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Gleißend klares Licht, nur ein paar weiße Wölkchen turnen am tief blauen Himmel herum. Es ist heiß, schwül heiß, die Sonne steht senkrecht und ihre Strahlen brennen auf der Haut. Das soll nichts heißen, zum Abendkonzert kann sich der Himmel in Sekunden beziehen und es wie aus Eimern schütten, und dann werden die riesigen Schirme, die jetzt willkommene Schattenspender sind, wieder ihre ursprüngliche Funktion als Regenschutz erfüllen. Es ist Anfang Mai und das 18. Jazzfestival auf St. Lucia, der zu den Kleinen Antillen zählenden vulkanisch geprägten Karibikinsel, nur 37 Kilometer südlich von der bekannteren Schwester Martinique. Neben den für die Karibik typischen Traumstränden und Korallenriffen bedeckt die Insel St. Lucia noch zu großen Teilen tropischer Regenwald, heute Naturreservat. Ihr Wahrzeichen sind die beiden wie Domspitzen unmittelbar an der Küste vor Soufrière liegenden Kegelberge, die Pietons. Nicht nur, dass sie eine malerische Kulisse bieten, ihnen werden auch magische Kräfte zugesprochen. Diese spirituelle Energie soll auch auf den Menschen übergehen! – so sagt man jedenfalls auf St. Lucia. Hier, wo der Soca zu Hause ist und einem die Bananen quasi in den Mund wachsen, scheint alles möglich! Calypso und KarnevalAllgemein assoziiert man mit karibischer Musik Kuba mit seinem Bolero, Mamba, Rumba und vor allem Wim Wenders Buena Vista Social Club sowie Jamaika und den Reggae, aber auch andere Karibik-inseln haben ihre eigenen Musiktraditionen. Auf St. Lucia ist der Calypso eng mit dem Karneval verbunden, der jedes Jahr im Juli ausgelassen gefeiert wird und mit den Franzosen auf die Insel kam. „St. Lucia hat in der Musik französische Einflüsse und eine afrikanische Herkunft, das kann man nicht leugnen, aber auch seine eigenen Folksongs“, so der Band-Leader „Boo“ Hinkson. Während sich der Calypso traditionell um sozialpolitische Themen dreht, ist der nun besonders beliebte Soca eine schnellere und fröhlichere Variante der Calypso-Rhythmen. Zur einheimischen Musik gehören aber auch der Reggae. Vor allem im französisch geprägten Süden der Insel findet man zudem Zouk und Cadance. Längst ist das Jazzfestival auf St. Lucia keine rein karibische Veranstaltung mehr. Trotz der breiten Programmpalette unter Teilnahme renommierter und auch ausländischer Musiker – Herbie Hancock, Wynton Marsalis und Grammy-Award Gewinnerin Anita Baker gehören zu den Stargästen der letzten Jahre – gilt es bei uns immer noch als Geheimtipp. Noch kommen die meisten weit angereisten Besucher aus Amerika und England. Letzteres ist verständlich, da St. Lucia bis 1979 unter britischer Vorherrschaft stand.
Das Festival konzentriert sich vor allem an der Westküste; die Hauptbühne liegt nahe der Hauptstadt Castries auf der Halbinsel Pigeon Island. Hier vereinigen sich Atlantischer Ozean und Karibisches Meer und während der kommenden sechs Tage die unterschiedlichsten Musikstile rund um den Jazz – Rock, Beat, Funk und Fusion bis Soul. Zwischen Strand, Palmen und den Resten der einstigen Festung Fort Rodney schwingen Jazzrhythmen bis spät in die Nacht über das Festivalgelände. Zelte und zahlreiche leuchtend bunt gestrichene Buden laden zum Kosten einheimischer Gerichte ein. Es ist Samstag, von der Hauptbühne, die einer überdimensionierten Muschel gleicht, dringen karibische Rhythmen vermengt mit melodischen Saxophonklängen über die Wiese. Der auf St. Lucia geborene und auch in Europa gastierende „Boo“ Hinkson ist zum 16. Mal auf der Festivalbühne und „es ist jedes Mal eine Ehre für mich, dabei zu sein.“ Er hat den Reggae und Calypso im Blut, aber ebenso den traditionellen Jazz. Sein Vater, Soldat der britischen Armee, hatte Schallplatten von Duke Ellington und Louis Armstrong mit auf die Insel gebracht. Ebenfalls auf der Insel geboren wurde Allison Marquis, der es mit seiner erst ein Jahr bestehenden Big Band Formation Eclectic Pan Jazz überzeugend versteht, die Rhythmik einer Steelband mit dem Drive einer Big Band kommunizieren zu lassen. Außerhalb der Region ist er noch ein Unbekannter, aber schon in kurzer Zeit hat er mit seinen Arrangements nach Stevie Wonder oder Coltraine das einheimische Publikum erobert. Unter den Pan-Spielern ist auch eine Frau, Christa, „keine Ungewöhnlichkeit auf St. Lucia, hier sind viele Frauen in Steelbands und Christa ist einfach sehr gut!“ – so der Band Leader. Vor der Bühne ist die Atmosphäre locker beschwingt, entspannt. Die karibische Lebensfreude, der auch ein heftiger Regenschauer nichts anhaben kann, spiegelt sich deutlich in der Musik. Eines der Highlights der ersten Festivaltage ist die besonders in Frankreich
