 |
 |
 |
|
Jazzzeitung
2003/04 ::: seite 20
education
|
|
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
 |
Inhalt 2003/04
STANDARDS
Editorial / News
/ break
musiker-abc: John McLaughlin
all that jazz: Leere, Stille, Rauschen
no chaser: Die Elektrik-Gitarre
Farewell. Abschied von einem Querkopf: Ruby Braff
TITEL
Die neue Bescheidenheit
Der Posaunist Nils Wogram im Bayerischen Hof
BERICHTE
Berlin. Michael
Werthmüller initiiert übergreifende
Konzertreihe
Gelting. Das Philipp Weiss Quartett
Leipzig. Festival „Strings
Of Fire“
PREVIEW
Internationales Dixieland Festival Dresden, Teil
1: Gegenwart – Vergangenheit
Crème de la Crème der Jazz-Szene
Internationale Jazzwoche Burghausen
JAZZ
HEUTE
Internationaler Szene-Treff
Die Münchner Unterfahrt feiert 25-jähriges Jubiläum
Sorge und Ohnmacht
Die Berliner Künstlerförderung
hat sich seit 1990 halbiert
Leserbrief
Zum break 3-03
PORTRAIT
/ INTERVIEW
Die Lorelei und der Fujiyama
Aya Murodate & Walter Langs „Lotus
Blossom“
Offen für alles und starken Kaffee
Jazz als Basis für musikalische Ausflüge
mit Leni Stern
Höhenflüge, erdige Grooves
Der „Little Giant“ Johnny
Griffin
Nachdenklicher Improvisator
Jasper van’t Hof
PLAY BACK
/ MEDIEN
Geballte kreative Energie
Atlantic und Warner öffnen
ihre Archive
CD. CD-Rezensionen
2003/04
Bücher. Neue
Bücher über André Previn
und Sonny Rollins
Bücher. Thelonious Monk und der Free Jazz
Noten. Noten für
alle, die ihre Technik verbessern wollen
Instrumente. Verstärker-Reihe:
Dyna Touch Plus
DVD. Nils Petter Molvær
in einem DVD-Portrait
Internet. Link-Tipps
EDUCATION
Abgehört 14. Lester
Youngs Version von George Gershwins „I
Got Rhythm“
Willkommen und Ankunft
Junge Jazzer finden optimale Bedingungen in Weimar
Studieren
Infos, Fortbildungen etc.
DOSSIER
Take Jazz to a new Place
NuJazz zwischen Dancefloor und Fusion
Ein Hoch auf den Human Groove
Die Leipziger Band
tripol im Gespräch
Jazz ist eine filigrane Welt
Star-Trompeter Till
Brönner in einem Interview zum Thema NuJazz
Zwischen retro und future
Ausgewählte NuJazz-Platten im Überblick
SERVICE
Critics Choice
Service-Pack 2003/04 als pdf-Datei
(kurz, aber wichtig; Clubadressen, Kalender, Jazz in Radio & TV,
Jazz in Bayern und anderswo (429 kb))
|
 |
 |
 |
 |
|
Wie Fort Knox prangt das „hochschulzentrum am horn“ als zweiflügeliger
Symmetriebau überm Carl-Alexander-Platz. Oder über der Stadt
wie Kafkas Schloss. Den Platz dominieren Container und Bauzäune,
den Bau dominiert die Gediegenheit des Unumstößlichen, dem
man die ehemalige Russenkaserne nicht im Entferntesten mehr ansieht.
Umbau Ost in der Nussschale. Alles bleibt anders. Ganz besonders in Weimar,
Deutschlands kulturgesättigtester Provinz im tiefsten Thüringen.
Kulturhauptstadt zwischen Klassik und Bauhaus, zwischen Nietzsche und
Liszt, nationalem Theater und nationalsozialistischer Schuld. Nest und
Pilgerziel. Ort des Erinnerns und des Bewahrens. Woher? Wohin? Nirgends
sind die Fragen so sinnfällig gebündelt wie hier. Weimar
ist ein problematischer Standort. Weimar ist das, was man daraus macht.
Franz Liszt zum Beispiel hatte einst die Idee einer Schule, die über
das Gesicherte hinausweisen sollte. Später ist der Gedanke unter
seinem Namen umgesetzt worden. Die Hochschule für Musik steht stolz
und barock im Zentrum und wirft ein tönendes Netzwerk über
die Stadt. Zum Zentrum am Horn etwa, wo das Institut für Jazz sitzt.
Oder sollte man sagen: Residiert? Man sollte, denn hier wird unter nahezu
optimalen Bedingungen der Jazz gelehrt.
Ungefähr ein Dutzend vergleichbarer Schulen gibt es in Deutschland.
