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September. Zeit für Heimkehrer in Sachen Jazz. Die einen haben den Festivalsommer in heimatlichen Gefilden zur musikalischen Naherholung genutzt, andere – und von diesen stammt und handelt unser Dossier – wurden vom Fernweh gepackt oder sind sowieso schon immer unterwegs gewesen. Weit weg und sicher nicht als Pauschalreisende haben sie Spuren verfolgt, Entdeckungen gemacht und sind nicht mit leeren Händen heimgekehrt. Der Protagonist unseres ersten Reiseberichts brachte gar einen neuen Namen mit.
Als Neli Schmidkunz war er nach Brasilien aufgebrochen, als Paulo Morello kehrte er zurück, im Gepäck einige Aufnahmen, die er und Saxophonkollege Kim Barth zusammen mit brasilianischen Musikern eingespielt hatten. Es fand sich ein Label, um daraus eine CD zu produzieren, eine Agentur, um das interkontinentale Projekt auf Tournee zu bringen. Doch spulen wir noch einmal zum Anfang zurück. Denn die Ansteckung mit dem Bossa-Samba-Virus lässt sich für den Gitarristen Schmidkunz ziemlich genau zurückverfolgen auf das Studienjahr 1995/96, als er mit Hilfe eines Stipendiums an der New Yorker New School University nicht nur in die Welt von Gitarrengrößen wie Jim Hall oder Attila Zoller eintauchen durfte, sondern vom Brazil-Experten Richard Boukas auch auf ganz anderen Repertoirepfade geführt wurde. In einer entsprechenden Combo spielte er echte brasilianische Gitarre, schleppte in der Batucada-Gruppe – mehr und mehr in einen Trancezustand geratend – eine riesige Surdo-Trommel die ganze Halloween-Parade mit und erlebte jeden Sonntag beim Brunch im Coffee Shop am Union Square den nicht zuletzt durch seine Zusammenarbeit mit Dianne Reeves und Diana Krall renommierten Romero Lubambo. Und da war etwas, was Schmidkunz packte, eine Alternative zum Jazz, „die direkt auf die Leute zugeht und doch musikalisch interessant bleibt.“ Zunächst ging es aber zurück nach Mannheim an die Hochschule, wo der in Maxhütte/Burglengenfeld Geborene, in Regensburg von Helmut Nieberle und in Nürnberg von Helmut Kagerer Unterrichtete sein Studium abschloss, um sich zunächst mit der von Jule Neigel produzierten Band „LIVIN“ in Richtung Pop-Funk und mit einem Orgeltrio in Sachen Jazz weiterzuentwickeln. Doch der Virus schlummerte weiter und wartete nur darauf, nach einem Zwischenstopp in Argentinien an der Copacabana endgültig auszubrechen. Zusammen mit seinem Studienfreund Kim Barth ging es hinein in das Sessiongetümmel Rios, geprägt von dem Gegensatz zwischen der MPB (Musica Popular Brasileira), der jazzig eingefärbten Bossa-Nova-Szene und der überlieferten Sambatradition. Vor allem dem Zauber des Letzteren konnten die beiden Bildungsreisenden sich nun immer weniger entziehen. In den „Quiosques“, den kleinen Bars mit Live-Musik, lernten sie die Reichtümer eines umfangreichen Song-Repertoires kennen und natürlich jede Menge Musiker, die noch mit dieser Tradition musikalisch groß geworden sind. „An den Schlagzeugern kann man es besonders gut erkennen“, so Morello (der es längst aufgegeben hatte, seinen für brasilianische Verhältnisse einigermaßen merkwürdigen ersten Vornamen zu benutzen, und auf seinen zweiten auswich: Paulo Morello war geboren). „Sie verstehen ihr Set nicht als einen Klangkörper, sondern als eine Zusammensetzung von verschiedenen Perkussionsinstrumenten, die im Sinne der traditionellen Rhythmusgruppen eingesetzt werden: Die Bassdrum ersetzt die Surdo, die Hi-hat imitiert das Gezischel der Chocalhos (Schellenkränze) sowie den Sambapuls der Tamburims, die Snare übernimmt Akzente, wie sie von der Samba Caixa vorgegeben werden. Es entsteht dieses charakteristische ,Eiern‘, das mit herkömmlichem Jazz-Schlagzeug nichts zu tun hat.