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Es hat auch etwas mit Taktik zu tun. „Wissen sie“, meint Hans-Peter Schneider, Geschäftsführer der Messe Bremen, „wir haben von Anfang an laut getönt, wie toll und wichtig die jazzahead! einmal sein wird. Und dann haben wir dafür gesorgt, dass das auch eintritt“. Sagt‘s mit diesem Schalk im Blick, der zeigt, dass neben der ganzen Businessrhetorik auch eine profunde Begeisterung für die Sache hinter dem Engagement steht. Denn auf der einen Seite ist die jazzahead! eine Erfolgsgeschichte. Vor vier Jahren ins Leben gerufen mit dem unscharfen Gefühl der Begeisterung im Rücken, dass die Szene einen Marktplatz brauchen könnte, wo sie im Unterschied zu Messen wie der Midem in Cannes oder der Popkomm in Berlin nicht nur als Appendix der Industrie wahrgenommen wird, hat sie inzwischen stete Zuwachsraten zu verzeichnen. Auf der anderen Seite ist es immer noch schwierig, einem Außenstehenden zu erklären, worum es bei der jazzahead! eigentlich geht. Irgendwie und Irgendwohin
Gezählte 5076 Besucher aus 30 Nationen fanden sich während der vier Tage Ende April in den Hallen der Messe Bremen ein, wo 231 Aussteller aus 18 Ländern darauf warteten, vor allem die rund 2000 Fachbesucher unter ihnen in produktive Gespräche zu verwickeln, zu denen Künstler und Agenten ebenso zählten wie Veranstalter, Journalisten, Labelvertreter und Promoter. Einige Länder wie England, Luxemburg und die Schweiz waren erstmals mit Gemeinschaftsständen vertreten, überhaupt schienen deutlich mehr internationale Kollegen vor Ort zu sein, als während der vorangegangenen Ausgaben. Und auch die örtliche Akzeptanz der jazzahead! stieg spürbar. Die Regionalpresse war voll mit Berichterstattung. Bremen schien gemerkt zu haben, dass sich da etwas abspielt, das über die normalen Fachmeetings hinausgeht, denn diesmal eröffnete der Bürgermeister der Stadt, Jens Böhrnsen, persönlich die Messe. Die Konzerte, die als weiteres Angebot auf dem Programm standen, lockten in etwa ähnlich viele Hörlustige in die Säle wie anno 2008, wobei das European Jazz Meeting, das jährlich wechselnd mit dem German Jazz Meeting organisiert wird, diesmal von den vier Nationen/Regionen England, Frankreich, Katalonien und Luxemburg bestritten wurde. Das Abendprogramm im großen Saal war mit Künstlern wie John Abercrombie oder Farmers Market gut, wenn auch nicht spektakulär besetzt, und wer bis zum Morgengrauen abhängen wollte, konnte das nach kurzem Spaziergang bei den Spätkonzerten im nah gelegenen Schlachthof. Sogar die Radioanstalten sprangen auf und sendeten deutschlandweit und in Kooperation mit dem österreichischen Rundfunk Konzerte. Als dritte Schiene der Veranstaltung wurde schließlich in Panels
eifrig debattiert, etwa wie viel Jazz der Tourismus brauche oder in welcher
Form sich Radio und Jazz in Zeiten prosperierender Breitbandanschlüsse
vernetzen sollten. Und als Veranstaltung in der Veranstaltung wurde in
Anknüpfung an eine ähnliche Reihe im Jahr 2007 das Thema „Improvisation
und Musiktherapie“ im Rahmen eines medizinischen, übrigens
