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Der Bass ist ein pumpender, das Schlagzeug ein gedroschenes und das Saxophon ein röhrendes. Man kennt die Phrasen und Formeln, mit denen Musikkritiker versuchen, der Musik sprachlich Herr zu werden. Man ärgert sich über Verrisse und unangebrachte Lobhudeleien (oder lässt sich, ist man selber Objekt der Beschreibung, auch schon mal von ihnen schmeicheln). Eine Veranstaltungsreihe der Musikhochschule Luzern, Fakultät III, versuchte das Verhältnis zwischen Musik und Kritik, wenn nicht zu verbessern, so doch ein wenig zu klären. An fünf Abenden mit Podien, Referaten und Lesungen traten zwischen dem 10. und 14. Dezember namhafte Musiker und Kritiker aus Jazz, Klassik und Pop auf. Und man begegnete außerordentlichen Kritiken und historischen Fehlurteilen. Es wurden Fragen besprochen wie: Wozu braucht es Musikkritik? Gibt es Objektivität? Was macht eine gute Kritik aus und muss sie wirklich konstruktiv sein? Und nicht zuletzt: Wie können sich Musiker und Kritiker besser verstehen? Für die Jazzzeitung berichtet Pirmin Bossart aus Luzern. In der Jazzkritik wird zunehmend propagiert, statt analysiert und kritisch hinterfragt. Zu diesem Schluss kam der deutsche Jazzpublizist Peter Niklas Wilson anlässlich der Studienwoche Musikkritik an der Jazz-Fakultät der Musikhochschule Luzern. Prominente Referenten brachten Anregungen, Studierende diskutierten rege. Eine inspirierende Woche zu einem unerschöpflichen Thema. In seinem provokanten Thesen-Referat zum Stand der Jazzkritik im deutschsprachigen Raum konstatierte Wilson, dass sowohl in der Fachpresse wie in Tageszeitungen ernst zu nehmende und kritische Beiträge über den Jazz immer mehr von Fanprosa und kaum verhüllten PR-Mitteilungen abgelöst würden. Musikalisch-fachlich wie sprachlich sei Dilettantismus verbreitet. Jazzkritiker sind vielfach noch für Plattenfirmen, Konzertagenturen und als Veranstalter tätig, was unweigerlich zu Interessenkonflikten und falschen Rücksichtnahmen führt. Schönes HobbyAls ein Hauptgrund für die mangelnde Professionalität der Jazzkritik nannte Peter Niklas Wilson die dramatische Unterbezahlung der Beiträge, namentlich in Jazzmagazinen. Solche wirtschaftlichen Hintergründe machten die Auseinandersetzung mit Jazz zwangsläufig zu einem schönen Hobby. Anders in den USA, wo Wilson einen professionellen Mindeststandard mit sprachlicher Qualität und guter Repertoire-Kenntnis der Kritiker beobachtet.
Wilson stellt fest, dass das redaktionelle Profil der Jazzzeitschriften vorzugsweise durch den Veröffentlichungskalender der großen Plattenfirmen bestimmt wird. Erscheint zum Beispiel eine neue CD von Diana Krall, gibt es eine aufwändige Titelstory. Aber eine Debatte über die künstlerische Qualität wird kaum geliefert. Artikel über Künstler hingegen, die nicht bei großen Labels unter Vertrag stehen würden, kämen praktisch nicht mehr vor. Die Fixierung auf die Plattenindustrie bringe auch die klassische Konzertkritik immer mehr zum Verschwinden. Mozart und MadonnaEinen Hauptgrund für das gewandelte Verhältnis zum Jazz in den Feuilletons der Tageszeitungen sichtet Wilson im erweiterten Kulturbegriff, der dort Einzug gehalten habe. Heute falle Jazz immer mehr zwischen Stuhl und Bank, zwischen Kunstmusikkritik und Popkritik, zwischen Bayreuth und Björk, zwischen Mozart und Madonna. Auch im Radio stellt Wilson eine tendenzielle Verflachung hin zum moderierten Plattenauflegen fest. Propagieren statt kritisieren lautet die Devise. Aufwändig recherchierte Features und gehaltvolle Sendereihen zum Jazz, die früher oft die Basis für Bücher waren, seien kaum mehr realisierbar. SpektakelDie persönliche Relativierung von Peter Niklas Wilson, dass einige seiner Thesen auf grundsätzlichen strukturellen Problemen beruhen dürften, bestätigte der DRS 2-Literaturredakteur Hardy Ruoss einen Tag später in seinem Referat. In der Vermittlung der Literatur sei nicht mehr die analytisch-kritische Vermittlung eines Buches gefragt, sondern dessen marktgerechte Inszenierung. Ziel der Kulturindustrie ist nicht das Werturteil, sondern der effiziente Auftritt und die spektakuläre Vermarktung. Die anstrengende, zeitaufwändige und auf intellektueller Arbeit beruhende Literaturkritik beziehungsweise Musikkritik