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Wenn „Jazz“ in Moers zuweilen in Richtung Beiwerk tendierte, rückte Burkhard Hennens Programmauswahl die eigentliche Ursubstanz des Festivals wieder stärker ins Zentrum: Ein traumhaft besetztes Charles Lloyd Quartett vollführte die höchste Kunst von modernem Jazz in vollendeter Reife. Mehr noch: Ergreifend in seiner Wirkung und frenetisch gefeiert lebte Lloyd sein von Spirituals beeinflusstes Spiel als meditativen Zustand. Lloyds Spiel floss aus dem Altsaxophon in einer emotionalen Direktheit, in der Worte schnell an ihre Grenzen stoßen, um diesen Ton, dieses Spiel und dieses Klima zu beschreiben, das sich in den ausgiebigen Soli entfaltete. „The Sun Ra Arkestra“ zelebierte eine „Stern“-Stunde im wörtlichen Sinne, entführte in ein Jazz-Märchen, das in eine Zukunft blickt, die schon längst wieder Geschichte ist, überzogen mit einer Patina, die so bunt und schillernd wie die Kostüme der Musiker anmutet. Für sein letztes, großes, hymnisches Solo tauschte Bandleader Marshall Allen sein Sax gegen einen seltsam anmutenden Analogsynthesizer zum Hineinblasen – sollte so der Jazz seine glühenden Botschaften in ferne Galaxien hinaustragen? Wenn der rasende, spontane Freejazz von Jacques Demierre, Barry Guy und Lucas Niggli ein ganzes Festivalzelt zum Toben bringt, wenn viele Musikinteressierte nach durchfeierten Nächten und vorangegangenen Konzertmarathons scharenweise zu den improvisierten Sessions der Moerser Vormittagsprojekte strömen, dann können ästhetische Wagnisse keine Minderheitenangelegenheit sein. In Moers sowieso nicht und das funktioniert auch ohne den WDR! Einmal mehr profilierte sich das Pfingstereignis am Niederrhein als unkopierbarer, vor kreativer Unruhe vibrierender Organismus. Und wieder hatte die Schweizer Szene in Moers ihren richtig großen Auftritt: Der junge Pianist Michel Wintsch brachte in der „klassischen“ Konstellation des Klaviertrios neue Ideen mächtig in Fahrt. Lucas Niggli scheint derweil zum neuen Moerser „Artist in Residence“ zu werden. Sein „Steamboat Switzerland Extended Ensemble“ lieferte einen der wirkungsstärksten Beiträge des Festivals mit schweren Orgelsounds, erbarmungslos wiederholten Rhythmusimpulsen und einer mächtigen Rock-Dramaturgie, die im Kern doch minimalistisch blieb! Anderes versetzte regelrecht in Trance: Aus der französischen Schweiz kam Pierre Audetat, in dessen Band ein Sampling-Keyboard an die Stelle der Rhythmusgruppe getreten ist. Dessen Beats und Loops entfalteten erstaunliche hypnotische Texturen, auf deren Grundlage Gitarre, Posaune und Altsax ihre Licks abfeuerten – ein futuristischer Spacefunk, mal diesseits und mal jenseits der Grenze zur ironischen Berechnung des Bestehenden! Stefan Pieper |
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