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Jazzzeitung

2003/09 ::: seite 14

portrait

 

Inhalt 2003/07

Inhaltsverzeichnis

STANDARDS

Editorial / News / break
musiker-abc:
Jean-Luc Ponty
all that jazz:
Furie des Verschwindens
no chaser:
Kunstpolitik
Farewell.
Mongo Santamaria


TITEL / DOSSIER


Es lebe das Zentralquartett
Geschichte einer Kultband des „freien Jazz“ der DDR
Dossier. Jazzstadt Regensburg


BERICHTE


Berichte aus
Augsburg, Berlin, Fürstenfeld, München, Neuburg und Ulrichsberg


 JAZZ HEUTE


Labelgründung: Jazzpartners, über Jugend jazzt und den Berliner Jazzclub „Schlot“


 PORTRAIT / INTERVIEW


Jugendjazzorchester Sachsen // Frankzone aus Weilheim // Das Label audio art


 PLAY BACK / MEDIEN


CD. CD-Rezensionen 2003/07
Bücher. Peterson-Buch mit interessanten Details // Jazzforschung/jazz research, Band 34 (2002)
Noten. Ausgaben für Triobesetzung, Trompete und Gitarre // John Valerio; Stride & Swing Piano
Instrumente. Warwick Streamer Jazzman 4
Medien.
Mehr Jazz im Radio


 EDUCATION


Abgehört 17. Monk spielt nichts als Monk
Aus Kamerun nach Köln. Der Trompeter Terrence Ngassa an der Kölner Musikhochschule
Ausbildung. Kurse, Fortbildungen etc.


SERVICE


Critics Choice

Service-Pack 2003/07 als pdf-Datei (kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV, Jazz in Bayern und anderswo (558 kb))

Fortschreibungen des Glücks

Wayne Shorter - Kreativitätschub mit 70 · Von Bert Noglik

Für die Großen des Modernen Jazz gilt: Sie haben mehrere Phasen dieser Musik durchlebt und gestaltet. Das trifft auf John Coltrane ebenso zu wie auf Miles Davis, den man auch als „Picasso des Jazz“ bezeichnete. Wayne Shorter zählt zu einer später geborenen Generation als Trane und Miles, aber er hat deren Neuerungen assimiliert und auf Tenor- und Sopransaxophon zu einem völlig eigenen Stil gefunden. In den Kreisen der jazzhistorisch bedeutsamen Innovatoren war er nicht nur Mitspieler, sondern zugleich Impulsgeber.

Was für eine Laufbahn: Als 26-jähriger wird Wayne Shorter Saxophonist, musikalischer Leiter und Hauskomponist von Art Blakey’s Jazz Messengers, der Band die den Hard Bop programmatisch zum Ausdruck bringt. Fünf Jahre später wechselt er zu einem Musiker, der über das modale Spiel zu einer freien Spielkonzeption und schließlich zu einer gänzlich neuen Fusion aus Jazz und Rock findet: Miles Davis. Musikalisch erweist sich all das als folgerichtig. Shorter erinnert sich einen der Umschlagpunkte in dieser Entwicklung: „Miles Davis’ Anwalt rief immer an und fragte: ‚Was ist los mit dir – stehst du nicht auf Miles?’ Und Blakey lief immer herum und murmelte: ‚Er will mir meinen Tenoristen stehlen.´“

Über einen Zeitraum von mehr als fünf Jahren gab Wayne Shorter der Musik von Miles Davis einen besonderen Ton. Im Spannungsfeld von Freiheit und Form wirkte er konturierend. Auszug aus der Autobiographie von Miles Davis: „Eigentlich kam Wayne aus der Free Jazz-Ecke, aber die Jahre bei Art Blakey und seine dortige Funktion als musikalischer Leiter hatten ihn wieder mehr geformt. Er wollte freier als bei Art spielen, aber auch nicht völlig abgedreht. Wayne war immer jemand, der mit Form experimentierte, daher passt er einfach perfekt in meine Vorstellungen für die Zukunft. Wayne war neugierig, er experimentierte gern mit musikalischen Regeln. Wenn sie nicht passten, setzte er sich darüber weg, aber mit musikalischem Gefühl; der wusste, dass die Freiheit in der Musik das Wissen um ihre Regeln voraussetzt, um sie sich dann nach eigenem Geschmack und Bedürfnis zurechtzubiegen. Wayne lebte in seiner eigenen Welt und kreiste um seinen eigenen Planeten. Die übrigen Musiker in der Band standen auf der Erde. In meiner Band hatte Wayne mehr Freiheit als bei Art Blakey; bei mir entwickelte sich der Komponist in ihm. Das meine ich, wenn ich sage, dass er der Kopf der Band war, der musikalische Katalysator.“

