocarlia an Spiellust und -laune auf
die Bühne bringen, kann nur als phänomenal bezeichnet werden. Die
Gypsy Brass Band aus Rumänien zeigt, wie unverkrampft Musik aus
reiner Lebensfreude bestehen kann. Zehn Blechbläser, Percussion
und große Trommel, alles, was das Herz begehren mag an mitreißend
temporeicher Blasmusik! Wo auch immer sie auftreten: Die zwölf wackeren
Kämpen des Großgebläses locken ihr Publikum aus jeglicher
Reserve, einfach deshalb, weil sie ohne Netz und doppelten Boden schlichtweg
alles in ihre Musik hineinwerfen, was nur an Lebensenergie zur Verfügung
steht. Der einstündige Live-Mitschnitt aus dem Kesselhaus der Kulturbrauerei
Berlin – im Doppelpack der reichhaltig-üppigen CD-DVD Kombination
auch optisch gehaltvoll in Szene gesetzt – erfreut und ergötzt
durch die virtuose Rasanz der Combo aus Zece Prajini, einem Dörfchen
im Nordosten Rumäniens, wo – seit Generationen und ganz ohne
Notenkunde – in schier halsbrecherischer Manier die musikalischen
Fetzen fliegen. Bei jeder Hochzeit möchte man gewesen sein, bei
der die Jungs aufgespielt haben vor ihrer internationalen Entdeckung
nach der Ära Ceaucescus. Als Extra bietet die DVD u.a. den Film „Iag
Bari – Brass on Fire“ von Ralf Marschallek, der beweist,
dass im äußersten Osten Rumäniens sich keineswegs Fledermaus
und Hase „Gute Nacht“ sagen, sondern schlicht und einfach
der Bär tanzt. Benedikt Jahnel Trio Wenn man das Benedikt Jahnel Trio im Konzert hört, könnten
einen Zweifel beschleichen, ob das „modulare Konzept“ von
Jahnels Kompositionen, seine Fähigkeit über normale Thema-Solo-Strukturen
und die Grenzen des einzelnen Songs hinaus weite Bögen zu spannen,
die Momentspannung des Live-Musizierens nicht zu wenig mitdenkt. Auf
CD funktioniert es dafür umso besser. Organisch wachsen die Bausteine
auseinander hervor, lassen den nahtlosen Übergang in ein neues Stück
ganz selbstverständlich erscheinen. Das liegt – und das ist
eine weitere Kehrseite von Jahnels bemerkenswert eigenständiger
Klaviertrio-Vision – freilich auch an einer harmonischen Sprache,
die es sich in hymnischem Wohllaut manchmal ein wenig zu leicht macht.
Wenn Jahnel sich mal – mit Anklängen an die Minimal Music – in
einer entsprechenden Schleife konsequent festbeißt, hat das dann
aber wieder eine emotionale Kraft, der man sich nicht entziehen mag.
Exemplarisch hierfür ist die Songfolge ab „I should have“,
das zunächst das „Interlude C“ auslöst, während
die Ballade „Siachen“ im wunderbaren Bass-Solo (Antonio Miguel!)
