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Der Ruhrgebiets-Strukturwandel, längst Geschichte, bleibt sinnlich: Wo einst Eisen schmolz, fließen jetzt Klangwelten zu staunenswerten und publiumswirksamen Legierungen zusammen, etwa beim Traumzeit Festival im Duisburger Landschaftspark. Die Kraftzentrale des Stahlwerkes ist eine große langgezogene Halle mit kathedralenartiger Aura und leicht halliger Akustik. Ein passender Rahmen allein schon für das eindringliche Auftakt-Konzert des diesjährigen Festivals: Zerbrechlich wirkend und trotz großer Bühnenerfahrung sichtlich nervös gab Beth Gibbons, einstige Portishead-Sängerin, alles – zusammen mit einer Band, die von absoluter Reduktion bis hin zu pinkfloyd´schem Bombast der extremen Ausdrucksbandbreite ihrer Frontfrau gerecht wurde.
Zerbrechlich und lasziv, irgendwann das Publikum um eine Zigarette bittend, durchlebte und durchlitt Beth Gibbons (siehe unser Foto: Pieper) den ganzen verstörenden Gefühls-Ozean, den die melancholischen Songs ihres vielumjubelten Albums „Out of Season“ in entsprechenden Momenten frei setzen können. Im Zentrum des Traumzeitfestivals stand Jazz, großer Jazz. Akustisch unsterblich machte ihn der WDR, der alles, was in dieser Region diesseits der Rheingrenze erklingt (wie war das noch mit dem Rhein als Deutschlands Fluss, nicht Deutschlands Grenze?) aufzeichnet, um es später in Bild und Ton zu senden. Rebekka Bakken vereinte ihr nordisches Timbre mit dem temperamentvollen Klavierjazz der Berlinerin Julia Hülsmann – eine Konstellation, die sich wirklich nicht vor einer noch so übermächtigen Konkurrenz, etwa aus den Staaten, verstecken braucht. Herbie Hancocks Band setzte auf etwas unterkühlt wirkendes und respektvoll mit der Tradition verfahrendes, zeitloses Vokabular, das in einer weitgespannten suitenartigen Komposition seinen mitreißenden Höhepunkt fand. Sein eigenes, vor reifster Klangkultur sprühendes Spiel vereinte sich ständig aufs Neue mit den sinnlichen Läufen von Bobby Hutcherson am Vibraphon – alles lebte in vollendeter Mechanik mit der Schlagzeugerin Terry Lynn Carrington als rhythmischem Fludium. Aufregender, weil mit weitaus mehr forschenden Geist, agierte in Duisburg ein anderer ehemaliger Mitstreiter aus dem „ewigen“ zweiten Miles-Davis Quintett. Wayne Shorter zollte dessen zukunftsweisendem Geist einen vor Kreativität sprühenden Tribut aus dem Hier und Jetzt. Wo Hancocks Band eine abgeklärte Perfektion fast schon monumentalisierte, da öffnete Shorter mit ebensolchem Reife-Kapital den Vorhang ganz weit für überraschende Interaktionen. Gratwanderungen am Rande von Kollektivimprovisation verlangten dem Zuhörer einiges ab, um alle Momente purer Faszination mitzubekommen: Etwa, wenn sich Shorters zuweilen regelrecht impressionistisch anmutetender Sound mit dem unterschwellig karibischen, exzentrischen Spielfluss von Pianist Danilo Perez vermengte oder wenn John Pattituccis machtvolle und rhythmisch verblüffende Bassfiguren zum Eintauchen in verquere Höllen-Grooves herausforderten. Stefan Pieper |
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