populäre Zouk-Band Kassav von Guadeloupe und Martinique. 1979 von
Pierre-Edouard gegründet, gilt sie als führende Band in der
Entstehungsgeschichte des Zouk, der auch den Tanz beinhaltet. Indem Kassav
Elemente des Reggae, Salsa und haitianischen Kompa in alte Karnevalsmusik
intergrierte, gab die Band diesem Stil einen eigenen Sound. Weitere Höhepunkte
sind Luther François, einer der besten Saxophonisten der Karibik
sowie die einstige Bob Marley-Band The Original Wailers. Auf der Bühne stehen auch Musik-Ikonen wie die Rock´n`Roll-Legende Chicago, der Pop-Rock Star Michael McDonald und die populäre KC and The Sunshine Band. Manche Fans sind extra angereist, so Tom von den Philippinen, der derzeit bei einer Filmproduktion in Tobago arbeitet. „Ich wollte Chicago unbedingt einmal live sehen!“ Kathy ist Einheimische, aber „ich bin bis jetzt jedes Jahr mit meiner Familie dabei!“ Von der Weltpresse meistbeachteter Star ist Amy Winehouse. Sie lebt nun seit Monaten mit kurzen Unterbrechungen auf der Insel. „Amy ist eine gute Werbung für St. Lucia“, erzählt der Manager vom Resort Stonefield, „aber als sie das erste Mal kam, hatten die Leute schon nach drei Tagen genug von ihren Exzessen.“ Nach ihrem missglückten Comeback ist es ruhig um sie geworden. Der Ausstrahlungskraft und voluminösen Stimme von Chaka Khan kann sich niemand entziehen. Mehr noch als man von ihren Auftritten in Europa gewohnt ist, explodiert sie auf der karibischen Bühne wie ein Vulkan. Publikumsmagneten sind auch die in London geborene Sängerin Estelle, ihr Sound, eine Mischung von Hip Hop, Pop, Reggae und Soul sowie Patti Labelle, die sich unter Beifall für ihre Performance Männer aus dem Publikum holt. Die zweifache Grammy-Gewinnerin zählt zu den Legenden der US-amerikanischen R&B- und Soul-Sängerinnen. Das Event, das sich im Grunde genommen aus einer einfachen Marktstrategie entwickelt hat, die Insel für den Tourismus bekannter und attraktiver zu machen, hat sich über die Jahre zu dem zweitwichtigstes Festival der Karibik entwickelt, vielleicht wegen der einzigartigen Atmosphäre aus karibischem Lebensstil und unter die Haut gehenden Jazzrhythmen. Vom relaxten Lebensstil, seiner Spontanität und neugierigen Offenheit zeugt auch das kurzfristige Engagement der niederländischen jungen Sängerin Mantanya, die fast alle ihre Songs zur Gitarre selbst schreibt. „Ich habe noch nie vor 5000 Leuten gespielt! Es war great, dass der Organisator mit mir dieses Risiko eingegangen ist.“ Sie hat die „Kaltwasserprobe“ gut bestanden und nun bleibt abzuwarten, ob und wo man Mantanya spontan wieder begegnet. Das Festival verabschiedet sich unter klarem Sternenhimmel und leuchtend buntem Feuerwerksregen zu mitreißenden Reggae-Rhythmen der Band des jamaikanischen Sängers Beres Hammond, der die Musik seiner Heimat mit verschiedenen Ebenen des Jazz zu einem ihm eigenen Stil vermengt. „Ich bin zuerst ein Sänger, kein Reggae-Singer, aber ich bin stolz darauf, auf Jamaika geboren zu sein.“ Beres Hammond ist auch im Ausland kein Unbekannter. Der jamaikanische Journalist Michael Mattius hat ihn bei einem Londoner Auftritt erlebt, „aber da war er steifer, ging nicht so emotional aus sich heraus. Ihm fehlte wohl die karibische Luft!“ Beres Hammond ist nicht zum ersten Mal zu Gast auf St. Lucia, er kommt gerne hierher. „Here, I saw family“, sagte er nach seinem Auftritt sichtlich bewegt ins begeistert applaudierende Publikum. Anne Kotzan
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