des „Interlude D“ ausschwingt. Owen Howards geradezu gesangliches
Schlagwerk (hochgestimmte Bassdrum, genietete Becken) bringt das Ganze
zum Schweben und in „Thingvedlir“ sind dann auch Zonen der
Auflösung mitkomponiert. Die muss man dann allerdings im Konzert
erleben… Bebel Gilberto Seit die brasilianische New Yorkerin Bebel Gilberto im Jahr 2000 mit
ihrem ersten Album „Tanto Tempo“ in den Billboards World-Music-Charts
in den Top 5 landete, hat sie sich in der Musikszene für einen neuen
Bossa-Nova-Sound etabliert. Ihre vorletzte Aufnahme „Momento“ (2007)
zeigt sie bereits zunehmend experimentierfreudiger, so dass man ihr jüngstes
und bisher vielseitigstes Album durchaus als Highlight ihrer noch jungen
Karriere bezeichnen kann. Als Tochter des großen Bossa-Nova-Gitaristen
João Gilberto und der Sängerin Miúcha ist sie mit
Musik groß geworden. „Ich wachte zu seinen Gitarrenklängen
auf und schlief zu ihnen ein.“ Mit ihrer Mutter nahm sie 1977 bis
1979 ein Kinderalbum auf. „Seitdem weiß ich, dass ich auf
die Bühne gehöre.“ In der Folge arbeitete sie mit namhaften
Künstlern wie Arto Lindsay und David Byrne sowie Produzenten wie
Mark Renson und John King. Absolute Ensemble „Sultan“ geht ab wie die berühmte Post – und sprengt
damit uralte Klischees von breitärschigen Herrschern, die auf kostbaren
Kissen hocken und gemütlich ihr Reich regieren. Vorgefertigte Raster
hat Joe Zawinul zeitlebens vermieden und sich immer neu orientiert, auf
Neues eingelassen und ausprobiert. Seine letzte Studioaufnahme hat der
vor zwei Jahren verstorbene Keyboarder und Komponist mit dem genreunabhängigen
Kammerensemble „Absolute Ensemble“ des estnischen Dirigenten
Kristjan Järvi und Mitgliedern seines „Zawinul Syndicate“ eingespielt.
Der, Järvi, musste beim Meister erst hartnäckig intervenieren,
bis dieser überzeugt war, mit dem über 30 Jahre jüngeren
Leiter des Tonkünstler-Orchesters Wien ein gemeinsames Projekt zu
stemmen. Herausgekommen ist ein vibrierendes, schillerndes und lebensfrohes
Album weit jenseits von geläufigen Jazz-meets-Klassik-Vorstellungen.
Von dieser mal viril brodelnden, mal poetisch zart insistierenden Musik
geht ein enormer Sog aus, ein Sog der über den gemeinsamen Horizont
von Jazz und E-Musik hinaus-weist. Zwischen Rapvocals, afrikanischen
Vibes und Streicherparts, die mit einem höllischen Tempo groovend
durch Gehörgänge rasen kommt – bei aller Präzision
und strahlender Brillanz – ein Gefühl von heiter unmittelbarer
Spontaneität auf, wie man es wohl kaum von einem klassisch geschulten
Kammerensemble erwarten würde. Dann künden wieder Flötenklänge
und ein perlendes Piano von den paradiesischen Tagen eines „Great
Empire“, womit Zawinul Japan musikalisch besingt. „Peace“ schrammt
in changierender Unentschiedenheit zwischen Freude und melancholischem
Zweifel bisweilen am Kitsch entlang. Einerseits ist das Album Fortsetzung
der Arbeit der letzten Jahre vor Zawinuls Tod, andererseits zeigt es
eine neue, weitgehend unbekannte Seite dieses Tausendsassa. Man kann
Järvi nur zu seiner Hartnäckigkeit beglückwünschen, „Absolute
Zawinul“ ist ein bewegendes Vermächtnis. Dave Douglas Eine reine Blechbläserbesetzung (Trompete, Posaune, Horn, Tuba)
plus Schlagzeug – das lässt an Lester Bowies Brass Fantasy
denken oder an Ray Andersons Pocket Brass Band. Dave Douglas nennt auch
Lester Bowie als Inspiration für die-se Musik, die 2008 aufgenommen
wurde. Seine Stücke sind sehr ausbalanciert, in den geschriebenen
Teilen wie in den Improvisationen und in deren Verhältnis zueinander.