lohne sich angesichts der neuen Prämissen kaum mehr. Die wichtigste Aufgabe des Kritikers ist für Hardy Ruoss das Vermitteln. Eine Kritik müsse transparent und nachvollziehbar sein. Kritiker liefern eine erste Lesart, eine erste Hörart. Sie schlagen eine Brücke. Angesichts der Schnelligkeit und der Wucht des Kulturbetriebes seien die Konsumenten zunehmend überfordert. Deswegen suchen sie das Heil bei den zehn Geboten: Du sollst das und das hören oder lesen. Doch mit der rein sensationsgeilen Auseinandersetzung würden die Leser beziehungsweise die Hörer entwürdigt. Die Tatsache, dass es im Spektrum zwischen Gelingen und Misslingen viele Nuancen gebe, gehe verloren. PrimärerlebnisRuoss fordert von der Kritik, dass sie sagt, was sie meint und auch vor negativen Urteilen nicht zurückschreckt. Das bedinge ein Existenzminimum an Anstand und Umgangsformen. Die Kritik soll ihr Urteil deutlich sagen, aber auch bestimmt durch die Höflichkeit der Leidenschaft; wie Ruoss eine Devise des Zürcher Publizisten Werner Weber zitierte. Auch vor pathologischer Eitelkeit warnte Ruoss. Je gockelhafter die Kritiker sind, desto weniger trauen sich die Leser und Hörer das eigene Urteil zu. Dabei hätten sie es durchaus in der Hand, sich selber einzulassen auf das Primärerlebnis. Ruoss forderte die Studierenden der Jazz-Fakultät auf, sich von der Kritik nicht beirren zu lassen. Das Primärerlebnis, wie ihr es liefert, ist immer noch das primäre. Genau übersetzenIm Gespräch, das jazznmore-Redakteur Johannes Anders mit der Saxophonistin Co Streiff und dem Pianisten Hans Feigenwinter führte, erfuhr das Publikum von den Musikern, welche Ansprüche sie an eine Musikkritik stellen. Umgekehrt hörten die Musiker, wie die Auswahl von Beiträgen in einer Redaktion funktioniert und wie die Jazzkritik je nach Dienstredakteur mehr oder weniger gewichtet wird. Anders: Für viele Kulturredakteure ist Jazz noch immer eine Minderheitenmusik.
Für Feigenwinter muss eine Kritik den Anspruch haben, die Musik sehr genau zu erfassen und diese in eine Sprache zu übersetzen, die der Leser verstehen kann. Zu oft werde auch unter Musikern in Geheimsprachen geredet, um sich in Szenen abzuschotten. Das müsse der Musikkritiker knacken. Zudem: Ob musikalisch etwas Komplexes brillant ausgeführt wird, ist sekundär. Die Kritik müsste darüber hinaus sagen, ob die Musik auch überzeugt, ob sie einen berührt hat. Co Streiff interessiert nicht in erster Linie, ob ein Konzert gut oder nicht gut war. Sie möchte lieber eine möglichst genaue Beschreibung der Musik, so dass ich hören kann, wie sie geklungen hat. Sowohl Streiff wie Feigenwinter glauben, dass das Niveau der Kritiken in der Schweizer Presselandschaft oft zu tief angesetzt und das Publikum unterschätzt werde. Oft hätten sie gerne anspruchsvollere Texte. Respekt ist wichtig
Für Feigenwinter besteht die Herausforderung einer guten Kritik darin, dass sie möglichst differenziert übersetzt und dennoch verständlich bleibt. Der Verbalist muss intuitiv sehr viel von Musik verstehen. Er wundere sich, dass Kritiker oft bloß die mitgelieferten Waschzettel abschrieben, statt sich selber Gedanken über die Musik zu machen. Es darf nicht am Geschick eines Musikers liegen, der den PR-Text verfasst, wie die Kritik am Ende heraus kommt. Respekt ist für Co Streiff eine der wichtigsten Voraussetzungen eines Kritikers. Ich muss nicht lesen, wie ein Musiker ausgesehen hat und wie er dastand. Das hat nichts mit der Musik zu tun. Hier beginnt der Machtmissbrauch. Solche Beschreibungen von Äußerlichkeiten scheinen die Musikerinnen und Musiker generell nicht sehr zu schätzen, wie die Diskussionen während der Kritikwoche verschiedentlich deutlich machten. Ernüchterte MusikerVon jetzt an kann es mir egal sein, was die Kritiker zu meinen Konzerten absondern, hielt eine Jazzstudentin ernüchtert fest, nachdem sie fast zwei Stunden lang der Podiumsdiskussion zugehört hatte. Auch ihre Kollegin war zutiefst enttäuscht. So belanglos und hämisch hatten sich die beiden die Gesprächsrunde der Herren der Kritik nicht vorgestellt. Leichte Schadenfreude war zu spüren. Wenn diese so schlechte Performer sind, warum sollen wir uns dann über ihre Ergüsse ärgern? Sie sollten sich besser einmal überlegen, was für eine Macht sie haben.
