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Im Gegensatz zu seinem Nachbarstaat Japan ist Südkorea terra incognita in Sachen Jazz. Wer erinnert sich nicht zum Beispiel an das famose, furiose Shibusa-Shirazu-Orchester letztes Jahr auf den Festivals in Moers und Nürnberg? Von „Jazz-Importen“ wie Aki Takase ganz zu schweigen. Aber gibt es Jazz in Korea?!
Gut viereinhalb Monate, nachdem Südkorea durch die Fußball-Weltmeisterschaft im Brennpunkt der (Sport-)Welt stand, sehe ich im Zentrum der WM-Stadt Daejeon in einer Seitenstraße auf einer Leuchtreklame groß und für mich als Westler auch lesbar „Jazz“ stehen! Voll Vorfreude beschleunige ich meinen Schritt und muss enttäuscht feststellen, dass es nur das Label für eine Kosmetikkette ist. Ein Zeichen der Wertschätzung? Ich zweifle daran, aber der Reiseführer lässt mich wissen, dass es in Korea richtigen Jazz gibt. Er kam mit den US-Soldaten 1953 nach dem Ende des Koreakrieges in den Süden des geteilten Landes, und blühte in den 60-er Jahren durch einen inzwischen verstorbenen Saxophonisten namens Lee Jung-sik auf. Aber mit dem Krieg in Vietnam verließen die meisten amerikanischen Soldaten das Land, und Jazz wurde nur von wenigen Musikern für wenige Anhänger am Leben erhalten. Inzwischen soll dies aber wieder anders sein. Der Jazz Club „Janus“ des Sängers Park Sung-yeon hat in den 90-er Jahren Jazz wieder populär gemacht. Und tatsächlich werden zehn Clubs in Seoul aufgelistet – von „Janus“ bis zum „Hot House Jazz Club“. Das zu lesen freut den Jazz-Fan im fernen Osten. In den nächsten drei Tagen keine Spur von Jazz. Hier, in der ländlichen Umgebung um die kleinen Städte Asan und Cheonan in der Mitte der Republik hatte ich ohnehin nichts anderes erwartet. Aber dass auch in der Großstadt Jeonju, der „Stadt der Künste“, wie Daejeon ebenfalls gute 250 Kilometer südlich von Seoul, nichts auf Jazz hinweist, enttäuscht mich. Nur ein einsames Plakat verrät, dass Diana Krall nach Seoul kommen wird. Aber zu spät für mich, denn Ende November bin ich schon wieder im heimatlichen München. Dann bin ich endlich in der 10-Millionen-Metropole Seoul. Wäre der imposante Gyeongbokgung Palast nicht, könnte ich genauso gut in einer amerikanischen Großstadt sein, so „westlich“ ist die Skyline. Die Gesichter der Menschen und die viele Leuchtreklame erinnern mich aber schnell wieder daran, wo ich bin. Gegen halb neun, südlich der Samcheongdonggil, einer Straße vor allem mit buddhistischen Artikeln und touristischen Souvenirs, sehe ich zum zweiten Mal ein Schild mit dem Hinweis auf Jazz. Ich steige die steilen Treppen in den zweiten Stock und komme in ein gut besuchtes Café. Viele junge Leute, die wohl wie ich auf Jazz stehen. Eine knappe Stunde später gehe ich, um die Erfahrung reicher, dass nicht überall Jazz drin ist, wo Jazz draufsteht. Es lief nur so eine Art koreanisches MTV mit den aktuellen Charts des 46-Millionen-Staates. Wie mein koreanischer Freund Mr. Yu betont, steht „Jazz“ in Korea für eine Art „easy listening“; meist mit einer Sängerin, sanft und mit viel Melodie. Gerade Standards wie „My Funny Valentine“ seien durchaus bekannt. Mit diesen Infos und meinen bisherigen Jazz-Erfahrungen bin ich sehr gespannt, was der Besuch im Live Jazz-Club Cheonnyeongando an einer der größten Verkehrsmeilen in Seoul, der Daehangno, gelegen, offenbart. Die breite Glasfassade imponiert mir ebenso wie das Plakat mit den Unterschriften von John Scofield mit seiner Band, die