“ Und so war es genau dieser Sound, der Morello und Barth vorschwebte, als sie sich im Herbst 2001 entschlossen, ein eigenes Aufnahmeprojekt in Brasilien zu wagen. Den Rahmen dafür hatten beide schnell abgesteckt: „Es sollte künstlerisch so sein, dass es uns interessiert, gleichzeitig aber auch eine Verkaufschance haben, um daraus in Deutschland eine CD zu machen“. Gesang, möglichst aus renommierter Kehle, könnte dem nur zuträglich sein, soviel stand fest. Zunächst galt es aber, eine geeignete Rhythmusgruppe zu finden,mit dem Begleittrio der Starsängerin Leny Andrade glückte dies aufs Idealste, ein Grundgerüst stand, auf das sich aufbauen ließ. Dazu gehörten freilich auch die Eigenkompositionen, neben der instrumentalen Kompetenz die große Stärke des Teams Morello/Barth. Dass diese, über bloße Stilkopien weit hinausreichenden Songs bei Bassist Lúcio Nascimento, Keyboarder João Carlos Coutinho und Schlagzeuger Adriano de Oliveira so gut ankamen, war die wichtigste Voraussetzung dafür, dass sie sich bereit erklärten, mit ins Studio zu gehen – und vorher ausgiebig zu proben, ein Unterfangen, das sich immer wieder zu mitternächtlichen Nachbarschaftspartys auswuchs. „Unglaublich, bei uns hätte eher jemand die Polizei gerufen.“ Unkompliziert auch die Kontaktaufnahme zu den in Brasilien als Bossa-Nova-Legenden geltenden Vokalisten Johnny Alf und Alaíde Costa. Vier Stücke steuern sie zum Album bei, bis auf einen weiteren die einzigen, die nicht von Morello und Barth stammen, darunter Alfs „Fim de semana em Eldorado“ als Titelsong. Einen Hauch von Buena Vista Social Club verleihen sie dem Projekt, zumal in dem kleinen, atmosphärisch sehr gelungenen Video, das sich als Zugabe mit auf der CD findet. Diesen Effekt will auch die Agentur Kleinschmidt ausnutzen, wenn sie die deutsch-brasilianische Connection nun unter dem Motto „Legends of Bossa Nova“ auf Herbsttournee schickt (Termine siehe unten). Frank Kleinschmidt von In + Out Records war es auch, der aus den in Deutschland gemischten und nachproduzierten Aufnahmen – die beiden risikofreudigen Selbstmanager hatten zunächst alles vorfinanziert – eine CD zu machen, bereit war. Ein Risiko, dass sich für alle Beteiligten gelohnt haben dürfte, hört man in die Scheibe hinein: Entspannte Soli Morellos (mal elektrisch, mal akustisch, immer mit Geschmack) und Barths (hervorragend auch an der Flöte), die Vielfalt der Brazil-Stile einfühlsam aufnehmend, ohne die Jazzherkunft zu verleugnen; eigene Songs mit Ohrwurmqualität; der ausdrucksstarke Gesang Costas und Alfs. Dazu zwei saftige tanzbare Nummern mit den Continentino-Brüdern Kiko, Alberto und Jorge. Mehr als genug für ein Album, das vielleicht bald auch in Brasilien selbst zu hören sein wird. Leny Andrade will in jedem Fall die Jermaine Landsberger gewidmete „Balada pra J.“ aufnehmen. Ein größeres Kompliment kann man den beiden Songschreibern wohl kaum machen. Juan Martin Koch Service
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