Die Zusammenarbeit von Miles Davis und Wayne Shorter hat Jahresringe in der Jazzgeschichte hinterlassen: Von „E.S.P.“ über „Miles Smiles“, „Sorcerer“, „Nefertiti“, „Miles In The Sky“ bis zu „Filles de Kilimanjaro“, bis zu „Water Babies“, „In A Silent Way“ und „Bitches Brew“. Dann, auf dem Höhepunkt von Miles Davis’ erster Jazzrock-Phase, wechselt Wayne Shorter erneut die musikalische Umgebung. Gemeinsam mit Joe Zawinul und Miroslav Vitous gründet er 1970 eine Gruppe die anderthalb Jahrzehnte lang, in ständig fluktuierender musikalischer Bewegung die Vorstellungen von Fusion neu definiert: „Weather Report“. Zawinul wusste genau, auf wen und mit wem er sich dabei einließ: „Wayne war ein neuer Tiger im Block – ein Musiker, von dem damals in New York jeder redete.“ Joe Zawinul hat ihn mit wenigen Sätzen trefflich charakterisiert: „Wayne ist eher introvertiert, doch er besitzt viel Energie und Power zur richtigen Zeit. Das merkt man auch an seiner Art, Saxophon zu spielen – die hat er von Miles gelernt. Er hat unheimlich viel Feuer und ist rhythmisch perfekt. Sein Ausdruck ist etwas ganz Persönliches.“

Seit den sechziger Jahren auch mit eigenen Gruppen und Platten unter eigenem Namen auf der Szene präsent, gab es immer wieder Pausen in Shorters musikalischer Kontinuität – Phasen eines langen schöpferischen Luftholens wie auch jähe Unterbrechungen. Mitte der achtziger Jahre starb seine Tochter, damals vierzehnjährig, an einem Gehirnschlag; 1979 kam Shorters Frau, mit der er sechsundzwanzig Jahre zusammengelebt hatte, bei einer Flugzeugkatastrophe ums Leben. Nachdenkliches offenbarte Wayne Shorters Musik schon in jungen Jahren; im Laufe der Zeit hat er sich – ebenso wie sein langjähriger Freund und musikalischer Verbündeter Herbie Hancock – immer stärker mit Meditation, Buddhismus und östlicher Philosophie beschäftigt.

Am 25. August dieses Jahres wird Wayne Shorter 70. In jüngster Zeit lässt sein Schaffen einen enormen Kreativitätsschub erkennen. Die zehn Jahre zuvor hatte er sich auf dem Plattenmarkt eher rar gemacht. Vielleicht besann er sich einer Tugend, die allenthalben vergessen wurde und die einstmals lautete: nur musikalisch wichtige, oder – noch rigoroser formuliert – nur notwendige Platten zu produzieren. Was Wayne Shorter mitzuteilen weiß, fußt auf Erfahrung. Er entwirft musikalisch abstrakte Bilder, lässt sich weder auf einen stilistisch festgeschriebenen Nenner noch auf ein Programm festlegen. Und doch vermag er Zeichen zu setzen.

„Footprints Live!“, im vergangenen Jahr veröffentlicht, akzentuierte die dichte Interaktion im Quartett und setzte den Akzent auf den Naturklang der Instrumente. Von den genialen Duos „1+1“ mit seinem ansonsten durch futuristische High-Tech-Welten streifenden Alter ego Herbie Hancock am Piano abgesehen, legte Shorter mit „Footprints Live!“ sein erstes rein akustisches Album seit 1967 vor. Mit dem Titel ist gleichsam das Versprechen in die Welt gesetzt, die Musik jenseits des Tonträgers live in die Welt zu tragen, sie lebendig im Fluss zu halten.