vor kurzem hier waren. Das Programm kündigt außerdem die Trios von Carla Bley und John Abercrombie an. Also ein wirklich namhafter Club. Und wohl ein quicklebendiger, denn hier ist jeden Tag Live-Programm. Wenn nicht internationale Acts auftreten, spielen an jedem Abend drei lokale Bands vor dem überraschend jungen Publikum. Das Programm wechselt jede Woche. Wir werden an einen der edel-rustikalen Tische geführt. Hier zahlt man keinen Eintritt, muss aber eines der teuren Menüs nehmen. Und zum Beispiel ein 330ml Bier aus Korea für schlappe sechs Euro! Ich sehe mich um. Eine kleine Bar, ein paar CDs zum Verkauf in dem getäfelten Raum. Eine Art neutrale Einrichtung, weder auf Jazz-Club gemacht, noch asiatisch. Ich schätze, dass 350 Leute hier Platz haben. Das Essen ist o.k., mehr nicht. Bei einer zweiten Mini-Portion Bier beginnt die erste Band, das “Seoul Art Trio“. Endlich Live-Jazz! Die Band profitiert von der guten Akustik. Pianist, Drummer, der Mann am E-Bass und ihre ausdrucksvolle Sängerin Miss Cheong werden parallel auch per Video übertragen. Ihr Temperament erinnert mich an Janis Joplin. Welch ein Kontrast zu ihren drei stoischen, asiatisch zurückhaltenden Mitspielern. Die vier klingen insgesamt sehr bluesig, und geben tatsächlich Standards wie „Summertime“ oder „Cry Me A River“ zum Besten. Technisch superb und vor allem sehr eigenständig interpretiert; zum Beispiel ist „Bye Bye Blackbird“ sehr schnell und mit Scatten – die Band hat ihre Jazz-Geschichte gelernt! Nach den beiden Sets sind aus den vielleicht 30 schon gut 150 Zuschauer geworden. Ich stelle fest, dass ich neben einem farbigen Amerikaner der einzige Westler bin. Der Schlussapplaus zeigt, wie gut die Gruppe angekommen ist. Auch ich bin mehr als versöhnt nach dieser echten Jazz-Erfahrung und treffe die Sängerin Malo Cheong anschließend zum Interview. „Es ist relativ einfach, in Seoul eine Chance für einen Auftritt zu bekommen“, überrascht mich ebenso wie ihr gutes Englisch. „Und nur nach Konzerten in den wenigen kleinen Clubs, hier in Seoul und in den größeren Städten Koreas, kann man seine CDs verkaufen.“ Noch vor ein paar Jahren war die Situation für Jazz-Musiker besser, da wurden richtige Jazz-Festivals veranstaltet. „Da kamen viele Leute. Aber die Sponsoren sind abgesprungen“, seufzt die Koreanerin und beeilt sich zu betonen, dass nicht der Jazz daran Schuld ist. Der Wirtschaft gehe es nicht mehr so gut. Malo Cheong streicht ihre langen braunen Haare zurück und ergänzt, dass es insgesamt nur zwei oder drei Studios in Seoul gibt. „Aber man muss auf eigenes finanzielles Risiko aufnehmen“, sagt die knapp Dreißigjährige resigniert „und wer kann das schon. Wir haben das Geld nicht dafür.“ Diese eher trübe Perspektive spielt auch eine Rolle, dass die allermeisten der Studenten wieder aufhören, Jazz-Musik zu machen. „Viele nehmen Jazz-Kurse an der Uni, aber dann merken sie, was für ein harter Job es ist. Es heißt einfach üben, üben und nochmals üben!“ Klingt irgendwie bekannt. Zuletzt möchte ich wissen, was in der Öffentlichkeit unter „Jazz“ verstanden wird. Sie lächelt und antwortet, dass für die meisten Koreaner „Jazz“ der Name eines Tanzes ist. „Und Jazz ist so populär wie nie zuvor”, gibt Sie mir zum Schluss mit auf den Weg zurück nach Europa. Ich bin beruhigt: Es gibt Jazz in Korea, man muss ihn nur finden. Und vielleicht kommt er ja bald auch zu uns. Joachim Gaupmann |
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