Weimar wird einem in diesem Kontext nicht sofort einfallen, weil der
Jazz die Musik der Metropolen ist. Doch Weimar leistet Erstaunliches
und verfügt über die bis in DDR-Zeiten reichende Tradition
einer „Tanz- und Unterhaltungsmusikabteilung“. Hier kann
ein Jazz-Diplom erworben werden unter der Anleitung einer hoch motivierten
und dauerhaft ein ästhetisches Konzept verfolgenden Ausbildungsmannschaft,
der Kontinuität wichtiger ist als ein kurzfristiger, mehr das eigene
Finanzloch stopfender Lehrauftrag.
Manfred Bründl ist Bassist. Bassisten geben dem Jazz seinen tieferen
Grund. Bründl fühlt sich wohl in Weimar. Er leitet das Institut
und ist seit 1996 mit Frau und Kindern hier. Er verwendet die Vokabel „Erfolgsstory“,
wenn er durch seine Räume führt, und man glaubt es ihm. Sicher
ist es ein Standortnachteil, dass kein Rundfunksender hier ein Orchester
unterhält. Doch dann zählt er auf, was auf der Habenseite steht.
Ein erstklassiges Tonstudio, wunderbare Probenräume, alle ausgestattet
mit Drumset und Flügel, Ruhe und Beschaulichkeit in einem modernen
Haus, ungefähr 60 Studierende, die sich gegenseitig in einer Bigband
und wechselnden Kleinformationen ergänzen, die sich aneinander reiben
und vieles ausprobieren können, Diplom- und Vordiplomkonzerte stoßen
auf zunehmendes Interesse in den Clubs der Stadt, regelmäßige
Masterclasses zogen schon Albert Mangelsdorff, Aldo Romano oder Klaus
König hierher.
Ungefähr 16 Mal ist Manfred Bründl bereits umgezogen. Wenn
er von seinem Institut erzählt, versteht man, warum er in Thüringen
bleiben wird. An der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst
in Graz hat er studiert. Auf großen internationalen Festivals ist
er aufgetreten. Mit Tomasz Stanko, Heinz Sauer, Barry Altschul oder Zach
Danziger hat er aufgenommen. Er war Dozent an der Universität Mainz
und für das Goethe-Institut in Asien, Afrika, Amerika und Kanada
unterwegs. Jetzt sieht es ganz so aus, als wäre er angekommen. Angekommen
in einem Dozententeam, mit dem er etwas bewegt, mit dem Schlagzeuger
Jo Thönes, dem Posaunisten Ansgar Striepens, den Sängern Michael
Schiefel und Jeff Cascaro, dem Saxophonisten Wolfgang Bleibel, dem Pianisten
Leonid Chizhik, dem Trompeter G. Bernhard F. Mergner, dem Gitarristen
Frank Möbus, Wieland Reissmann (Jazztheorie) und Herbert Lindenberger
(Jazzgeschichte). Manfred Bründl ist angekommen bei einer pädagogischen
Aufgabe, die die Anstrengungen lohnt. Er redet davon, dass hier zwischen
Schülern und Lehrern ein offenes Geben und Nehmen herrscht, dass
die Älteren Erfahrungen bis hin zur Vertragsgestaltung, zu GEMA
und KSK weitergeben. Er redet von einer geplanten Vernetzung mit europäischen
Jazzschulen und von der Vorbereitung auf das Überleben auf einem
engen Markt, von Erziehung zur Selbständigkeit und geförderter
Individualität. Er redet von interaktivem, eigenschöpferischem
Arbeiten, von Beraten vor Dozieren, von der Suche nach dem eigenen Ton
für das Leben nach Fort Knox.
Bründl ist inzwischen im Landesmusikrat Vorsitzender des Ausschusses
Jazz, und in diesem Zusammenhang spricht er gerne davon, wie sein Institut
mittlerweile über Weimar hinaus im Land Thüringen Fährten
legt.
Auf der Jazzmeile zum Beispiel oder wenn zum Diplomkonzert des hauseigenen
Martin Greule Trios das Studiotheater Belvedere voll ist. Bassist Matthias
Eichhorn etwa war Preisträger bei Jugend jazzt und ist am Institut
tüchtig vorangekommen. Das ist Kontinuität, wie Bründl
sie sich wünscht. Dozenten haben Katalysatoren im Prozess der Selbstentfaltung
zu sein, Stichwortgeber und Ideenlieferanten. Und wo bleibt der Musiker
Manfred Bründl? Das eigene Quartett mit Hugo Read, Achim Kaufmann
und Jo Thönes ist wieder belebt als eigenständige Formation
und ergänzt um vier Streicher aus der Staatskapelle Weimar zum „Composers
Orchestra“. Das schlägt mit Eigenkompositionen der Beteiligten
eine Brücke zur Klassik und passt damit wie selbstverständlich
ins Weimar dieser Tage: Willkommen und Ankunft. Ulrich Steinmetzger
(Informationen: Telefon 03643-555186, www.hfm-weimar.de)
|