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Jazzzeitung

2009/05  ::: seite 4

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Inhalt 2009/05

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Farewell: Dieter Seelow


TITEL -
Von der Rückkehr des Stils
Wie die Mode in den Jazz ein-, aus- und wieder einzog


DOSSIER
- St. Lucia und Ungarn

Mit der Wende war alles möglich
Jazz in Ungarn – ein besonderes Erlebnis

Schirmherrschaft der Pietons
18. Jazzfestival auf St. Lucia – ein Rückblick

Berichte
Keith Jarrett in der Berliner Philharmonie // 20. Jazzfest München // Jazzorchester Regensburg mit Gaststar Efrat Alony // 33. Leipziger Jazztage // Loft Music und Gasteig GmbH starten neue Jazzreihe // 30. Jazzfestival Saalfelden


Portraits

German Jazz Trophy 2009 für Carla Bley // NU-Jazz-Reihe von ACT // Jamie Cullum // „Magnus Fra Gaarden“ // ETNA // Jazzpianist Martin Sasse // Randi Tytingvåg // Tiny Tribe


Jazz heute und Education
BMW Welt Jazz Award 2010 – ein Interview mit Frank-Peter Arndt // Martin Pfleiderer lehrt in Weimar Geschichte des Jazz und der populären Musik // Abgehört: Cannonball Adderleys Solo über „Straight, No Chaser“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

 

Die dezente Revolution

German Jazz Trophy 2009 für Carla Bley

Man muss ja nicht immer nur poltern. Manchmal ist es viel wirkungsvoller, im Kleinen die Gewissheiten der Ausdruckskraft zu untergraben. Carla Bley bevorzugt diesen Weg der beiläufigen Infragestellung und hat über bald ein halbes Jahrhundert hinweg den Jazz mit allerlei Kuriosem und Amüsantem verschnitten. Da es ihr dabei nicht um musikalischen Slapstick, sondern um profunde ästhetische Fragen der Gestaltung geht, werden aus ihren Projekten Meisterwerke des subtilen Humors. Am 24. November 2009 bekommt Carla Bley daher die German Jazz Trophy für ihr Lebenswerk überreicht. Ein kleiner Rückblick.

Entschmeicheln die Harmonie: Carla Bley mit Andy Sheppard (Mitte) und Steve Swallow. Foto: Ssirus W. Pakazd

Bild vergrößernEntschmeicheln die Harmonie: Carla Bley mit Andy Sheppard (Mitte) und Steve Swallow. Foto: Ssirus W. Pakazd

So aufwändig wie in ihrer Sturm- und Drangzeit sind ihre Projekte heute nicht mehr. Immerhin drei Jahre lang arbeitete Carla Bley beispielsweise an ihrem musikdramatischen Mammutepos „Escalator Over The Hill“, bis sie es 1971 der verblüfften Musiköffentlichkeit mit sechs Bands, Sprechern, Sängern und Chören vorstellen konnte. Es war der vorläufige Höhepunkt einer ungewöhnlichen Karriere, die dem eigensinnigen Mädel aus der Provinz einen Platz in den vorderen Ränge der internationalen Jazz-Avantgarde sicherte. 1938 als Carla Borg und Tochter eines Kirchenorganisten in Oakland, Kalifornien, geboren, versuchte sie sich zunächst in bürgerlicher Normalität, begann aber bald an der gedanklichen Enge der Welt der Eltern zu zweifeln. Mit 15 verließ sie die Schule, tingelte daraufhin als Folkchanteuse durch die Staaten, bis sie Mitte der Fünfziger in New York landete. Bei einem Job als Zigarettenverkäuferin im Jazzclub „Birdland“ lernte sie ihren zukünftigen Mann, den Pianisten Paul Bley kennen. Durch ihn und seine Freunde kam sie mit der experimentellen Musikszene Manhattans in Kontakt. Ihre Ehe hielt zwar nicht lange, die Verbindung zur Avantgarde jedoch war geknüpft und der Ausgangspunkt für die überbordende Kreativität der Quereinsteigerin.

Carla Bley schaffte es, sich in der Männerdomäne Jazz als Komponistin, Pianistin und Bandleaderin zu etablieren. Über mehr als drei Jahrzehnte hinweg arbeitete sie von George Russell bis Don Cherry mit der Crème der innovativen Kollegen zusammen, allerdings nicht, um sich der Namen in der Biographie zu versichern. Denn die Querdenkerin hatte von Anfang an genaue Vorstellungen ihrer Klangwelten im Kopf, für die sie sich gezielt die passenden Mitstreiter suchte. Sie war und ist Konzeptkünstlerin mit dem Gespür für die passende Balance der kompositorischen Mittel. Und sie hat die nötige Prise Ironie, um von „Musique Méchanique“ bis „Fancy Chamber Music“ gestalterische Vielfalt mit intellektuellem Witz zu versehen. So entstanden mehr als 400 Songs und Fragmente, die inzwischen weit über den Spezialistenkreis der Avantgarde hinaus zum Repertoire des modernen Jazz gehören. Sie sind Albumblätter des Hintersinnigen, denn überall verstecken sich Mehrdeutigkeiten, irritierende Nuancen, ironisierende Querverweise.

Harmonie wird durch vorsichtige Dissonanz und schleichende Monotonie entschmeichelt, Wohlklang trifft auf stilisierten ästhetischen Widerstand in Form pointiert überdrehter Darstellungsklischees. Da trifft schon mal ein dunkler Tango auf das nostalgische Kaffeehausflair wiedererweckter Salon-
orchesterklänge, schluchzende Geigenstimmen verbinden sich mit gefühlstrunkenen Flötenlinien, kunstvoll spröde arrangierte Klavierakkorde mit den reizvoll klar ornamentierenden E-Bass-Melodien, für die zumeist Carla Bleys Lebensgefährte Steve Swallow zuständig ist. Bei der Verleihung der German Jazz Trophy 2009 am 24. November 2009 im Gustav-Siegle-Haus in Stuttgart wird die Künstlerin zusammen mit ihrer aktuellen Band „Lost Chords“ auftreten. Neben Swallow am Bass begleiten sie Andy Sheppard am Saxofon und der Schlagzeuger Billy Drummond. Den Jazzpreis, eine Statue des Stuttgarter Bildhauers Otto Herbert Hajek, verleiht die Sparda-Bank Baden-Württemberg gemeinsam mit der Jazzzeitung (ConBrio Verlagsgesellschaft, Regensburg) und der Kulturgesellschaft Musik + Wort e.V. Stuttgart. Und Carla Bley wird sich mit viel Spaß und musikalischer Ironie revanchieren.

Ralf Dombrowski

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