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Ambrose and his Orchestra Nach den USA hatte Großbritannien vor 70, 80 Jahren die beeindruckendsten Tanzorchester. Platten von Größen wie Spike Hughes, Ray Noble, Harry Roy, Roy Fox, Lew Stone, Jack Hylton und anderen werden heute noch von sonst puristischeren Jazzsammlern mitgesammelt und wie Schätze gehortet. Bert Ambrose, der erste Künstler des Labels Decca, für das diese Aufnahmen 1929 / 30 entstanden, die hier wohl zum Teil erstmals auf CD zu hören sind, gehört zu dieser erlauchten Schar. Wer sein Ohr sonst nur für Amerikanisches hat, wird bei diesem Album daher ein Aha-Erlebnis haben. Wer die alten Scheiben von Whiteman und Goldkette in Ehren hält, nicht zuletzt wegen der Präsenz von Meisterjazzern wie Bix Beiderbecke, wird auch dieses Album mögen, klingt es doch wie ein starkes Echo jener amerikanischen Bands. Ambrose, kein Solist, sorgte für Schliff und Perfektion in der Ausführung der Arrangements von Bert Read und Lew Stone, die etwa Art von Bill Challis arbeiteten, der deren Satzarbeit Jazzflügel verlieh. Die Band musizierte auf der Höhe der Zeit und hatte spätere Standards wie „Mean To Me“ nur wenige Monate nach den ersten Amerikanern im Repertoire. Amerikaner meist auch die Solisten: Zu ihnen gehörten der großartige Trompeter Sylvester Ahola, der gelegentlich in der Art von Bix spielt. Der Geiger Eric Siday zeigt sich als Mann, der seinen Venuti kennt. Doch allein schon die Präsenz von Danny Polo macht das Album zum Genuss. Leo Parker Dieses bemerkenswerte Album des Baritonsaxophonisten Leo Parker 1961 wurde aufgenommen, doch erst 1980 veröffentlicht. Leo Parker erlebte es nicht mehr; er erlag bereits ein Jahr nach der Aufnahme einer Herzattacke, einigermaßen verkannt, viele Grade im Ansehen unter den Mulligans und Adams jener Tage. Sammler von Archivalien des modernen Jazz-Antiquariats kennen Leo als wilden Löwen mit machtvollem Ton von (gelegentlich R & B-gefärbten) Bebop-Aufnahmen der späten 40er Jahren. Da ist er in Gesellschaft von Größen wie Fats Navarro und besonders gerne von Tenoristen wie Gene Ammons oder Illinois Jacquet zu hören, an dessen Seite er gar nicht anders konnte als Powerplay zu entwickeln. Seinem Ruf entspricht er hier gleich in der Eröffnungsnummer „The Lion’s Roar“ doch das „furchterregende Löwengebrüll“ des einstigen Brachial-Bopper klang schon etwas milder als eins. Durchweg wies sein Spiel am Ende seiner Laufbahn mehr Geschmack, Kohärenz und mitunter poetische Züge auf. Der jüngst verstorbene Trompeter Dave Burns spielt ein einprägsames Solo im Ohrwurm „Bad Girl“, während er in „Stuffy“ verhalten, mit Dämpfer, seine gut ausgewählten Töne sparsam in der Art eines modernen „Sweets“ plaziert. Abgesehen vom Pianisten Johnny Acea sind die Mitstreiter – der lässige Bill Swindell (ts), Al Lucas bzw. Stan Conover (b) und Wilbert Hogan bzw. Purnell Rice (d) – nie so recht bekannt geworden – trotz unüberhörbarer Qualitäten. Jackie McLean Ein Jahr bevor er sich mit „Let Freedom Ring“ demonstrativ auf die Seite der Neutöner schlägt, legte er 1962 mit sechs Blues-Stücken sein Bekenntnis zu den roots ab und das mit einer noch im traditionellen Sinne ungemein swingenden Formation. Kenny Drew assistiert so entspannt und locker, harmoniert bestens mit Pete LaRoca, während der heute fast vergessene Doug Watkins uns daran erinnert, dass sein Tod ein Jahr später einer der großen Verluste der Ära war. Freddie Hubbard geht mit vollem Engagement zur Sache. Jackie McLean ist freilich die Hauptattraktion. Oft war sein Spiel bis zum Bersten gespannt, sein Sound war beißend, seine Intonation haarscharf neben der wohltemperierten Stimmung. Im Rahmen einer wohlgestimmten, tonal