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Wer schon vorher wissen will, ob er sich auf eine weitere Groove-Orgie oder eine zum Dahinschmelzen-schöne Ballade einzustellen hatte, musste nur auf Joey DeFrancescos Kaugummi achten. Blieb er im Mund, dann ging es im Nightclub des Bayerischen Hofs (am 16. April) flott, unbarmherzig groovy und mit einer geradezu höllischen Intensität weiter. Wenn der neue Großmeister der Hammond B3 hingegen seinen Kaugummi mit den Worten I ve got to get rid of this gum entfernte, stand eine zum Dahinschmelzen-schöne Ballade an. Joey DeFrancesco eben noch ein Groovemonster mit verzerrtem Gesicht und wild herumstrampelnden Beinen verwandelte sich in einen sanften Crooner. Und ganz gleich ob er In The Wee Small Hours Of The Morning oder You Go To My Head zum Besten gab und sich mit dem zarten Schmelz begleitete, zu dem auch eine Hammond-Orgel fähig ist nach Sängern, die beide Standards so unvergesslich und intoxicating interpretieren wie Joey DeFrancesco wird man lange suchen müssen. Erst recht nach Organisten, die so virtuos Hammond spielen und zugleich wie der reinkarnierte Frankie Boy klingen. Der 32-jährige Joey DeFrancesco ist ein Schwergewicht optisch wie musikalisch. Dass es in den späten 80er-Jahren in den USA und überall dort, wo Jazz gespielt wird, zu einer wahren Renaissance der Hammond-Orgel im Jazz gekommen ist, ist auch sein Verdienst. Vom Vater, einem Multi-Instrumentalisten mit Hammond-Abhängigkeit, wurde er schon als Sechsjähriger an die Orgel gesetzt. Auch sonst deuteten alle Zeichen auf Hammond: Die Jugend in Philadelphia, das nicht nur City of Brotherly Love, sondern auch die Hammond-trächtigste Stadt weltweit ist. Trudy Pitts, Shirley Scott, Don Patterson, Groove Holmes oder Jimmy McGriff sie alle und noch ein paar andere Hammond-Künstler kommen aus Philadelphia. Und manch einer McGriff, Charles Earland, Mel Rhyne oder Hank Marr packten ihre schon längst pensionierte Hammond wieder aus, nachdem Joey DeFrancesco mit 16 oder 17 Jahren als das Hammond-Wunderkind eingeschlagen und die eingeschlafene Orgel-Szene aus dem Dornröschenschlaf geweckt hatte. Mit Anfang 30 beherrscht Joey DeFrancesco mit einer Virtuosität, die an Art Tatum erinnert, das gesamte Vokabular der Hammond von Jimmy Smith über Larry Young bis hin zu Altmeistern aus der grauen Vorzeit der Jazzorgel wie Milt Buckner , die heute kaum einer mehr kennt. In den Händen von Joey DeFrancesco verwandelt sich die Orgel in ein Alles-Könner-Instrument, das bluesig auffaucht, über modale Flächen dahingleitet (Schlussvamp zu Fly Me To The Moon) oder hart an der Grenze zu loungigen Easy-Listening-Sounds vor sich hin swingt. Beeindruckend ist vor allem DeFrancescos Steigerungsfähigkeit: Immer dann, wenn man glaubte, der Siedepunkt seiner Soli sei bereits erreicht, steigerte er die Intensität ein weiteres Mal. Dass es leichteres gibt, als nach Joey DeFrancesco solieren zu dürfen oder zu müssen, wurde auch beim Konzert im Bayerischen Hof deutlich. Craig Ebner, ein guter Gitarrist aus der Grant Green- und Wes Montgomery-Ecke, nahm es gelassen, dass er an Joey DeFrancescos Intensität nicht herankam. Oder in den Worten Helmut Kagerers, selbst ein versierter Gitarrist in Sachen Hammond-Trio: Was soll man nach Joey DeFrancesco noch spielen? Das ist ja wie eine ,gmaahte Wiesn. Ebner konnte vor allem in mittleren (J. Mercers Im An Old Cowhand) und langsamen Tempi überzeugen, etwa wenn er Joey DeFrancescos Stimme bei Balladen mit geschmackvollen Einwürfen umspielte. Am Drumset erwies sich Byron Landham Joey DeFrancescos langjähriger Begleiter als ein profunder Orgelschlagzeuger, der im Zusammenspiel mit Ebner und DeFrancesco immer wieder für risikofreudige, überraschende Einwürfe und plötzliche Rhythmuswechsel (The Way You Look Tonight) sorgte. Ein beeindruckendes, packendes, mitreißendes Konzert. Claus Lochbihler |
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