Die Bläser, insbesondere der Tubist, spielen diszipliniert – sehr
zum Vorteil des Ganzen. Die Stilistik reicht von Modern Bop („Fats“ – gemeint
ist Fats Navarro) und New Orleans R&B („Mister Pitiful“) über
Ballade („Rava“ – Enrico Rava gewidmet) und Gospel
(„Great Awakening“) bis zu einem wunderschönen langsamen
16-taktigen Blues im ¾-Takt („I´m so lonesome I could
cry“ – das Thema ist von Hank Williams). Schlagzeuger Nasheet
Waits hält die Gruppe sehr gut zusammen, die im Juli in München
spielte und der wir ein langes Bestehen wünschen. Diese CD muss
man oft hören – jedes Mal entdeckt man neue Feinheiten. Mulo Francel und Nicole Heartseeker Eine sonst eher ungewöhnliche Duo-Konstellation beweist hohe Kunst
auf sinnlichem Terrain: Die Organistin Nicole Heartseeker, die ihre musikalische
Heimat in der klassischen Welt Johann Sebastian Bachs und in der Orgelkunst
Max Regers hat, lässt sich gekonnt auf das Experiment mit dem Saxophonisten
Mulo Francel ein, der mit dem Quartett Quadro Nuevo weltweit erfolgreich
ist. Thorsten Heitzmann’s Bonefunk Fast schon nostalgisch anmutenden Funk mit dem Flair der besseren Hälfte
der Siebziger gibt Bonefunk zu hören mit griffigen Riffs und knalligem
Groove, eine Fusion-Band aus Köln, wo der Posaunist Thorsten Heitzmann
zu Hause ist, der die Band schon 1999 gründete. Auf dem stets beweglichen,
mal mehr Rock-, mal mehr Jazzfunk-kompatibel ausgelegten Groove-Teppich,
den Florian Bungardt, dr, und Rainer Wind, b, mit Lust und Tücke
knüpfen, und vor dem von Thomas Nordhausen, g, und Xaver Fischer,
keyb, fein schraffierten und farbig ausgemalten Hintergrund tummeln sich
mit dem „Next Generation“-Trompeter Frederik Köster
und Heitzmann selbst zwei quicklebendige Bläser, gleichermaßen
offensiv und (schweiß)treibend aktiv in Thema, Satz und Solo. Heitzmann
hat sich nach dem Studium der Posaune an der Hochschule für Musik
Köln bei Jiggs Whigham, Adrian Mears und Henning Berg die ersten
Sporen im Landesjugendjazzorchester NRW und im BuJazzO verdient, Studio-,
Musical-, Fernseh- und Festivalerfahrung in reichem Maß gesammelt,
und neben fleißiger Arbeit für andere seine eigene Band Bonefunk
kontinuierlich zu einem hochkarätigen Energie-Lieferanten aufgebaut.
Die „Soulfields“ werden mit Power durchkreuzt, alle neun
Kompositionen stammen aus der Band, sieben davon aus Heitzmanns eigener
Feder. Die Stücke entfalten Druck und Leuchtkraft und lassen bei
aller Eingängigkeit die gebotene Differenzierung keine Sekunde missen. „Eins,
zwei, drei“ ist’s fast zu schnell vorbei. Irina Karamarkovic Band Seit 1998 war die kosovarische Sängerin Irina Karamarkovic nicht
mehr in ihrer Heimat: Bevor die NATO 1999 ihre Heimatstadt Prisitina
zu bombardieren begann, floh sie mit ihrer Familie ins österreichische
Graz, wo sie ganz von vorne anfangen musste. Mit ihrer neuesten Produktion „Songs
from Kosovo“ will sie eine versunkene Welt heraufbeschwören.Lieder,
die ihre Mutter und ihr Großvater seit Jahrzenten gesammelt haben,
kleidet sie zusammen mit dem Bassisten Wolfram Derschmidt, dem Pianisten
Stefan Heckel und ihrem Lebenspartner und Schlagzeuger Viktor Palic in
moderne Gewänder. Wer nun deftig-melancholische Folkinterpretationen à la „Fanfare
