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Jazzzeitung

2006/02  ::: seite 14

portrait

 

Inhalt 2006/02

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
no chaser:
Musik-Monster
all that jazz:
Ein Thema – und was aus ihm wird
Jazzfrauen: Helen Merrill
Farewell: Derek Bailey (1930–2005)


TITEL


Lieder, die ins Herz treffen
Der neue angehende Star aus Norwegen: Solveig Slettahjell


DOSSIER:
FERNE WELTEN

Mit Jazz im Tortillaland
Jugend Big Band Anhalt auf Konzertreise nach Mexiko-City
Kanadischer Musiksommer
26. Festival International de Jazz de Montréal


BERICHTE
/ PREVIEW

jazz & blues award 2005 // 10. Internationales Förde Festival // „Jazz in der Oper“ Halle mit Will Cahoun // 22. Ingolstädter Jazztage 2005 // Jazz & Blues Festival in Ústí nad Labem


 PORTRAIT / INTERVIEW

Der Saxophonist Tony Lakatos im Interview // „Twinset“ mit authentischer 60er-Jahre-Musik // Hans Koller (1921–2003) //Bernhard Schüler und seine Essenz des Trios


 PLAY BACK / MEDIEN


CD. CD-Rezensionen 2006/02
Portrait: Das Label ObliqSound Records
Bücher.
Aufsatzsammlung zum Jazz, Lennie-Tristano-Monografie
Noten. Neues Notenmaterial für Anfänger und Fortgeschrittene
Instrumente. Acryl-Drums von Sonor


 EDUCATION

Ausbildung. Ausbildungsstätten in Deutschland - Fortbildungen, Kurse (pdf) (62 kb)
Abgehört 37.Soli von Herbie Hancock, Teil III: die hohe Kunst der Jazzimprovisation

SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2006/02 als pdf-Datei (Kalender, Clubadressen, Jazz in Radio & TV (301 kb))

Wegbereiter des europäischen Jazz

Hans Koller (1921–2003) · Von Bert Noglik

Ingrid Karl, Initiatorin der Wiener Musikgalerie, veranstaltete Anfang der Neunzigerjahre ein Festival, bei dem Hans Koller im Mittelpunkt stand: „The Man Who Plays Jazz“. Sie nannte ihn trefflich „einen auratischen Individualisten“. Ernst Jandl widmete ihm ein wunderbares Gedicht, in dem es heißt: „das ist der jazz, wie ich ihn erlebe. die musik, die mich durch meine tage trägt. alles fällt mir oft schwer, sogar das einfache gehen. ich freue mich, dass ich am leben bin.“ Mit dem Ableben des Dichters und des Musikers ist fast so etwas wie eine Ära zu Ende gegangen. Tröstlich nur, dass beide in Gestalt von Erinnerungen und Aufzeichnungen weiterleben.

Österreicher mit Weltgeltung: Hans Koller. Foto: Matthias Creutziger

Bild vergrößernÖsterreicher mit Weltgeltung: Hans Koller. Foto: Matthias Creutziger

Bereits in den Fünfzigerjahren galt Hans Koller als einer der herausragenden europäischen Jazzmusiker – einer der wenigen, denen es gelang, über die Inspiration durch den amerikanischen Jazz zu einem eigenen Stil zu finden. Als Saxophonist und Komponist spannte Koller einen Bogen vom Cool Jazz bis zu einem individuell ausgestalteten Free Jazz und von freien Improvisationen bis zu Werken für Kammerensembles, Big Bands und große Orchester. Vor fünfzig Jahren kannte man in Amerika vor allem zwei Namen des europäischen Jazz, den des schwedischen Baritonsaxophonisten Lars Gullin und den des Tenorsaxophonisten Hans Koller. Diese beiden Namen galten geradezu als Synonyme für Jazz mit europäischer Identität. Und der für den „Melody Maker“ schreibende Ernest Bornemann bezeichnete die deutsche Jazzszene, mit der Hans Koller seit Anfang der Fünfzigerjahre eng verbunden war, seinerzeit gar als „Kollerland“. Zu den Musikern, mit denen Hans Koller über Jahrzehnte freundschaftlich verbunden war, zählte der Gitarrist Attila Zoller, den der Weg von Ungarn über Wien nach Deutschland und später nach Amerika führte.

Hans Koller, geboren am 12. Februar 1921 in Wien, studierte an der Musikakademie seiner Heimatstadt, wurde 1940 eingezogen und geriet in italienische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1947 entlassen wurde. Nach Engagements in Wien, zunächst mit seinem „Hot Club de Vienna“, ging er nach München, wo er mit Freddie Brocksieper auftrat. Wenig später ließ er sich in Frankfurt am Main nieder. Dort hat er vom Anfang der Fünfzigerjahre an Jazzgeschichte mitgeschrieben – in Besetzungen mit der Pianistin Jutta Hipp und Musiken wie Karl Sanner, Roland Kovac oder Albert Mangelsdorff. Hans Koller spielte – und das war damals durchaus sensationell – als Gastsolist in den Bands von Dizzy Gillespie, Stan Kenton und Benny Goodman. 1957 schloss er Bekanntschaft mit Eddie Sauter, der damals die Big Band des Südwestfunks leitete und den Saxophonisten als einen der führenden Solisten für das Orchester engagierte. Neben seiner Zusammenarbeit mit dieser Band leitete Hans Koller auch eigene Combos, unter anderem mit dem Bassisten Oscar Pettiford, Attila Zoller, Gitarre, und dem Schlagzeuger Jimmy Pratt.

