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Man muss ja nicht immer nur poltern. Manchmal ist es viel wirkungsvoller, im Kleinen die Gewissheiten der Ausdruckskraft zu untergraben. Carla Bley bevorzugt diesen Weg der beiläufigen Infragestellung und hat über bald ein halbes Jahrhundert hinweg den Jazz mit allerlei Kuriosem und Amüsantem verschnitten. Da es ihr dabei nicht um musikalischen Slapstick, sondern um profunde ästhetische Fragen der Gestaltung geht, werden aus ihren Projekten Meisterwerke des subtilen Humors. Am 24. November 2009 bekommt Carla Bley daher die German Jazz Trophy für ihr Lebenswerk überreicht. Ein kleiner Rückblick.
So aufwändig wie in ihrer Sturm- und Drangzeit sind ihre Projekte heute nicht mehr. Immerhin drei Jahre lang arbeitete Carla Bley beispielsweise an ihrem musikdramatischen Mammutepos „Escalator Over The Hill“, bis sie es 1971 der verblüfften Musiköffentlichkeit mit sechs Bands, Sprechern, Sängern und Chören vorstellen konnte. Es war der vorläufige Höhepunkt einer ungewöhnlichen Karriere, die dem eigensinnigen Mädel aus der Provinz einen Platz in den vorderen Ränge der internationalen Jazz-Avantgarde sicherte. 1938 als Carla Borg und Tochter eines Kirchenorganisten in Oakland, Kalifornien, geboren, versuchte sie sich zunächst in bürgerlicher Normalität, begann aber bald an der gedanklichen Enge der Welt der Eltern zu zweifeln. Mit 15 verließ sie die Schule, tingelte daraufhin als Folkchanteuse durch die Staaten, bis sie Mitte der Fünfziger in New York landete. Bei einem Job als Zigarettenverkäuferin im Jazzclub „Birdland“ lernte sie ihren zukünftigen Mann, den Pianisten Paul Bley kennen. Durch ihn und seine Freunde kam sie mit der experimentellen Musikszene Manhattans in Kontakt. Ihre Ehe hielt zwar nicht lange, die Verbindung zur Avantgarde jedoch war geknüpft und der Ausgangspunkt für die überbordende Kreativität der Quereinsteigerin. Carla Bley schaffte es, sich in der Männerdomäne Jazz als Komponistin, Pianistin und Bandleaderin zu etablieren. Über mehr als drei Jahrzehnte hinweg arbeitete sie von George Russell bis Don Cherry mit der Crème der innovativen Kollegen zusammen, allerdings nicht, um sich der Namen in der Biographie zu versichern. Denn die Querdenkerin hatte von Anfang an genaue Vorstellungen ihrer Klangwelten im Kopf, für die sie sich gezielt die passenden Mitstreiter suchte. Sie war und ist Konzeptkünstlerin mit dem Gespür für die passende Balance der kompositorischen Mittel. Und sie hat die nötige Prise Ironie, um von „Musique Méchanique“ bis „Fancy Chamber Music“ gestalterische Vielfalt mit intellektuellem Witz zu versehen. So entstanden mehr als 400 Songs und Fragmente, die inzwischen weit über den Spezialistenkreis der Avantgarde hinaus zum Repertoire des modernen Jazz gehören. Sie sind Albumblätter des Hintersinnigen, denn überall verstecken sich Mehrdeutigkeiten, irritierende Nuancen, ironisierende Querverweise. Harmonie wird durch vorsichtige Dissonanz und schleichende Monotonie
entschmeichelt, Wohlklang trifft auf stilisierten ästhetischen Widerstand
in Form pointiert überdrehter Darstellungsklischees. Da trifft schon
mal ein dunkler Tango auf das nostalgische Kaffeehausflair wiedererweckter
Salon- Ralf Dombrowski |
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