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Der 1936 in Argentinien geborene Klarinettist Giora Feidman zog – nach einer imposanten Karriere als klassischer Musiker – vor 30 Jahren in die Welt aus, um ihr sein universales Verständnis von Musik nahe zu bringen. Fast im Alleingang sorgte er seit den 70er Jahren für die Wiederentdeckung des fast vergessenen jüdischen Klezmer. Indem er ihn mit Elementen der Klassik, des Jazz wie auch der südamerikanischen Musik zu einer unverwechselbaren Mischung anreicherte, wurde er Vorbild für zahllose Nachahmer und lebendiger Teil der Musikgeschichte. Vor seinem Auftritt in der Münchner Philharmonie sprach Oliver Hochkeppel mit dem rastlosen Botschafter der Humanität, der auch bei zahlreichen Theater- und Filmprojekten (etwa Caroline Links „Jenseits der Stille“) mit von der Partie war. Jazzzeitung: Herr Feidman, Sie beginnen ihre Konzerte nicht auf der Bühne, Sie wandern spielend durch den Saal . Wie kamen Sie darauf?
Giora Feidman: Ich weiß nicht, wann das begann. Musik ist eine Sprache. Und die kann sich nur in einer Atmosphäre entwickeln, in der die Trennung zwischen Künstler und Publikum verschwindet. Es funktioniert nicht, von der Bühne herab zu sagen: ,Ich spiele Klarinette, ihr zahlt und hört zu“. Kunst bedeutet, dass man die natürliche Einheit der Menschen an die Oberfläche bringt. Da gibt es viele Wege, so aufzutreten ist nur einer. Jazzzeitung: Sie beginnen oft mit einem Stück von Ora Bat Chaim beginnen. Welche Rolle spielt die israelische Komponistin in Ihrem Schaffen? Feidman: In Oras Musik habe ich eine unerhörte Botschaft gefunden, an der ich Teil haben wollte. Es ist bezeichnend, dass ich beim Film „Jenseits der Stille“ gebeten wurde, genau das zu spielen. Ganz generell: Ich bin mir sehr bewusst, nur das Instrument der Komponisten zu sein. Es ist ein großes Geschenk für mich, dass ich so viele anregen kann, unglaubliche Dinge für mich zu schreiben, wie etwa hier in München Wolfgang Hiller. Jazzzeitung: Sie sind aber doch selbst ein Komponist, indem Sie so viele verschiedene Stile zu Ihrer ureigenen Musik verschmelzen. Feidman: Was Interpretation und Ausdruck angeht, haben sie wohl recht. Und nach meinen Verständnis muss ein Jazzmusiker ein hervorragender Instrumentalist und ein permanenter Komponist sein. Wenn nicht, ist es kein Jazz. Jazzzeitung: Hängt Ihre Vielseitigkeit mit Ihrer Herkunft aus Argentinien zusammen, wo man ja am Tango nicht vorbei kommt? Feidman: Mein Vater war – und ist – mein Lehrer. Ich bin die vierte Generation einer Klezmer-Familie. Schon mit neun spielte ich erfolgreich auf Hochzeiten. Eines Tages sagte mein Vater: „Du siehst das Publikum, wie es tanzt. Dasselbe Publikum geht in die Konzerthäuser. Du kannst sie dort treffen, wenn du willst. Lerne. Studiere. Ich schicke dich nach Bukarest“. So hat er mich erzogen, er hat nie gesagt: „Das ist zu schwer“ oder „Du musst so spielen“. Jazzzeitung: Ist es eine Belastung für Sie, dass alle ihre Heimatländer, Argentinien, Israel und die USA, sich in einer Krise befinden, um nicht zu sagen im Krieg? Feidman: (zögert) Sie haben eine offene Wunde berührt. Jeder Abend, an dem ich spiele, ist unglaublich: Das Königreich der Musik überwindet die Sorgen des Alltags, überbrückt Religionen oder Alter. Tagsüber telefoniere ich mit meiner Familie, und da ist diese unglaublich traurige Realität. Wie jetzt: Fünf Bomben in zwei Tagen. Ich kann nicht mehr schlafen, wirklich. Wofür das alles. Es geht doch um Menschen und Liebe. Hier in Deutschland sitzen wir zusammen, Juden und Deutsche, und singen zusammen. Diese Botschaft müsste doch die ganze Menschheit erreichen können. Jazzzeitung: Sie haben Deutschland oft als Ihre zweite Heimat bezeichnet. Feidman: Deutschland ist meine Heimat, überhaupt keine Frage. Ja, ja, ja. Ich bin Jude, aber wenn ich spiele, bin ich Musiker. Sie und ich, wir waren nicht beteiligt am Desaster der Vergangenheit. Warum sollten wir dafür büßen? Wir übernehmen die Verantwortung, wir arbeiten zusammen. Jazzzeitung: Sie spielen hier oft in kleineren Gemeinden . . . Feidman: (unterbricht) Was soll die Frage? Ich sage Ihnen, ich
werde nie aufgeben, überall hin zu gehen. Ich spiele auch in Kirchen, für
Brot. Groß oder klein gibt es nicht. Es gibt Menschen. |
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