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Jazzzeitung

2003/09  ::: seite 22

dossier - jazz in der welt

 

Inhalt 2003/09

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
musiker-abc:
Paul Quinichette
all that jazz:
Reisen, Brüche, Brücken
no chaser:
Ego, ergo sum
Farewell.
Abschied: Swing-Pionier Benny Carter


TITEL / DOSSIER


Das Schlüsselwort Freiheit
Cornelius Claudio Kreusch und sein musikalischer Masterplan
Dossier. Jazz in der Welt (Brasilien / Vietnam / Südkorea / Klezmer)


BERICHTE


Berichte aus
Aying / Duisburg / Halle / Moers / München / Regensburg / Salzau / Unterföhring


 JAZZ HEUTE


Kein Reinheitsgebot für Jazz
Das Jazzfest Berlin wandelt sich und bleibt sich dennoch treu


 PORTRAIT / INTERVIEW


Lizz Wright // Klaus Doldinger // Wayne Shorter // Ralf Schmid // NuJazz und Micatone


 PLAY BACK / MEDIEN


CD. CD-Rezensionen 2003/09
Bücher. Neue Bücher zu Gil Evans, Miles Davis und Ligeti
Noten. Playback-CDs und neue Noten // John Valerio: Bebop Jazz Piano
Instrumente. Studio-Monitor von Yamaha
Medien. Hartmut Dorschner: der Computer und die improvisierte Musik // Filmmuseum München zeigt Jazzfilm-Reihe


 EDUCATION


Abgehört 18. Solo über einen kubanischen Bolero
Emotional und mit System
Die Freiburger Gesangspädagogin Martina Freytag
Ausbildung. Kurse, Fortbildungen etc.


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2003/09 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (371 kb))

Liebe auf den ersten Klang

Rendezvous mit dem „Godfather of Jazz in Vietnam“

„Ich denke jedes Instrument, bei dem nicht der menschliche Atem eine Rolle spielt, ist potenziell der Gefahr ausgesetzt, dass inhaltlich nicht viel Substanzielles herauskommt. Viele Gitarristen stellen einfach nicht den körperlichen Kontakt her, wie ihn etwa ein Saxophonist zu seinem Instrument hat…“ (Pat Metheny, NRZ vom 26.5.02)

Man darf davon ausgehen, dass Quyen van Minh an diesem Metheny-Zitat nur eines auszusetzen hätte: Es fehlt das Ausrufezeichen am Satzende! Van Minh ist Vietnamese. Auch er begann einmal mit der Gitarre, doch seine Mutter brachte ihn auf eine ganz andere Idee – mit einem magischen Argument: „Der Atem liegt näher am Herzen.“

Dieser Satz schlug ein – machtvoll: also Blasinstrumente! Zuerst wandte er sich der Klarinette zu, dann der Familie Saxophon: Bariton, Tenor, Alt, Sopran. Auf keines mag van Minh verzichten. Sitzt man ihm im „Minh´s Jazz Club“ in der Luong Van Can-Straße in Hanoi gegenüber – dem ersten und einzigen waschechten Jazzclub Vietnams – , dann fällt etwas sofort auf: Die Liebe und Leidenschaft für den Jazz perlt aus jeder Pore.

Nicht nur einmal während des Gesprächs legt er die rechte Hand auf sein Herz: Dieser Zusammenklang von Körper, Seele und Beruf(-ung), dieser Geist in der Begeisterung zieht auch den Zuhörer in den Bann. „This is my way!“, sagt er mit leuchtenden Augen und meint sein Leben für den Jazz; dessen Attraktivität sieht er vor allem darin: „Jazz transcendents national borders.“

Auf seltsame, fast absurde Weise zeigt sich das in seiner persönlichen, musikalischen Entwicklung. Vor 1969 spielte der 1954 Geborene häufig mit der Klarinette bei Hochzeiten und anderen Festen auf: traditionelle vietnamesische Musik. Doch der Vietnam-Krieg änderte sein Leben völlig – nicht durch das Kriegsgeschehen. Die USA exportierten nicht nur Bomben, sondern auch Töne. Als Ho Chi Minh 1969 starb, hörte van Minh erstmals Jazz-Musik bei BBC und US-Sendern: Es war Liebe auf den ersten Klang!
Sein Vater allerdings bangte – bei Genuss von Feindesmusik drohte Gefängnisstrafe. Doch genau das Gegenteil verspürte der Sohn: Jazz wurde zum Ausbruch und Aufbruch in neue Musikwelten! Als in Europa Ho-Ho-Ho Chi Minh-Parolen in den Straßen zu hören waren, fand er zufällig (?!) in den Straßen Saigons eine Kassette mit US-amerikanischer Jazz-Musik. Charly Parker oder Benny Goodman faszinierten ihn augenblicklich; er spielte das Band so oft ab, dass es nach zwei Monaten tot gespielt war. Kein Zweifel: Er hatte den Jazz-Virus. Und der stärkte ihn und gab ihm große Kraft für eine Lebensaufgabe...

Van Minh ist tatsächlich der „Godfather of Jazz in Vietnam“, wie es jemand in der „Heritage Publication“ süffisant formulierte. Vietnam hatte seinen Jazz-Pionier gefunden, bereit – oder besser: dazu gedrängt – ,seine ganzen Energien zu konzentrieren, um die Musik des „Feindes“ in seinem Land beliebt zu machen.

Fast täglich in seinem Jazzclub wird Live-Musik geboten. Seine Stammtruppe nennt sich „Quyen van Minh and his Red River Band“ – nach dem Roten Fluss, der träge durch Hanoi strömt. Häufiger ist er auch in Radio oder TV zu hören – der Direktor des „Hanoi National Conservatory of Music“ hörte besonders genau hin: Heute arbeitet van Minh als erster Jazz-Dozent am Konservatorium.

Die Nachwuchsarbeit liegt ihm ganz besonders am Herzen: Seine Schüler dürfen in seinem Jazzclub auftreten, gemeinsam mit dem Meister. Sein großer Wunsch: die Jugend soll einmal nach seinem Ableben seine Pionierarbeit in Vietnam fortsetzen!

Viel experimentierte van Minh mit Jazz und traditionellen vietnamesischen Themen. Letztere jedoch lassen keinen Improvisationsspielraum zu, seien gekennzeichnet durch einfache Melodien und das pentatonische System – was seinem Temperament, seiner Intuition und Fantasie widerspreche. Und so ist van Minh glücklich und dankbar, wenn er musikalisch auf Reisen gehen kann, um zu lernen, um Erfahrungen zu sammeln und Ideen aufzugreifen und zu verarbeiten. Seine zahlreichen Gigs im eigenen Club, gelegentliche Engagements in anderen vietnamesischen Städten und der Job als Sax-Dozent: „It´s much but it´s wonderful!“

Rainer-Alexander Spallek

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