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Mit dem Einsatz der Elektronik in der Musik kann man weit mehr bewirken als nur bombastische Sounds. Auftritte des Dresdner Saxophonisten, Computerfachmanns und Komponisten Hartmut Dorschner belegen das. Mathias Bäumel sprach mit dem Künstler-Anti-Künstler. Jazzzeitung: Du hast etwa Ende der achtziger Jahre als Saxophonist, meist als freejazz-naher Improvisator und als Musiker in gemeinsamen Projekten mit bildenden Künstlern angefangen. Vor etwa vier Jahren nun zog Dich zusätzlich die Digitaltechnik, der Musikcomputer, in seinen Bann. Warum? Hartmut Dorschner: In meinem Kompositionsstudium an der Dresdner Musikhochschule hatte ich auch das Vergnügen, elektronische Musik bei Wilfried Jentsch zu studieren. Das hat mich sehr inspiriert. Zwei Seiten sprachen mich dabei besonders an, zum einen die intellektuellen Konzepte, zum Beispiel, nach welchen Prinzipien John Cage seine Tonbänder zerschnitten und wieder zusammengeklebt hatte, und auf der anderen Seite war es die besondere Klangwelt, die man mit anderen Mitteln kaum erreichen kann. Die Elektronik ist da für mich eine wichtige Weiterführung dieser Suche nach musikalischen Ausdrucksformen. Aber gleich nach meinem Studium hatte ich dann einfach kein Geld, um mir ein Studio einzurichten. Erst später konnte ich mir ein Experimentierstudio schaffen.
Manche Musiker gestalten mittels der Digitaltechnik vornehmlich den Sound der Musik – eine eher abgestanden wirkende Zugangsweise. Andere wiederum gehen analytisch tiefer und nutzen den Computer zur Veränderung und Erweiterung von musikalischen Strukturen – sie konstruieren sich eigene Ton- beziehungsweise e Harmoniesysteme anstelle des Dur-/Moll-Systems oder anstelle der Dodekaphonik oder sie führen eigene metrisch-rhythmische Systeme ein. Dein Zugang scheint wohl noch grundsätzlicher zu sein, bei einigen deiner Arbeiten stellst du das tradierte Verhältnis zwischen Künstler/Musiker und Publikum auf den Kopf... Anfangs habe ich versucht, alle Parameter eines Stückes zu bestimmen und alles genau festzulegen. Diese Stücke haben mich nie so richtig befriedigt, weil ich immer das Gefühl hatte, es würde etwas nicht stimmen. Dann habe ich versucht, mehr Parameter einzuführen, damit so ein Stück lebendiger wird – das befriedigte mich aber auch nicht. Bis ich dann eines Tages so viele Parameter vorzuprogrammieren und einzustellen hatte, dass das nicht mehr zu bewältigen war. So habe ich damit begonnen, die Entscheidungen dem Computer zu überlassen und – siehe da! – es entstand eine herrlich lebendige Musik. Es kam zu Ergebnissen, die ich mir niemals ausgedacht oder vorgestellt hatte. Ich konnte sogar improvisatorisch mit einem echten eigenwilligen Gegenüber arbeiten. Das Ganze habe ich dann noch einmal neu konzipiert und programmiert und es entstand TUMTRA, der virtuelle Mitspieler, mit dem ich auch im Duo auftrete. Im vergangenen Jahr habe ich dann einen Interaktionsraum mit einem Kamera-Interface-System (Eyecon von Frieder Weiß) zur ARS ELECTRONICA in Linz vorgestellt. Der Besucher wird beim Betreten des Raumes aufgefordert, sich akustisch zu »identifizieren« (zum Beispiel Wort, Schrei, Ton ...). Mit seinem „Klang“ ist der Besucher dann im Raum herumgelaufen, wobei seine Bewegung eine „Einzelmusik“ erzeugte, die auf dem jeweils individuellen Klang basierte und die gemeinsam mit den anderen Klangspuren der anderen Besucher ein ganz spezifisches Gesamtmusikereignis hervorbrachte. In diesem Raum können derzeit bis zu 25 Individuen am Gesamtklang 2arbeiten“. Als Komponist mache ich mit meiner Software die Besucher zu Komponisten ihres eigenen »Werkes«. Die Uraufführung in Linz war umwerfend! Es entstand eine »Komposition«, in der von rhythmischen Strukturen über Klangteppiche, Pausen bis zu aggressiven Klangwolken nahezu alles enthalten war. Und besonders wichtig: Es entstand eine Komposition, für die es keinen Autoren im herkömmlichen Sinne gibt. Ich denke, es ist ein wichtiger Teil meiner computerspezifischen Arbeit, mein Autorenego abzuschaffen. Jazzzeitung: Welche Faktoren und Überlegungen haben Dich auf diese Zugangsweise geführt? Manche Aspekte Deiner Konzeption scheinen Ideen der Dadaisten wieder aufzugreifen... Dorschner: Was ich zu sagen habe, kann ich auf verbalem Wege nicht mitteilen, da es außerhalb der Sprache vorliegt. Andernfalls wäre ich Schriftsteller geworden. Es sind eher Haltungen oder Zustände. Deshalb interessiert mich die freie Improvisation so sehr. Da spiele ich wirklich nur das, was in dem Moment im Raum ist. Ich habe mich intellektuell zu wenig mit den Dadaisten beschäftigt, aber ihren Kunstwerken fühle ich mich stark verbunden – ihrem Wollen, den „Künstler“ zurückzunehmen, Alltagsdinge zu Kunst zu erheben oder »Kunst« in den Alltag zu integrieren. Jazzzeitung: Welche weiteren Computerprojekte hast du? Dorschner: Zur Zeit arbeite ich an einem Sprachroboter, der im künstlerischen Sinne Fragen beantwortet. Hoffentlich ein lustiger Gesprächspartner. Jazzzeitung: Wie sieht die Landschaft der Dresdner Computer-Improvisationsszene aus? Dorschner: Die Szene in Dresden ist noch im Entstehen und Sich-Ausprägen begriffen. Die Gründung des ersten Dresdner Interfacelabors blueLAB (http://www.bluelab.tv) von Jo Siamon Salich und mir war diesbezüglich ein wichtiger Meilenstein für die Stadt. Von uns wurde endlich eine praktische Arbeitsumgebung geschaffen, in der man genreübergreifend arbeiten kann. Dann gibt es noch die TMA Hellerau, dort wird die Medienkunst auf organisatorischer Ebene bewegt – sehr wichtig für eine Kunststadt wie Dresden. Es gibt natürlich noch viele neue Projekte von einer neuen Generation, zu denen ich aber nur wenige Kontakte habe. Jazzzeitung: Was sind Deine nächsten künstlerischen Pläne? Dorschner: Ich werde im Dezember eine CD zusammen mit Baby Sommer (dr), Friedrich Schenker (pos) und Birg Borgenthal (p) rausbringen. Sie wird im Euphorium Musikverlag (http://www.euphorium.de) erscheinen, den ich zusammen mit Birg Borgenthal kürzlich gegründet habe. Dann natürlich ganz normale »analoge« Konzerte in Jazzclubs und auf Festivals. Nächstes Jahr schreibe ich ein Stück für Streichorchester und Tumtra, ein Auftragswerk des Sächsischen Musikrates. Interview: Mathias Bäumel
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