Ciocarlia“ oder „ErsatzMusika“ erwartet, wird enttäuscht,
entschädigt wird er aber durch glasklare Jazzarrangements mit orientalischen
Anklängen, die aber nur Spielmaterial bleiben und nie ins Folkloristisch-Rührselige
abdriften. Leben tut das Ganze natürlich durch die perfekte und
kraftvolle Stimme der Karamarkovic, die eben genau weiß, von was
sie singt: Da geht es um verlorene Liebe, im Krieg verloren gegangene
Menschen, Einsamkeit in weiter Landschaft und Familien, die auseinander
gerissen wurden. Aufgenommen wurde in einem Rutsch innerhalb von zwei
Tagen in einem Studio in Maribor, das zeugt wiederum vom Können
der Musiker. Ebenso kunstvoll ist das Cover gestaltet, die Fotos der
Band passen wunderbar dazu – und trotzdem – manchmal fehlt
einem doch dieses winzige Quentchen Balkanromantik, Schwelgen in der
Vergangenheit, so seltsam kühl-distanziert bleibt die Umsetzung. Thärichens Tentett Was ist der vielbeschworene Berliner Sound? Einigen wir uns einfach
darauf, dass Berlin mehr und mehr zum kreativen Schmelztiegel vielerlei
Impulse,
Ideen, Umtriebe wird. Und dass sich das auch in einzelnen Projekten widerspiegelt,
etwa in Thärichens Tentett. Dessen viertes Album in zehn Jahren
bringt nun „Farewell Songs“. Keine Angst jedoch, trotz der
ernsten Thematik – jeder Abschied ist ja wie ein kleiner Tod – müssen
die Spreekähne mitnichten Trauer tragen, auch wenn die Stimmung
deutlich melancholischer ist als auf den Vorgängeralben. Das mag
dann auch an der Reife der mittleren Jahre liegen, schließlich
geht Thärichen hart auf die 40 zu, jenes Alter, in dem die Menschen
zu grübeln beginnen und ein bisschen lebensschwerer werden. Dem
enthoben jedoch ist nicht allein die Stimme Michael Schiefels, die ohne
Schräglage gar nicht zu sich selbst zu finden vermag, infolgedessen
so abgedreht wie eh und je den vertrackten, komplexen, introspektiv verharrenden,
expressiv brodelnden Arrangements der Band die Sahnehäubchen aufsetzt.
Das geht von AC-DCs „Up To My Neck in You“ über die
dem Tod des Vaters gewidmete dreiteilige „Farewell-Suite“ und
Gedichtvertonungen von Dorothy Parkers „On Being a Woman“,
Maria A. Slowinskas „This Time“ oder Ronald D. Laings „Unadored” bis
zu Thärichens „The Last Day of My Youth“. Wenn das die
Midlife-Crisis ist, kein Stress! Für jede Menge Unterhaltung ist
gesorgt! Rafik Schami/Günter Baby Sommer Was für ein Glücksfall. Zwei der muntersten und aufregendsten
Erzähler, Meister ihres Faches, tun sich zusammen und erzählen
drauf los. In zwei Sprachen, zwei Formen, mit zwei Zungen, die sich ergänzen,
durchdringen, umtanzen, vor- und zurückweichen, zärtlich begleiten
oder munter vorneweg springen. Es ist ein herrlicher Dialog, der auf
verschiedenen Ebenen stattfindet und mehr als die Summe seiner Teile
ist. Die Teile, das sind der syrisch-deutsche Autor Rafik Schami, ein
fabelhafter Erzähler, der köstliche, absurde, nachdenkliche
und zuckersüße Geschichten aus seinen Büchern rezitiert,
und der große Trommler aus dem Elbtal, Günter Baby Sommer,
Freejazzpionier und Geschichtenerzähler auf Holz, Metall, Plastik
und Fellen. Natürlich ist das kein Jazzalbum, aber die Musik Sommers
