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Just do it! Warum nicht über größere Einwände einfach hinweg gehen. Im Dezember kündigte Michael Werthmüller, Schweizer Schlagzeuger wohnhaft in Berlin, via Radio seine neue Konzertreihe im Prenzlauer Berg an. Ausgerechnet dem Leiter der größten deutschen Jazzabteilung Universal, Christian Kellersmann, fuhr er in einer hitzigen Diskussion im Berliner Salon des SFB über den Mund: „Es geht nicht immer nur um Business. Ich mache überhaupt keinen Business mit meinem Scheiß!“ (So viel zu den sieben verboten Wörtern im Radio). Immerhin ließ Werthmüller jedoch Taten folgen. Bei einem Ortstermin im Cafe Uebereck durfte sich die Jazzzeitung einen Eindruck von der vitalen Gegenkultur machen.
Allein dieses Wort: Gegenkultur. Irgendwie doof. Wogegen? „Ich habe für meinen Geschmack die coolsten und besten Jazzer, die ich kenne und die mich interessieren, angefragt. Die spielen da jeden Montag“, erzählt Michael Werthmüller dem Journalisten Wolf Kampmann. Nein, vital sei man, aber nicht gegen, sondern für etwas. „Ich habe von den Musikern gesprochen, die wirklich wollen“. Vor Ort lässt sich Werthmüller geduldig Nachfragen zum Radio-Gespräch gefallen. Dann fällt ständig die Phrase „mir doch egal“. Was die Radiohörer denken? Ob Christian Kellersmann seinen Einwand verstanden hat? Ob die Musiker sich durch ökonomische Zwänge hier oder dorthin entwickeln? „Es ist mir egal!“ Zitat Ende, abschweifender Blick, nächste Frage bitte. Die Komik liegt in der Situation. Michael Werthmüller eignet sich tatsächlich nicht zum Marsch durch die Institutionen. Werthmüller will die Gunst der Stunde nutzen und Fakten schaffen. Dieser Teil des SFB-Gesprächs war sein eigentlich starker Beitrag, der leider durch den flapsigen Gesamtauftritt und im Zusammenprall der Attitüden beinahe verloren ging: „Ich habe immer Jazz gespielt, aber Berlin ist für mich als Jazzstadt überhaupt nicht spannend. In meiner Begrifflichkeit von Musik geht es überhaupt nicht mehr um Jazz, da ist alles aufgelöst. Mir ist egal ob das jetzt Jazz ist oder Neue Musik. Da geht was weiter in Berlin, habe ich das Gefühl. Ich bin viel mehr in dieser komponierenden Musikszene, wo aber die wirklich guten Jazzer heute auch drinstecken. Deshalb finde ich Berlin interessant, weil dort die Neue Musik zusammenkommt mit Leuten, die etwas vom Jazz verstehen und sich nicht mehr auf Standards berufen.“ Das Glück will es so: Michael Werthmüller begegnet in dem Szenelokal Uebereck den Wirten Stefan Döring und Antoine, die sich für eine freche Musikreihe jenseits der Genres und mit hohem künstlerischen Anspruch interessieren. Imke Elliesen-Kliefoth, diplomierte Philosophie-Studentin, nutzt das Angebot des Sozialamts „Stelle statt Stütze“ und übernimmt hauptberuflich die Betreuung der Serie „Montagskonzert im Uebereck“. Befreundete Jazz- und Neu-Musik-Projekte stellen Ihr wertvolle PR-Verteiler zur Verfügung. Schon nach wenigen Wochen kann sich Elliesen-Kliefoth vor Musiker-Anfragen nicht mehr retten. Bleibt nur noch die Frage nach dem Publikum. Die Ortsbesichtigung zeigt eine großräumige Kiezkneipe, in der sich Berufsjugendliche stapeln, um auf das verrückte Konzert von Annette Krebs und Sven-Ake Johansson zu warten. Viele Anwesende scheinen gute Klamottenläden zu kennen und Frauen stellen auf der Bühne und im Publikum die Hälfte der Beteiligten. Ist es Popmusik? Johansson kratzt mit zwei Kakaobüchsendeckeln auf der Schiefertafel des Tagesmenüs, während Krebs die Gitarrenseiten mit einem Stahlschwamm zum Vibrieren bringt. Dies ist eindeutig keine Konsensmusik, eher etwas für Insider und für Menschen, die sich weit aus ihren regulären Hörgewohnheiten verabschieden wollen. Wenn Sie die Szene suchen, die Felix Klopotek in seiner Neuerscheinung „How they do it“ beschreibt, hier finden Sie sie. Al Weckert |
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