Bis vor kurzem galt die junge norwegische Jazzsängerin Solveig
Slettahjell noch als heißer Tipp für Kenner. Nachdem ihr letztes
Album „Silver“ im vergangenen Jahr mit dem norwegischen Grammy
– dem „Spellemansprisen“ – ausgezeichnet wurde,
ist Solveig Slettahjell zusammen mit dem „Slow Motion Quintet“
bereits auf dem Weg zum neuen Jazzstar.
Jazzzeitung: Warum bevorzugen Sie dieses zerdehnte,
sehr langsame Tempo für Ihren Gesang und die Band? Was steckt hinter
der Idee Ihres Slow Motion Quintet?
Solveig Slettahjell: Das geschieht vor allem, weil mir
die Langsamkeit ganz natürlich erscheint. Nicht etwa aus einer Protesthaltung
heraus gegen die allgegenwärtige Beschleunigung unseres Lebens. Als
ich ein Kind war, hab ich dasselbe bereits mit anderen Liedern gemacht.
Das ist ein sehr alter Zugangsweg für mich. Der Name der Band kommt
ja ursprünglich aus dem Sprachgebrauch des Films – Slow Motion
heißt Zeitlupe. Und sie wird normalerweise benutzt, um Details zu
klären. Zum Beispiel, wer zuerst die Spielfeld-Linie überquert
hat – bei Sport-Events.
Jazzzeitung: Und sie wirkt pathetisch – die Zeitlupe
überhöht das Geschehen…
Slettahjell: Absolut! Es geht um die Balance zwischen
beidem. Wenn man das Tempo verringert, kristallisieren sich die Details
erst heraus, alles wird offener, luftiger: Der Raum wird vertieft, in
dem man hört.
Jazzzeitung: Ihr Gesang erinnert entfernt an die englische
Punk- und Popsängerin PJ Harvey – ein Zufall?
Slettahjell: (lacht) Nein – ich habe tatsächlich
ziemlich viel Punk gesungen in der Vergangenheit. Ich hatte eine entsprechende
Band – in den 90ern haben wir uns mit PJ Harvey befasst.
Es gibt aber auch andere Sängerinnen, die mich sehr inspiriert haben.
Aretha Franklin, Billie Holiday, Peggy Lee, Sidsel Endresen; außerdem
der Cool- Jazz-Trompeter Chet Baker – da kommt alles Mögliche
zusammen.
Jazzzeitung: Warum haben Sie die romantische Ballade
„Moonriver“ für Ihr Album „Silver“ ausgewählt?
Sie wurde einst mit Hollywoodschauspielerin Audrey Hepburn als Holly Golightly
weltberühmt – 1961 in der Truman-Capote-Verfilmung „Frühstück
bei Tiffany“…
Slettahjell: Ich finde, das ist ein wunderschöner
und sehr hoffnungsvoller Song. Ganz im Gegensatz zur Situation der Filmfigur,
die ja inmitten ihrer oberflächlichen Betriebsamkeit ziemlich hoffnungslos
und einsam erscheint. Ich mag solche Stoffe, die ein Paradox beinhalten.
Und ich habe auch eine wunderbare persönliche Erinnerung an dieses
Lied, das sich nämlich mein Bruder für seine Hochzeit ausgesucht
hatte – für das Eheversprechen und das war dann einfach so
schön, dass ich prompt in Tränen ausgebrochen bin – während
des ganzen Lieds musste ich also weinen… Das war allerdings die
Frank-Sinatra-Version (lacht). Wissen Sie, so ist das eigentlich mit jedem
Song, den ich mir als Interpretin aussuche. Er muss seinen Weg finden
durch meine Weltanschauung hindurch und mich im Herz treffen, damit ich
wirklich etwas mitteilen kann. Das ist der wichtigste Code. Es gibt ja
vieles, das ich mehr mag als irgendetwas anderes, doch ich bin sehr fasziniert
von Stoffen, in denen eine Art von Klischee steckt. Man kann einen ganz
anderen Zugang zu ihnen entdecken und dann öffnet sich das Klischee
plötzlich und macht etwas Neues möglich, gerade weil es ein
Klischee ist. Es ist genau diese Begrenzung, die dabei neue Möglichkeiten
eröffnet.
Jazzzeitung: Sie denken da an eine Spiegelwelt für
eigene Gefühle?
Slettahjell: Ja – und gerade weil die Menschen
bereits so vorhersehbare Erwartungen mitbringen, wie dieser Song klingen
sollte, entsteht die Spannung für eine völlig neue Form von
Interpretation.
Jazzzeitung: Ihr Album „Silver“ beginnt
mit einem Abschiedslied von Tom Waits und endet mit Jerome Kerns „Looking
for the silver lining“, wo es dann heißt: Versuch die Sonnenseite
des Lebens zu finden. Wollten Sie damit eine bestimmte Aufbruchsstimmung
darstellen?
Slettahjell: Nun – so ist das Leben ganz einfach.
Traurig und ermüdend – aber es gibt immer die Wahl, das Beste
daraus zu machen. Jeder hat diese Erfahrung schon mal gemacht. Menschen
gehen fort – neue Erfahrungen kommen.
Anja Barckhausen
CD-Tipps
Solveig Slettahjell Slow Motion Quintet: Pixiedust
ACT
|