auf dieser CD geht über eine einfache Begleitung der Texte weit
hinaus. Sommer gibt Antworten, ist Partner und Diskutant, das Ganze eine
aufregende Wort-Klang-Performance, die unter die Haut geht, das Gemüt
in Erregung versetzt. Am deutlichsten wird das bei der Satire „Wie
ein Syrer zweimal geboren wird“: Schami beginnt mit einer Geschichte,
mit der er seine Heimatstadt Damaskus anhimmelt. Sommer trägt seinen
Teil bei mit zauberhaften klanglichen Nuancen und einer abwechslungsreichen
perkussiv-klang-(farben-)reichen Musik, die imstande ist süchtig
zu machen. Den Zweien sollten man öfter die Chance geben sich gemeinsam
zu produzieren – ein Hochgenuss. Charlie Mariano with Philip Catherine and Jasper
van’t Hof: Ein Vermächtnis der besonderen Art! Weil zwei Eigenschaften besonders
deutlich werden, die Charlie Marianos Spiel seit je getragen haben, Eigenschaften,
die einen wirklich großen Jazzmusiker ausmachen: Individualität,
ein eigener Ton, Persönlichkeit, Erkennbarkeit, eine Stimme, die
nicht untergeht im Meer der Eitelkeiten und der Zeit. Und die Begabung
zur Partnerschaft, Freundschaft, Kommunikation, Empathie, eine Stimme,
die in Dialog tritt, die sich zusammentun kann mit anderen im Ein- und
Ausatmen kreativen musikalischen Miteinanders, eine Stimme, die immer
in der Lage war und blieb, Impulse aufzunehmen, zu integrieren, sich
zu eigen zu machen, zu beantworten und zu gültigem Ausdruck zu bringen,
Stimme eines Weltenbürgers ohne Allüren, von sonderem Ernst
und intensiver Kraft. Als Ende der 70er Jasper van’t Hofs Jazzrock-Band „Pork
Pie“ aufgelöst wurde, blieben die Drei zusammen, formten ohne
Bass und Schlagzeug ein Trio leiserer Töne: Jasper van’t Hof,
Philip Catherine und eben Charlie Mariano. Um das Jahr 2006 fanden die
Drei sich erneut zusammen, vereinten die besten Impulse der gemeinsamen
Jahre mit der Reife der Zeit und konzertierten miteinander, am 2. Mai
2008 im Theaterhaus Stuttgart, wo irgendwarum ein Aufnahmegerät
zur richtigen Zeit am richtigen Platz war. Was es einfing? Eine Sternstunde
zeitloser Schönheit, melodietrunkener Kommunikation, weiser Lebensfreude,
leisen Humors, vitaler Frische, magischer Intuition! Vijay Iyer Trio International ist der 1971 mit indischen Wurzeln in Amerika geborene
Komponist und Pianist Vijay Iyer längst kein unbeschriebenes Blatt
mehr. Seit 1995 veröffentlicht er kontinuierlich und hat sich den
Ruf eines ungewöhnlich kreativen wie innovativen Musikers erworben. „Historicity“ ist
beachtenswert: nach diversen Aufnahmen unter eigenem Namen ist dies seine
erste Klavier-Trio Aufnahme als exklusiver ACT-Künstler. Mit dem
Bassisten Stephan Crump und Marcus Gilmore an den Drums versucht Iyer
das klassische Klavier-Trio auf seine Art neu zu definieren. Gary Peacock/Marc Copland: Ein halbes Jahrhundert nach „Kind of Blue“ kommt so manche
Revolution im Jazz eher sanft daher. Etwa, wenn sich Bassist Gary Peacock
und der Pianist Marc Copland eigentlich überhaupt nichts mehr zu
beweisen, aber dafür umso mehr zu sagen haben. Wenn es um den symbiotischen
Austausch musikalischer Innenenansichten geht. „Insight“ lautet
entsprechend der Titel ihres jüngsten Albums. |
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