„Es gehörte zur Faszination, ja zum Rätsel Hans Kollers“, schrieb der Jazzkritiker Werner Burkhardt, „dass er die Abnabelung von der großen Mutter Amerika mit scheinbar paradoxen Mitteln begann. Er tat die ersten Schritte in Richtung auf die Emanzipation ohne aufzutrumpfen. Ohne robustes Draufgängertum. Er vertraute dem Ton des Lyrischen, des Introvertierten.“ Im Spannungsfeld von sensiblen Improvisationen und kompakten, gleichwohl vielschichtig angelegten Kompositionen fand Hans Koller zu einer europäischen Klangsprache. Bereits Anfang der Sechzigerjahre begann er, Stücke für mehrere Saxophone zu schreiben, die er mit Kollegen, mitunter auch allein aufnahm, sich mit den Mitteln der Studiotechnik vervielfachend. Im Laufe seines Lebens hat sich Hans Koller mehrere Instrumente der Saxophonfamilie angeeignet, beginnend mit dem Tenor-, dann auch Alt-, Sopran- und Sopraninosaxophon einbeziehend.

„Painter’s Lament“ nannte Koller eines seiner Stücke für sechs Saxophone. Der Titel deutet auf eine Ebene kreativer Tätigkeit des Saxophonisten, die ihm ebenso wichtig war wie das Musizieren und das Komponieren: das Malen und das bildnerische Gestalten. Auf diesem Gebiet, eigene, unkonventionelle Wege gehend, hat er auch den Jazz aus einer solchen Perspektive wahrgenommen: nicht als Unterhaltungsmusik, sondern als ein Medium mit Kunstanspruch – eine Sicht übrigens, die er mit einer Reihe von europäischen Improvisatoren teilte, denken wir etwa an Tony Oxley, Han Bennink, Daniel Humair, Peter Brötzmann oder Peter Kowald. „Nach 1960“, stellte Klaus Schulz fest, der sich intensiv mit dem Schaffen Hans Kollers beschäftigte, „hatte sich Kollers Kreativität vorübergehend vor allem in der Malerei geäußert.“ Eine Ausnahme bildetet das Album „Zo-Ko-So“, eingespielt in einer damals noch sehr ungewöhnlichen Besetzung ohne Bass und Schlagzeug mit Attila Zoller, Gitarre, und dem Pianisten Martial Solal. Vom amerikanischen Fachmagazin „down beat“ wurde „Zo-Ko-So“ 1965 mit nicht weniger als fünf Sternen bedacht. Nachdem sich Hans Koller in den Sechzigerjahren verstärkt der Malerei gewidmet hatte, kehrte er nach langjährigem Aufenthalt in Deutschland, Anfang der Siebziger in seine Heimatstadt Wien zurück, um sich nun auch wieder mehr der Musik zuzuwenden. Die Gruppe „Free Sound“ markierte so etwas wie einen Neubeginn. Und die 1972 mit diesem Ensemble eingespielte Platte bekam den programmatischen Titel „Phoenix“. Hans Koller gelang es, die Energien des Free Jazz mit seinem Sinn für Form zur vereinen, ohne auf das Element des Spontanen zu verzichten. Gleichfalls innovativ arbeitete er mit „Super Brass“, einer unter anderem mit Herbert Joos, Kenny Wheeler und Albert Mangelsdorff prominent besetzten Blechbläserformation, die er gemeinsam mit Wolfgang Dauner leitete. „Ich male so,“ bekannte Hans Koller, „wie ich Jazz spiele. Und ich schreibe Klänge, die Farbkompositionen ähnlich sind.“

Hans Koller starb am 22. Dezember 2003 an den Folgen einer Lungenentzündung in seiner Heimatstadt Wien. Ohne jeden Zweifel: Er war der erste Jazzmusiker Österreichs, der Weltgeltung erlangte. Austria hat ihn spät geehrt, aber schließlich mit bedeutenden Auszeichnungen bedacht. Zu den schönsten zählt wohl, dass der alljährlich vergebene Jazzpreis, die höchste Anerkennung im österreichischen Jazz, nach ihm benannt wurde: der Hans Koller Preis. Qualität war für Hans Koller unabdingbar gebunden an Individualität.

Modewellen, welcher Art auch immer, waren ihm zuwider. Mit einigen seiner Kompositionen bewegte er sich im Schnittbereich von Jazz und Neuer Musik, so auch mit seinen Stücken für Saxophonensembles, in denen er selbst mitwirkte, Anfang der neunziger Jahre veröffentlicht unter dem Titel „Out Of The Rim“. „Wenn ein Jazzmusiker das Gleiche spielt wie vor dreißig Jahren”, so ein Ausspruch von Hans Koller, “dann spielt er dreißig Jahre schlechter. Stillstand im Jazz bedeutet Rückschritt.“

Bert Noglik

Radio Tipp

MDR Figaro: 24.2.2006, 23.30 Uhr

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