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Eine meiner gehegtesten Musikerinnerungen ist die an ein Open-Air-Konzert vor etwa 20 Jahren mit Derek Bailey, dem Schlagzeuger Milford Graves und dem Tänzer Min Tanaka. Aus dem sonnigen Nachmittag betrat man ein Theaterzelt auf einer Münchner Wiese. Bailey kannte ich damals nur von einigen Platten, nicht sehr oft gehörten, ehrlich gesagt, es war und ist anstrengende Musik, der man sich voll widmen muss und wer kann das schon oft...
Das folgende Konzert aber war alles andere als anstrengend. Die drei Protagonisten warfen sich mit einer Einfallskraft die Bälle zu, die selbst ein Sportwettbewerb schwer aufbringen wird. Was entstand, war bestechend einfach und klar, zugleich übertrug sich aus der Arbeit der drei Musiker eine Energie, die im Raum nahezu messbar war. Tanaka war nur mit einem Lendenschurz bekleidet, komplett weiß geschminkt in der Tradition der japanischen Butoh-Tänzer, von Graves erinnere ich mich, dass er nicht nur trommelte, sondern sang, in wilden tänzerischen Bewegungen die Bühne vermaß und so übersetzte zwischen Tanaka, der den gesamten Zeltraum durchtanzte, und Bailey. Der sitzt in meiner Erinnerung bewegungslos auf einem Stuhl und spielt. Mit diesem magischen Vokabular an Klängen, seiner ganz persönlichen Tonsprache. Spielt auf seiner 1936er-Epiphone Gitarre, die seit Mitte der Siebzigerjahre sein Hauptinstrument ist, kurze, unverstärkte Zupfer, schwebende Flageolets, die er gelegentlich mit Hilfe eines Lautstärkepedals in den Raum hebt und stehen lässt. Magisch gibt er den Klängen Tiefe und zeigt auch dem Uneingeweihten, der sich auf seine Sprache einlässt, mit welcher technischen Meisterschaft, mit welch atemberaubender Virtuosität er sie zu sprechen versteht. Nie fällt sein Spiel in das labernde Lickloch, in dem so viele Gitarristen versinken. Derek Bailey war kein Darsteller, jedenfalls in keiner traditionellen Bedeutung des Wortes, sondern ein Musiker, der rein in seinen Mitteln arbeitet und der dabei aber immer im Sinn hat, diese Mittel in andere Kunstbereiche übersetzbar zu gestalten. Er war das Atemberaubende, das den Nachmittag in meiner Erinnerung geprägt hat. Derek Bailey, der am ersten Weihnachtsfeiertag im Alter von 75 Jahren gestorben ist, schaffte die erstaunliche Leistung, die so intellektuell scheinende Herausforderung seiner Musik selbstverständlich und alltäglich wirken zu lassen, und dabei noch dazu ganz anders auszusehen, als man sich einen Giganten der improvisierten Musik vorstellt. Schon zur Zeit seiner ersten Aufnahmen – etwa auf dem Cover der wunderbaren zweiten Platte von John Stevens’ Spontaneous Music Ensemble „Karyobin“ von 1968 (auf CD wiederveröffentlicht auf Chronoscope) – wirkt er inmitten seiner schwarz gekleideten Mitstreiter wie ein Fremdkörper. In Weiß, mit schmaler schwarzer Krawatte, schaut er nicht wie die anderen in die Kamera, sondern zur Seite, wirkt voll auf das Instrument konzentriert, das er umklammert hält, eine altmodische Jazzgitarre in ein Lautstärkepedal eingestöpselt. Von seinen Mitspielern war nur Kenny Wheeler im gleichen Alter – Bailey war Jahrgang 1930 – die anderen waren zehn bis fünfzehn Jahre jünger. Er hatte viele Jahre Erfahrung in Tanzorchestern hinter sich und hatte Mitte der Sechziger die Entscheidung getroffen, sich auf die sich entwickelnde Improvisationsmusik zu konzentrieren. Neben dem SME war das Trio „Joseph Holbrooke“ mit dem Bassisten (und späteren Komponisten) Gavin Bryars und dem Schlagzeuger Tony Oxley seine erste feste Formation. Mit diesen beiden Bands war Bailey bereits im Zentrum einer Londoner Jazzszene, die sich gerade nach dem restlichen Europa hin orientierte. Bailey spielte auf Brötzmanns „Nipples“, Schoofs „European Echoes“ (beide auf Atavistic wiederveröffentlicht), wurde gelegentlich als Gast ins Globe Unity Orchestra gerufen. Das passierte alles 1969/70. 1976 begann er sich vom Hauptstrom der europäischen Avantgarde zu lösen und auch als „Bandleader“ einen eigenen Weg zu finden. Er gründete „Company“, ein offenes Ensemble improvisierender Musiker, und im Anschluss 1977 die Company Week, ein jährliches Festival, das bis 1994 existieren sollte. Das Festival zeigte wie seine Musik und auch sein 1980 erschienenes Buch „Improvisation: Its Nature and Practice“ seine musikalische Philosophie: Geladen wurden Musiker aus allen Stilbereichen, aus allen erdenklichen Ländern und Kontinenten. Man konnte dort so unterschiedliche Jazzer wie Lee Konitz, Steve Lacy oder Anthony Braxton erleben, aber auch den klassischen Violinisten Alexander Balanescu oder einen Avantgarde-Rocker wie Buckethead. Mehr und mehr durchbrach Bailey so die Grenzen der britischen Jazzprovinz, spielte mit Musikern, die Dekaden jünger waren und ließ seine Hörer nie auf die Idee kommen, dass es da ein Generationenproblem geben könnte. Das eigentlich Verblüffende an Derek Baileys Kommunikationsfähigkeit
war weniger, dass er mit Tänzern oder Volksmusikern spielen konnte,
mit 50 Jahre jüngeren US-Rockern oder deutschen Althippies, das Verblüffende
war immer die Selbstverständlichkeit, mit der er es tat. Das Wichtigste
war und blieb die Fähigkeit, ohne auf vorhandene Spielmuster zurückgreifen
zu müssen, mit seinem Gegenüber kommunizieren zu können. Stephan Richter |
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