und swingend agierenden Rhythmusgruppe wie dieser fallen seine Eigenheiten mehr auf als in manch experimentellerem Umfeld; zugleich werden sie hier aber „verdaulicher“, da sie auf ihre Wurzeln zurückgeführt werden, auf die urtümlichen blue notes und dirty tones des Blues. Blues ist auf diesem Album jedem eine Herzensangelegenheit, aber auch Anlaß zur Neudeutung. Unser alter Freund, der 12takter, hat da schon mal gar keine 12 Takte oder sonstige Unkonventionalitäten aufzuweisen. Doch so unstandardisiert waren die Blues schon in Urzeiten. Zwei alternate Takes ergänzen den Klassiker der Moderne. Mit welchem Album könnte man Freunden konventionellerer Bop-Klänge den Weg zu McLean ebnen? Mit diesem! Frank Rosolino Der 26. November 1978 war einer der schrecklichsten Tage der Jazzgeschichte. Ein Jazzmusiker läuft Amok. Er schießt seinen beiden Söhne in den Kopf und tötet sich. Seine Frau hatte sich einige Zeit zuvor umgebracht und er beschlossen, ihr in den Tod zu folgen. Ein Sohn stirbt, der andere überlebt und ist heute ein blinder Musiker. Frank Rosolino war nicht nur einer der besten Posaunisten der Jazzgeschichte gewesen, sondern auch ein sympathischer, witziger Mitmensch. Dann wurde er kollektiv verdrängt, wie ein böser Albtraum, an den man sich nicht erinnern will. Wer kennt ihn noch heute, diesen Posaunisten vom Rang eines J. J. Johnson oder Curtis Fuller? Selbst mir Unbeteiligten ging es so. Hörte ich früher gern sein hochvirtuoses, humorvolles Bebop-Spiel, so hatte ich, seit ich um die Tragödie wußte, weniger Lust ihn hören, um nicht daran zu denken. Und doch ist seine Musik sein bester Anwalt. Er sollte wiederentdeckt werden, denn nun liegt sein letztes Album vor, das drei Monate vor seinem tragischen Ende live in Kopenhagen mit Thomas Clausen (p), Bo Stief (b), Bjarne Rostvold (dr) entstand. Selten gab es eloquenteres Posaunenspiel bei einem so expressiven Sound. Die Sturzflut an Tönen steckt voller unerwarteter Wendungen. Ein Witzbold, der waghalsig mit Bällen jongliert? Oder doch ein Getriebener, der wie um sein Leben spielt? Den Versuch einer psychologischen Deutung lasse ich lieber. Musik ist zwar auch Spiegel der Psyche, aber gottlob nicht nur. Garvin Bushell Hätte es Garvin Bushell nicht gegeben, man hätte ihn erfinden
müssen. Zuerst begegnete mir sein Name auf Alben der 60er Jahren
von John Coltrane und Eric Dolphy. Der Klarinettist spielte da Instrumente
wie Kontrafagott und Oboe – im experimentellen Klima jener Tage
nicht weiter erstaunlich. Und dann traf ich ihn ab 1921 (!) bei großen
Blues-Sängerinnen wie Mamie und Bessie Smith. Schön, dachte
ich zunächst, dass sein Opa auch Musik gemacht hat. Dazwischen saß er
in den großen Swing-Orchestern von Calloway und Chick Webb. Welch
sympathische Neugier, die ihn schon bei Sam Woodings Berliner Aufnahmen
1925 die jazzunübliche Oboe spielen und ihn als Alternden noch bei
der Avantgarde mitmischen ließ! Bislang fehlte ein eigenes Album.
Bushell nahm es 1982 81-jährig als Gast ohne Probe während
einer ad hoc von seinem Schüler Richard Hadlock zusammengestellten
Gruppe auf. Kleinere, den Umständen entsprechende Unebenheiten nimmt
man kaum war, weil das Ergebnis so herzerwärmend, von reiner Liebe
zum spontanen Musizieren getragen ist. Hadlock spielt ein ansprechendes
Sopran in Bechet-Tradition; so erinnern die Aufnahmen an die informelleren
Treffen von Bechet und Mezzrow, nur dass Bushell ein einfallsreicherer
Solist ist als Mezzrow. Mit dem Pianisten Ray Skjelbred, dem Bassisten
Stu Wilson, dem Drummer John Markham, dem Kornettisten Leon Oakley und
der Sängerin Barbara Lashley, entstand ein packendes Album lebendigen
Oldtime Jazz. |
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