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Jazzzeitung
2006/02 ::: seite 16
rezensionen
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Peter Ind: Jazz Visions – Lennie Tristano And His Legacy,
Equinox London, 214 Seiten
Dies ist keine Biografie Lennie Tristanos. Leider, muss man sagen,
denn auf eine solche warten wir schon lange (warum eigentlich?). Tristano
ist eine bedeutende Figur der Jazzgeschichte, als Denker, als Lehrer
und als Musiker. Ihn – wie es bisher leider allzu oft geschah
– als eine Art Guru zu betrachten, der eine Sekte von introvertierten
Spinnern um sich versammelte, die ausgefallene Dinge ohne swing spielten,
ist eine grobe Fälschung. Die Jazzgeschichtsschreibung hat hier
eine Menge versäumt.
Andererseits bringt uns hier ein Insider Tristano nahe. Der englische
Bassist Peter Ind übersiedelte 1951 (23-jährig) nach New York,
nahm Unterricht bei Tristano und spielte mit ihm, später unter
anderem mit Lee Konitz (eigene Gruppen), Buddy Rich und Coleman Hawkins.
Erst 1966 kehrte er nach England zurück. Anschaulich erzählt
er von dem tiefen Eindruck, den Tristano auf ihn machte, für den
das Improvisieren im Mittelpunkt seiner Musik stand, der Charlie Parker
sehr schätzte (und dieser ihn), und er macht deutlich, dass die
Musiker um Tristano Teil der New Yorker Jazzszene waren und nicht etwa
ausschließlich Tristano verpflichtet.
Sein Buch ist ein wichtiger Beitrag zu einer Form von Jazz, die mit
dem Begriff „Cool Jazz“ nur sehr unzulänglich bezeichnet
wird – „Cool Bop“ wäre besser, denn soweit sind
etwa Parker, Gillespie und Tristano nicht voneinander entfernt. Man
höre sich dazu „Victory Ball“ der Metronome All Stars
vom 3. Januar 1949 an, an dem die drei mitwirken; das Thema stammt laut
Plattencover von Tristano, Billy Bauer und Parker.
Dan Morgenstern: Living with Jazz, Pantheon Books,
New York, 712 Seiten
Nun gibt es also auch von Dan Morgenstern, prominenter Jazzkritiker
und seit 1976 Direktor des Institute of Jazz Studies der Rutgers Universität
(Newark/New Jersey) eine umfangreiche Sammlung seiner Aufsätze
und Kritiken (1958–2000). Geboren wurde er übrigens 1929
in München und kam auf der Flucht vor den Nazis über Wien
und Kopenhagen 1947 in die USA. Sein Wissen über den Jazz –
vor allem über den frühen – scheint unerschöpflich
zu sein. Er schreibt nicht so dicht und beziehungsgeladen wie Gary Giddins
(siehe Besprechung von „Weather Bird“ in der Jazz-Zeitung
vom November 2005), aber ebenso überzeugend und faktensicher. Wie
Giddins und Whitney Balliett beherrscht auch er die Kunst, in wenigen
klaren Sätzen eine Aufnahme zu beschreiben. Das erste Kapitel seines
Buches ist Louis Armstrong und Duke Ellington gewidmet, den ersten beiden
Genies des Jazz. Danach porträtiert er liebevoll-kritisch viele
weitere große Musiker des Jazz, unter ihnen so manche, die den
jüngeren Lesern zu Unrecht kaum mehr ein Begriff sein dürften,
wie Hot Lips Page, Bunny Berigan, Vic Dickenson, Gene Ammons, Bobby
Hackett... Auf das Kapitel „Festivals and events“ folgt
eines über die Schallplatte im Jazz und ein weiteres mit Gedanken
über die Beziehung des Jazz zu Musicals/Shows, zu Tanz, Film und
Fernsehen. Ein sehr sympathisches Buch, das wie das erwähnte von
Giddins in die Hände aller jungen Jazzschreiber gehört.
Joe Viera |