Die Studioproduktion „Alegría“ bettet das Spiel des Quartetts mit Danilo Perez am Piano, dem Bassisten John Patitucci und dem Schlagzeuger Brian Blade in Klanglandschaften ein, die sich so nur schwerlich im Konzert realisieren lassen. Thematisch bezieht sich Wayne Shorter dabei nicht nur auf eigene, frühere Stücke, sondern auch auf Musik aus ganz unterschiedlichen Quellen. Dem Charakter der Stücke entsprechend, erweitert und verändert er die Besetzungen. Er lässt ein klassisch intonierendes Violoncello aufscheinen, nutzt die Farben von Holz- und Blechbläsern wie auch die Qualitäten des Pianisten Brad Mehldau, der Schlagzeugerin Terri Lyne Carrington und des Perkussionisten Alex Acuna. Wayne Shorter spiegelt in seiner Musik nicht nur die eigene Vita, er bezieht sie ein in ein Panorama, das geographisch und historischen über die Personen- und Jazzgeschichte hinausreicht. Auch auf fremden Terrain seine musikalischen Fußspuren und Fingerabdrücke hinterlassend, stiftet er Zusammenhänge, vermeidet er das Auseinanderfallen in Beliebigkeit. Der Bogen reicht von einer Flamenco-Melodie aus den dreißiger Jahren, die durch den Sänger Antonio Molina bekannt wurde, „Vendiendo Alegría“, über eine der „Bachianas Brasileiras“ von Heitor Villa-Lobos und ein traditionelles keltisches Volkslied, „She Moves Through The Fair“, bis zu einem mittelalterlichen Weihnachtslied, „12th Century Carol“. Wayne Shorter macht sich solche Vorlagen zu eigen, indem er sie neu interpretiert, eigenwillig ausleuchtet. Oft entstehen dabei orchestrale Wirkungen: Neben spontan anmutenden Quartetteinspielungen, bei denen er sich im Multitrackverfahren mit Sopran- und Tenorsaxophon verdoppelt, stehen ausgefeilte Arrangements, die allerdings sparsam bleiben und nie in die sattsam bekannten Klischees von Filmmusik oder Jazz goes Symphonic verfallen, sondern eher an die sensible Zusammenarbeit von Miles Davis und Gil Evans erinnern. Die Notenblätter von „Vendiendo Alegría“ wurden Shorter übrigens einst von Miles Davis zugesteckt, damals mit der Bemerkung, „irgendwann einmal etwas damit anzustellen“. Vom Hochstand der Reife und der Erfahrung aus greift der Saxophonist auch eigene Themen aus den sechziger Jahren wieder auf, diese in neue Stücke verwandelnd. Und das speziell für das Album „Alegría“ geschriebene „Sacajawea“ hat die Prägnanz eines Hard-Bop-Standards, verzweigt sich aber bei Shorter weit ins Improvisatorische.

Zum Erstaunlichen an der akustischen Renaissance von Wayne Shorter zählt, dass er mit so anspruchsvollen Klängen eine solche Resonanz in der oft an stromlinienförmig gestylten Produkten orientierten Verkaufswelt des Jazz hervorzurufen weiß. Das in diesem Jahr veröffentlichte Album „Alegría“ wurde übrigens bereits vor „Footprints Live!“ aufgenommen. Auf den Titel „Alegría“, das spanische Wort für Freude, angesprochen, antwortete Wayne Shorter sehr weise: „Happiness is a work in progress“. Und er ist dabei dieses Gefühl mit all seinen Schattierungen, mit seinen dunklen und seinen glänzenden Aspekten fortzuschreiben.

Mit freundlicher Genehmigung von Triangel

MDR KULTUR: JAZZ-ZEIT
Sa., 29. August, 23.00–24.00 Uhr


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