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Über seine Anfänge, als das Jazzleben im Nachkriegs-Deutschland und speziell in Frankfurt zu toben begann, kann der Tenorsaxofonist Heinz Sauer heute gnädig hinweglächeln. Damals hing er mit den Ohren immer ganz dicht an dem dran, was die großen Stars aus Übersee spielten und versuchte ihnen mehr schlecht als recht nachzueifern. Als er sich dann von den Vorbildern löste und zu sich fand, begann die lange Phase, auf die er heute, kurz vor seinem 80. Geburtstag, zufrieden zurückschauen kann. Foto: Ssirus W. Pakzad Während es hier schon herbstete und langsam ungemütlich wurde, hat sich Heinz Sauer für ein paar Tage von der Sonne Portugals verwöhnen lassen. „Die meisten Urlauber dort waren noch zehn oder zwanzig Jahre jünger als ich“, sagt der Mann, der am kommenden 1. Weihnachtstag einen runden Geburtstag feiert, den 80. „Die Leute kamen mir alle so deppert vor. Es waren viele Rentner dabei, Menschen, die von ihrem Beruf verbraucht und ausgebrannt waren. Plötzlich war für die alles aus. Wie deprimierend. Als Künstler fühle ich mich da schon sehr privilegiert. Die Auseinandersetzung mit Kunst, auch der eigenen, ist wichtig. Hält sie jung? Nun, zumindest hält sie das System in Gang.“ Im Kontakt mit JüngerenDass Heinz Sauer ein Leben lang so frisch geblieben ist, hat nicht nur mit der ihm gegebenen Offenheit oder dem wachen Interesse für alles wirklich Kreative, sondern sicher auch mit seinem Umgang zu tun. Begegnungen und musikalische Beziehungen wie die zu dem 46 Jahre jüngeren Pianisten Michael Wollny halten Heinz Sauers Zellen auf Trab. Gerade erst suchten die beiden Männer ein Gotteshaus in Darmstadt auf, wo sie ihr wirklich umwerfendes Live-Album „Don´t Explain“ (ACT) einspielten. „Ich wurde ja sehr katholisch erzogen – aber davon ist nichts übrig geblieben. Dennoch bin ich immer wieder mit Ehrfurcht erfüllt, wenn ich eine Kirche betrete.“ Unverschämt IntimesDoch Heinz Sauer braucht die Kirche nicht, um unverschämt Intimes auf feuchten Luftsäulen aus dem Trichter des Tenorsaxofons zu schicken, fragile, zarte, brüchige Töne, die unerwartet umschlagen, dann kraftvoll und so emotionsgeladen sind, dass es einem als Zuhörer den Atem verschlägt. Sein, wie man so schön sagt, kongenialer Duo-Partner Michael Wollny meint: „Irgendwo im Raum steckt das Stück Musik und Heinz spielt es nicht einfach, er entdeckt es. Das hat nichts von einer Performance oder einer Show, sondern ist ein echtes Ringen um jeden Ton, ein Verwerfen, Abwägen. Was mich nach wie vor erstaunt, ist, dass Heinz sich dabei keine einzige Bequemlichkeit gönnt – keine Licks, keine Arrangements, kein Abrufen von Parts, die schon einmal funktioniert haben. Wenn ich also ganz emotionslos beschreiben müsste, was ich an Heinz Sauer schätze, dann ist es genau diese Haltung, die man oft auch als kompromisslos oder radikal oder eigensinnig beschrieben hat. Ich würde hinzufügen, dass sie absolut aufrichtig ist.“ Viele Tugenden fanden sich anfangs natürlich noch nicht im Spiel des Autodidakten, der später etwa an der Seite von Albert Mangeldorff zu den Katalysatoren der „Frankfurter Schule“ gehören sollte. Die Main-Metropole war im Nachkriegs-Deutschland das erste Zentrum des Jazz hierzulande und Heinz Sauer stand mittendrin. US-Vorbilder„Wir haben alle die Amerikaner bewundert und wurden zu ihren Epigonen. Ich und viele andere gehörten zu denen, die die US-Vorbilder imitierten. Es war für uns ja auch alles ganz neu. Im Nachhinein fand ich mich wirklich nicht gut damals.“ Nicht nur mit Mangelsdorff, auch im Jazz Ensemble des Hessischen Rundfunks, dem er ab 1960 angehörte, fand Heinz Sauer langsam aber sicher zur eigenen, unverwechselbaren Stimme, in der die Tradition so durchklang wie die Moderne und die Suche nach etwas noch Ungehörtem. Was geht ihm durch den Kopf, wenn er Aufnahmen aus diesen fernen Tagen hört? „Mir fällt auf, wie sehr sich die Zeiten verändert haben. Früher habe ich sehr aggressiv gespielt, wohl auch aus Protest gegen die ältere Generation, in der immer noch viele Nazis zu finden waren. In unserer Haltung steckte damals auch die Absicht, an der Gesellschaft etwas zu verbessern. Und heute? Wogegen soll man noch protestieren und aufbegehren? Es ändert sich doch nichts und wenn, dann zum Schlechteren. Es ist eine depressive Zeit, in der wir leben. Die Aussichtslosigkeit ist ein bisschen größer geworden. Und das hört man der Musik an.“ Vielleicht klingt das, was er spielt, deshalb auch wie die wehmütige Flucht in eine andere Welt, in der man noch Hoffnung haben darf. Text und Foto: Ssirus W. Pakzad CD-Tipp
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