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Drei schöne Sommerabende lang lagen im Graben vor der Burg Terminal und Startrampe für sehr verschiedene akustische Weltreisen. Pibo Marquez aus Venezuela verspürte „wunderbare Energie“, Katja Riemann sagte baff: „Hallo Halle“, und Doc Wenz fühlte sich dann doch wohl „in diesem Teil der Republik“, auch „ohne etwas eingenommen zu haben“. Die alten Mauern gaben dem 21. Internationalen Moritzburg Jazzfestival Halle die ansehnliche Kulisse für Ortserkundungen im Anderswo. Mal wähnte man sich in der spröden Fjordlandschaft des hohen Nordens, mal war man in ein Karabik-Animationslokal gebeamt, mal in die Sümpfe von New Orleans, mal in den hippen Metropolenclub und mal an die gefährliche US-Grenze zu Mexiko, wo Sonnenbrillen Identitäten verbergen. Bewusst hat Steffen Wilde, langjähriger künstlerischer Leiter von Sachsen-Anhalts wichtigstem Event dieser Art, dieses Jahr auf klassische Jazzformate ebenso verzichtet wie auf orthodoxe Bands. Vielmehr wurde eine Szene abgebildet, die sich von den Rändern her auf vielfältige Weise verjüngt und frisch hält. Jazz ist spannend wie eh und je, auch und gerade wenn er sich kostümiert. Er ist wieder chic, und getanzt werden darf auch: Sehen und gesehen werden bei exzellenter Musik. Die lebte unangestrengt selbstverständlich in spaßgesellschaftlichen
Gruppenkonzepten und vergaß nicht zu demonstrieren, dass der Jazz stets auch
an die Fertigkeiten außergewöhnlicher Improvisatoren gebunden ist. Michael
Rodach zum Beispiel, Gitarrist der Berliner Band „Shank“, der deutschen
Antwort auf Nils Petter Molvaer, ist Tüftler und Verfremder seines Instruments.
Er legt breite Soundflächen, lässt es wie ein elektrisches Klavier klingen
oder repetiert vertrackte Melodiepartikel. Hinter der Nerd-Brille hat er hohes Vergnügen
an den abenteuerlichen Basteleien im Namen des Grooves, die von „Shank“
immer souveräner zelebriert werden: eine Band auf dem Sprung ganz nach oben.
Oder Pibo Marquez, Santana-Komparse und trommelnder Muskel-Strahlemann des Salsa-Multikulti,
der mit seiner gemischten Band aus sieben Nationen gute Laune in die Beine schickt.
Oder Jochen Wenz, der als begnadeter Entertainer vor seiner elfköpfigen Band
„mardi gras. bb“ die Leute um den Finger wickelt und, wenn er will,
in die Knie zwingt. Mit dem Auftritt seiner spektakulären Großkapelle
am ersten Abend war das Eis endgültig gebrochen und dem Publikum klar, wo sein
Platz ist: vor der Bühne und höchstens noch zum Schwitzwasserauffüllen
am Biertisch. Vor der Druckwelle des krachig-klassischen Bläsersatzes gibt
er den über allem stehenden Zeremonienmeister, der sich verflüchtigt,
als sich seine Karawane gegen Ende zu intensiven Instrumentalbattles ins Publikum
gemischt hat. Katja Riemann auf den Stufen währenddessen. Als Magnet des letzten Abends hatte sie es danach schwer. Im mausgrauen Etuikleid verlor sie sich zunächst zwischen schnoddriger Aufgedrehtheit und großem Gefühl. Doch dann drehte sie ihr Programm von der deutsch-banalen Estrade hin zum tapferen Spiel mit den großen Chanteusen-Vorbildern. „Wild Horses“ und „My funny Valentine“, Romy Schneider und Tori Amos. Respekt, Zugaben und sehr viel Beifall. Nachtblende und wie an den Abenden zuvor zufriedene Gesichter auf dem Nachhauseweg. Ulrich Steinmetzger |
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