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„... eröffnet sich dem geneigten Hörer eine Wunderwelt an jazzig-orientalisch-indisch-iranischen Stimmen.“ Verantwortlich für dieses schlichte Kritikerstaunen ist ein kleiner, vor wenigen Jahren neu entdeckter Stamm. „tiny tribe“, aus den Tiefen des Königlichen Konservatoriums in Den Haag und anderer weit verstreuter, aber renommierter Bildungsstätten kommend, hat sich an den Ufern des Flüsschens Rhein gefunden und startete von dort klangliche Exkursionen, die den Winzling bisher bereits ins südliche Afrika, in die fantasieanregenden Weiten der Kinoleinwand und eben in genannte „Wunderwelt“ geführt hat. Bei jeder neuen Exkursion wächst dabei der Kern des Stammes aus Bassmann Jens Loh (auch electronic), Saitentraktierer Florian Zenker (auch: cister, electronic) und MP (Master of Percussion) Afra Mussawisade um einige neue Mitglieder an. Waren es auf dem Debütalbum „Milou“ Christof May (bcl, ss) und Oene van Geel (violin), sind bei den jüngst veröffentlichten „strange stories & faraway places“ Akkordeonspieler Manfred Leuchter, Violinist Gregor Hübner und Flügelhornspieler Matthias Bergmann als Stammesgäste dazu gestoßen. „Wir sehen uns tatsächlich als eine Art Stamm, der durch Anknüpfungen mit anderen Musikern und Stilen an Größe gewinnt“ verrät Jens Loh. „Durch eine Art ,Musique imaginaire’ machen wir eine Musik, die kompatibel ist mit verschiedensten Stilistiken aus anderen Genres und Kulturen.“ Einen originären Anteil an diesen kulturellen Einflüssen bringt der in Teheran geborene Mussawisade, der bereits mit sechs Jahren das klassische iranische Perkussionsinstrument „Zarb“ erlernt hat, in den Stammespool ein. Mit zehn floh er mit seinen Eltern nach Deutschland und begann einen langen Streifzug durch westafrikanische, lateinamerikanische und indische Musik, die er sich bei Studien an Musikhochschulen und am Karnataka College of Percussion in Bangalore aneignete. Loh und Zenker schaffen als Komponisten einen Sound, der „als Paradebeispiel dafür herhalten kann, wie man sich aus einer Jazzperspektive konstruktiv mit Weltmusik auseinandersetzt,“ analysiert anerkennend ein anderer Kritiker. Dabei lassen sie sich von allerlei Eindrücken, Erlebnissen und Bildern inspirieren. „Darth on Dope“, grinst Zenker vergnügt, „war eine direkte Verarbeitung einer Konfrontation mit Herrn Vader in einer Sendung auf dem Kinderkanal KiKa, in welcher die Entstehung unangenehmer Körpergerüche erklärt wurde.“ Häufig sind es visuelle und emotionale Assoziationen, die der Entstehung eines neuen Stückes zugrunde liegen. „Es ist uns wichtig dass jedes unserer Musikstücke eine starke eigene Stimmung und eigenen Charakter entwickelt“, ergänzt Loh mit dem nötigen Ernst. Tatsächlich löst „tiny tribe“ bei Zuhörern – sicher auch bei Mitmusikern – mit seinen erregenden Klängen, eigenwilligen Melodien und Rhythmen vielfältige Assoziationen und Bilder aus. Das legen diverse CD-Besprechungen und Kritiken nahe. „Faszinierend, wie die Phantasie – einmal angestoßen – auf den Wellen der Musik eine eigene Dynamik entfaltet“, schreibt ein Blogger. Dreimal habe er das Album (strange stories) gehört und sei gefesselt gewesen, „ohne dass ich genau sagen kann, was ich nun gehört habe.“ Diese Musik sei einfach anders und „sie macht Spaß“. Den hört man auch der Musik an. Die Stammesbrüder haben merklich selbst Spaß an der Sache und nehmen ihre „Klangwelt keineswegs nur bierernst“. Allerdings vereinfachen es die skurrilen, humorigen Geschichten, die sie dabei um ihre Stücke stricken, „dieses Gefühl auch unseren Zuhörern näher zu bringen.“ Eine dieser Geschichten auf dem neuen Album ist die der kleinen, gelben Ente Anton. Gezeiten und Strömungen nach einer Schiffshavarie überlassen, schippert das tapfere Gummitier seither über die Weltmeere. Bis eines Morgens Stammesritter Zenker nach der Zeitungslektüre einher geritten kam und mit seiner Komposition Anton der Vereinsamung und dem Vergessen entriss und Antons Gummiehre nun fürs kulturelle Gedächtnis der Welt bewahrt. In ebendieses ist auch „Milou“ eingeschrieben. Der österreichische Filmemacher Walter Grössbauer hat das Debütalbum für seinen Dokumentarfilm „Kairo“ verwendet. Ohne auch nur eine Note zusätzlich notiert zu haben, fügt sich die Musik derart gut in die filmische Geschichte ein, als sei sie speziell dafür geschaffen worden. Der Film läuft derzeit in deutschen Programmkinos. Aktuell arbeitet das Trio an einem Nachfolgeprojekt: „Wir produzieren Musik für den Dokumentarfilm über ein Entwicklungsprojekt in Mali.“ Im Herbst soll die Dokumentation fertig werden. Vergangenes Jahr war der lokal ungebundene, situationistisch umherschweifende „winzige Stamm“ nach Simbabwe zu einem der größten Kulturfestivals Afrikas eingeladen. Angst, dem diktatorisch herrschenden Ex-Befreiungskämpfer Robert Mugabe dabei in die Hände zu spielen, hatten die drei Barden nicht. Bei einem gemeinsamen Auftritt mit dem Mbira-Ensemble von Albert Chimedza, den Loh bei einer Konzertreise kennen gelernt hatte, bemerkten sie gar, dass die Festivalorganisatoren von HIFA die Situation nutzten, „um mehr oder weniger versteckte Systemkritik zu äußern“. Vor Ort stellten sie auch immer wieder fest, dass „Leute erstaunlich offen über die politische und auch ihre persönliche Situation sprachen.“ Insgesamt machte das kulturelle Leben dieses ökonomisch am Boden liegenden Landes mit seiner bizarren Inflation und großer sozialer und politischer Unsicherheit einen enorm „vitalen, kreativen und vielseitigen Eindruck“ auf die fantasievollen Instrumentalisten aus Deutschland. Michael Scheiner
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