Abgesehen davon, dass letztere Frage kaum erörtert wurde, stand die sprachliche Raffinesse vieler Musikkritiken tatsächlich in keinem Verhältnis zum Geplauder der schreibenden Subjekte, die sich am Montagabend in der Jazzkantine zu einem Podiumsgespräch trafen. Da saßen sie nun, die üblen Subjekte (Peter Bitterli, Journalist Radio DRS 2, WoZ), und versuchten, auf die umfassend arrangierten Fragestellungen von Moderator Christoph Merki (Musiker und Journalist) nach einer klugen Antwort zu stochern. Sprache
Um doch noch etwas zum Thema zu kommen: Wann sind Kritiker mit einer Kritik zufrieden? Wenn sie sprachlich gut gefasst ist und mir die passenden Metaphern und rhythmischen Formulierungen in den Sinn gekommen sind, sagte Ueli Bernays (Pop-/Jazz-Redakteur NZZ). Wenn sich im Text eine Dynamik entwickelt, die mit dem Gehörten vergleichbar wird, sagte Weltwoche-Jazz-Kolumnist Peter Rüedi. Wenn sie nicht langweilig ist, sagte Peter Bitterli. Eine gute Sprache ist für alle drei jener Parameter, der die Qualität einer Musikkritik am meisten prägt. Für alle drei ist auch klar, dass bei einer Musikkritik neben gewissen objektiven Teilen der subjektive Anteil groß ist. Wenn er mit seinen Jazz-Texten schon jemanden in Bewegung bringen wolle, dann möchte er auch Leidenschaftlichkeit einbringen, sagte Rüedi. Bitterli sieht den Kritiker als Teil eines Systems, zu dem auch das Kunstwerk und das Publikum gehören. Alle drei hätten teil am gleichen geistigen Raum. Als Kritiker versuche er, das Erfahrene weiter zu treiben, weiter zu denken, um vielleicht damit dem Publikum einen Kick oder eine zusätzliche Krücke zu geben. UrteileIm Urteil möglichst objektiv, in der Sprache möglichst subjektiv, lautet eine Devise, mit der Ueli Bernays eine Messlatte setzt. Gegenüber den Musikern seien es Kritiker schuldig, auch objektive Gesichtspunkte einzubringen. Andererseits bestehe die Gefahr, dass bei zu viel Analyse eine Kritik langweilig werde. Als Leser habe er gerne eine persönliche Meinung in den Texten, aber als Kritiker tue ich mich oft schwer damit. Trotzdem dürften sich Kritiker nicht um Urteile drücken. Bernays war in dieser Runde der Einzige, der bei seinen wenigen Statements irgendwie ehrlich von sich redete.
Von Peter Rüedi war zur Befindlichkeit des Musikkritikers insofern nichts wirklich Schlagendes zu erfahren, als er in der privilegierten Rolle des wöchentlichen Kolumnisten den Alltagskram der Konzertkritik nur noch vom Lesen kennt. Dafür gab er einige schöne Einblicke in den Arbeitsprozess. Wenn er schreibe, sei das in der Art der écriture automatique. Es ist auch nicht so, dass ich eine Meinung habe, bevor ich schreibe, und diese dann bloss noch abfülle. Als Grund des Schreibens über Musik nannte Rüedi die Erfahrung eines Mangels. VermittlerRüedi wie Bitterli verstehen sich als Vermittler und nicht als Musikkritiker. Musikkritiker seien für ihn die Maden im Speck des Betriebes, die sich vornehmlich von vielen Gratisplatten und den besten Gratisplätzen im Konzertsaal ernährten, meinte Bitterli lakonisch. Rüedi möchte mit seinen CD-Kolumnen auch jene Leute ansprechen, die nicht sehr viel mit improvisierter Musik anfangen können. Deswegen auch die oft langen Anflugschneisen (Christoph Merki) seiner Texte, in denen der sprachlich elegant formulierende Querdenker durch die Künste tatsächlich mehr Interessierte erreicht, als nur einen Insiderkreis. Die Podiumsdiskussion wurde umrahmt von Texten über Musik aus verschiedenen Jahrhunderten, die Severin Perrig mit passendem Duktus vorlas. Fredy Studer spielte zweimal ein kurzes Set auf dem Schlagzeug. Wären sie Kritiker, sie könnten mit ihrem Text zufrieden sein. Die Kritiker aber, die einmal selber auf der Bühne waren, müssten noch einmal üben. Pirmin Bossart |
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