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Als die Pop-Musik, abseits der pathetischen und meist auch peinlichen Mega-„Fusionen“, aus einem inneren Impuls heraus „jazzy“ wurde, ging sie auf Reisen. Musiker-Kollektive wie die „Embryos“ oder die „Dissidenten“ folgten der grand tour der nach Erleuchtung Suchenden nach Osten und musizierten mit allen, denen sie begegneten. Die Welt-Musik kam als Experiment und als Fundstück nach Deutschland. Türkische, persische, afghanische und indische Virtuosen machten den Indie-Pop und -Jazz der Nach-68er-Zeit auf wunderliche Weise dissonant, reicherten ihn mit Mantras und Visionen an, die wie eine späte Variante der urbürgerlichen Exotismus-Sehnsucht wirkten. Eine Reise ganz anderer Art unternahm zur selben Zeit Bernward Vesper, Sohn eines halbwegs berühmten Nazi-Dichters und einschüchternden Über-Vaters und eine Zeitlang Ehemann der späteren RAF-Terroristin und (mittlerweile) Zeitgeist-Ikone Gudrun Ensslin. Vesper war wohl einer, dem auf Erden nicht zu helfen war; Umstände und Personen, auf die sich die große „Schuld“ wälzen lässt, finden sich immer. Das ändert aber nichts daran, dass seine skrupulös-zerrissene Selbstlebensbeschreibung, die erst Jahre nach seinem Selbstmord in der Psychiatrie im bleiernen „deutschen Herbst“ 1977 veröffentlicht wurde, so etwas wie ein hellsichtiger Report aus dem Herzen der Finsternis ist, die extreme Diagnose einer desaströsen Generation, die eben ein widergängerisches Pop-Star-Glamour-Revival erlebt. Die Reisen, die Vesper unternimmt und die er sehr fragmentarisch-assoziativ schildert, nennt er gern „Trip“ – und das führt schon auf die richtige psychedelische und psychotische Fährte, auf die des Rauschs und der Sucht und einer Überschreitung jeder Ordnung. Die da, nach 68, wieder einmal urromantisch auf der Suche nach der blauen Blume waren, hantierten gern mit der Kalaschnikow und explosiven Stoffen aller Art und benutzten für ihr Unterwegssein mit Vorliebe chemische Beschleuniger. Klaus Buhlert, routinierter Hörstück-Produzent, hat jetzt Vespers Reise nach allen Regeln der Kunst rekonstruiert, als Sexy-Flow durch eine Zeit, die nicht so tot ist wie es die Ordnungshüter gerne hätten, der aber, vielleicht, Baader und Co als das kenntlich macht, was sie immer schon waren, als verzweifelte und narzisstische Desperados. Buhlerts „Reise“ nach Vesper-Texten ist vor allem Soundtrack. In den Rock-Fragmenten, die wie ein Überfallkommando das Ohr erreichen, ist vermutlich mehr von den Motiven des Undergrounds erhalten als in den schwerblütigen Handbüchern der Stadtguerrilla, deren kalte Text-Logik oft fatal an die liquidierende Sprache des 3. Reichs erinnert. Dieser Transfer zuerst von Traumata, dann von Methoden bestimmt auch den Palästina-Konflikt, Opfer und Täter wechseln da die Rollen und Identitäten so rasch und erbarmungslos, dass einem schwindlig werden kann. Vielleicht ist es kein Zufall, dass es gerade jüdische Musiker waren, die in jüngster Zeit nach Auswegen suchten. Daniel Barenboim etwa, der beides versuchte: Wagner, den großen Musiker und desaströsen „Poltiker“, in Israel wenn schon nicht heimisch, so doch zumindest erträglich zu machen; und in der Kooperation mit palästinensischen Jugendlichen, im Hören auf die große Harmonie oder meinetwegen auch den dissonanten Flow, den Hass zu überwinden. Fast noch entschiedener geht da das „Orient House Ensemble“ vor, ein israelisches Jazz-Kollektiv, das schon dadurch einen Tabu-Bruch begeht, dass es sich nach der Vertretung der palästinensischen Autonomie-Behörde in Jerusalem benennt. Das explosive Verfahren dieses Ensembles besteht darin, dass es Brüche riskiert und Brücken baut. Wenn es etwa ein Lied des von den Nazis ermordeten Krakauer Poeten Mordechai Gebirtig, das von den brennenden Ghettos kündet und seit zwei, drei Generationen so etwas wie die Hymne oder das Erkennungszeichen des jüdischen Widerstands ist, in ein Jazz-Instrumental verwandelt, das bewusst provokativ den Titel „Dschenin“ trägt, in Erinnerung an das Palästeninser-Lager, das von israelischen Bulldozern niedergewalzt wurde. Der Transfer einer Melodie in ein anderes Medium wird hier zum bewussten politischen Protest. Natürlich ist der Jazz politisch, jenseits billiger, immer schon vorkodierter Bekenntnisse. Die brutale, platt machende Globalisierung begleitet er mit Rekonstruktionen und „Vermischungen“, die von Respekt zeugen und den Eigenwert dessen, was man sich aneignet, bewahren wollen. Das gilt zum Beispiel für das neueste „Remix“-Album des Detroiter TechnoHouse-Avantgardisten Carl Craig, der ethnisches Material auf verblüffende Weise seinem subsonischen Universum einverleibt. Das klingt manchmal, wenn er etwa kapverdische Mondra-Musik, die längst auch „bei uns“ populär ist, mit Detroit-Sounds „überschreibt“, sehr fremd, „störend“. Aber nur so bewahrt das Andere vermutlich sein Recht; nur so lernt man auch neu zu hören. Ein anderer Grenzüberschreiter ist der junge russische Trompeter und Flügelhornist Sergej Nakariakow, der längst mit Einspielungen der großen klassischen Literatur verblüfft hat, der zum Darling der großen Festivals wurde und jetzt auf eine Weise „übersetzt“, die man nur jazzy nennen kann. Da wird alles, was es gibt, zum blueprint eines neuen Welt(musik)-Idioms, von Telemann und Saint-Saens bis zu Gershwins Modernitäts-Hymne „Rhapsody in Blue“, die spätestens seit Woody Allens großer Liebeserklärung jeder kennt. Verblüffend bei Nakariakow ist vor allem, wie er den großen Zugaben-„Sounds“, Sarasates „Zigeunerweisen“ etwa, die, von „der“ Mutter auf der Violine vorgetragen, zum Mega-Hit wurden, auf seinem Instrument neue, unerhörte Stimmen und „moods“ hinzufügt. Helmut Hein |
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