in Windeseile ausver- Das Prinzip KlassentreffenEine wohlwollende Grundstimmung durchzog die vier Messetage, trotz den Anzeichen einer drohenden Rezession. Klar war jedem, dass es nicht leichter werden wird, sich in den kommenden Monaten zu behaupten, wenn auch die Aktiven des Jazzgeschäft auf Independent-Basis von jeher an der Grenze zur Selbstausbeutung agieren, ergo im Kern krisenunanfälliger als große Konzerne sind. Irgendwie also wird man es schon schaffen, vielleicht auch irgendwie gemeinsam. Insofern hatte die jazzahead! etwas von einem Klassentreffen, wo Menschen zusammenkommen, die zwar eine gemeinsame Basis, aber keine gemeinsame Geschichte und Gegenwart haben. Künstler und TherapeutenWie weit die Ansprüche an die Musik auseinander gehen, wurde klar, wenn man die beiden divergierenden Positionen der Künstler und der Therapeuten gegenüber stellt. Gerade letztere erwarteten vom Jazz vor allem Inspirationen für ihre Arbeit mit Patienten. Musik, und das wurde in den Arbeitsgruppen und Vorträgen schnell klar, steht da vor allem in einem Funktionszusammenhang, unabhängig ihrer künstlerischen Qualität. Sie ist Mittel zum Zweck, um Heilungsprozesse einzuleiten oder Situationen analysieren zu können, sie ermöglicht ein intuitives Erschließen von Dingen, die besprechbar werden, weil zwischendurch Musik gemacht wurde. Das wiederum führt aber zu einer latenten Arroganz der Grundhaltung, die Medizin als die übergeordnete Kategorie zu sehen, vor der aus der Eigenwert von Musik beurteilt werden könnte. Beim Schlusspodium wurde der Vibrafonist Florian Poser, der die Teilnehmer dezent in Grundlagen des Improvisierens einführte, allen Ernstes gefragt, was denn der Jazz von der Musiktherapie lernen könnte, worauf er nur antworten konnte: „Warum sagt eigentlich keiner, das Musik musikalischer macht?“ Die andere Seite der Anspruchskala wiederum übernahmen die Künstler. Manch einer lärmte hinreißend wie Kalle Kalima mit La Kaffeehaus Avantgarde, andere waren in ihrer Gestaltungslust kaum zu bremsen wie Stian Carstensen mit Farmers Market. Die Gewinnerin des jazzahead!-Skoda-Awards Norma Winstone suchte im kammerjazzigen Trio nach den Urgründen der vokalen Empfindung und John Abercrombie zeigte ebenfalls im Trio, dass alle, die ihn schon zur Geschichte rechnen, besser hinhören sollten. Es gab auch einige Youngsters, die an Eigenem laborierten wie etwa der spanischen Schlagzeuger Marc Ayza. Er zählte zu den Höhepunkten des European Jazz Meetings, denn mit seiner Band gelang ihm eine ebenso persönliche wie jazzbetonte Fusion mit den Spoken Words seines MCs Gant Mtume, die erstaunlich wenig Attitude brauchte, um beiden Genres gerecht zu werden. Irgendwie und irgendwohin. Weiter gehen wird es nach der euphorischen jazzahead! 2009. Ein Termin steht fest (22.–25.April 2010), diesmal wieder mit German Jazz Meeting. Einige Aspekte sollen weiter ausgebaut werden, etwa die Einbeziehung von Familien mit besonderen Programmen, wie es in diesem Jahr bereits am Sonntag Vormittag passierte. Ein weiterer zentraler Punkt ist der Ausbau der Nachwuchspflege, die ebenfalls mit verschiedenen Konzerten von Hochschulbands bereits ihren festen Programmplatz hatte, und es wird sogar darüber nachgedacht, wie sich der Bereich der Laienmusik sinnvoll in eine Fachmesse integrieren lassen könnte – und wie der Jazz mehr Relevanz im kulturpolitischen Diskurs überhaupt bekommen kann. Jedenfalls ist es schon mal nicht schlecht, eine Messe zu haben, die diese Bedeutung nachdrücklich behauptet. Folgt man Hans-Peter Schneiders Motto des lauten Tönens, ist das eine Richtung, in die es gehen könnte. Ralf Dombrowski |
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