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Der Turm Jazzclub in der Moritzburg Halle hat in der Sonntagnacht zum 29. April die Sommersaison eingeläutet. Viel Schweiß ist geflossen und die Stimmung war ausgelassen bei Deutschlands skurrilster Kapelle, die in Fußball-Team-Größe und mannschaftlicher Geschlossenheit ihr sehr reichlich erschienenes Publikum in Bewegung versetzte. Mardi Gras.BB aus Mannheim sind mit einer neuen CD auf Tour. Ganz klar, dass viele kamen, um die teutonischen Adaptionen des Karnevals zu New Orleans zu feiern. Der Einmarsch der Improvisatoren mitten durchs Auditorium führt die Karawane hautnah vor, schließlich ist das Instrumentarium so gewählt, dass bei seiner Bedienung tapfer ausgeschritten werden kann. Gut 20 Minuten verfliegen so, dann fusioniert man auf der Bühne mit DJ Mahmut aus Istanbul und Doktor Jochen Wenz, dem Mann, auf den ihr wartet. So präsentiert Uli Krug den Brüdern und Schwestern einen gelernten Hautarzt, der die Gemeinde zu Freundinnen und Freunden erhöht, bevor er als Mischung aus Tom Waits und Oblomov mit Rumbakugeln, Bluesharp und Gesang das Szenario bestimmt. Bisher hat jedes neue Lebenszeichen der Band an einem anderen als dem erwarteten Punkt angesetzt. Auf Zen Rodeo (Universal Jazz 159 452-2), dem dritten Opus, hat dieses sehr andere Orchester aus Jazzland abgelegt, um im Pop-Imperium Anker zu werfen. Die namengebenden Marching Bands aus dem Mississippi-Delta grundieren nach wie vor das Bild. Weiterhin schwebt der weiße Sousaphon-Trichter des Uli Krug über den Wogen. Nicht zufällig erinnert sein Instrument an einen Grammophon-Trichter. Nostalgie aber ist nur der eine Teil des Programms. Diesmal legen die Chefideologen Country, Rock, Cha-Cha der vertrackten Art und Schunkel-Trash darüber, bringen den ganzen Stoff in höchst vergnügliche Schieflage und die Beine des Zuhörers zum Zucken. Zeremonienmeister Doc Wenz greift sogar in die Gitarrensaiten. Dazu knarzt es von Desperados, die es hinter die Schusslinie drängt, von Countrymusik-Liebhabern der komplizierten Art oder von Kung-Fu-Fightern. Und bald spielt es keine Rolle mehr, ob das Rohmaterial von den Residents, Blood, Sweat & Tears, den Südwestdeutschen selbst oder aus Hitparaden verflossener Zeiten stammt. Drei gute Stunden gepflegter Tanzmusik mit tollen Instrumentalisten vor oder mitten in einem verzückten Publikum. Die nationale Szene hat einen Höhepunkt, den sie der Welt zeigt. Mardi Gras.BB sind nicht unbedingt die Erfinder eines neuen Genres. Aber wenn später die Popmusik für Erwachsene erklärt werden muss, wird man die Mannheimer Bande nennen. Zum Beispiel der aberwitzigen Instrumentierung wegen: Drums und Brass. Oder weil sie ein in Jahrzehnten aufgelaufenes Kulturgut nicht mehr nur reproduzieren, sondern es so kräftig umwenden und durchschütteln, dass etwas Neues entsteht. Vom Spaß in der Spaßgesellschaft wird dann die Rede sein und von Ironie bis hin zum Sarkasmus. Die Karawane zieht weiter. In Frankreich ist sie schon in den Charts angekommen. Die nächsten Termine des halleschen Jazzclubs sind mittlerweile offiziell (www.turm-net.de). Im August, wenn es auch draußen Sommer sein wird, gastieren de Phazz, Andreas Vollenweider, Groove Galaxi und Till Brönner. Ulrich Steinmetzger |
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