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Nein, Teddy Wilson war nicht der erste schwarze Musiker, der mit Weißen musizierte. Er war aber der Erste, der dies regelmäßig und in vollem Scheinwerferlicht vor einer neugierig starrenden Öffentlichkeit tat. Benny Goodman war ein Star, Swing war die Popmusik der Ära, Tanzsäle und die Carnegie Hall, wo Goodman den Jazz salonfähig machte, keine zwielichtigen Etablissements. Das Engagement Wilsons war eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Aufhebung der Rassenschranken. Wilson fand es nicht mutig, eher als etwas, das einfach kommen musste: „Wie kannst du spielen, wenn du dir über die Hautfarbe eines Menschen Gedanken machen musst?“ Für Goodman war es schlicht eine Frage der Menschenrechte. Warum sollte er nicht mit Teddy Wilson auftreten, sah er in ihm doch den „größten Musiker der heutigen Tanzmusik, und dies unabhängig vom Instrument“? Teddy Wilson. Foto: Archiv Der Größte? Auch wenn man das Lob relativiert, bleibt er der bedeutendste Pianist der Swing-Ära oder zumindest der neben Art Tatum einflussreichste Pianist in der Entwicklung des Jazzklavierspiels zwischen Earl Hines und Bud Powell! Wilsons Einfluss erstreckte sich nicht nur auf Swing-Pianisten wie Mel Powell oder Joe Bushkin; er prägte auch Bopper wie z.B. Hank Jones. Er selbst lernte an seinen Vorbildern Art Tatum, Earl Hines und den Stride-Pianisten, allen voran Fats Waller. Er löste sie mit einer vergleichsweise weniger dynamischen, aber eleganten Spielweise in ihrer Führungsrolle ab. Wenn auch seine linke Hand mit seinen Stride-Begleitungen und den Dezimem-Passagen an Tatum und Waller erinnert und die rechte an Hines, so unterschied er sich wesensmäßig von ihnen. Tatums virtuoses Aufprunken war ihm so fremd wie Hines’ Wildheit. Wilson trug Gelassenheit zur Show, bewahrte sie auch in rasenden Tempi, blieb cool wie kein Jazzpianist zuvor. Die noble Zurückhaltung verriet seine Beschäftigung mit klassischer Musik. Zeitlebens war er im Spiel ebenso ein Gentleman wie in der äußeren Erscheinung und im Betragen. Mit seiner Neigung zu Linearität, Präzision und Sauberkeit ist Wilson geradezu ein Paradebeispiel für die Wandlung, die der Jazz im Allgemeinen in den 30er-Jahren durchlief und ein Vorbote des Cool Jazz der 50er-Jahre. Theodore Shaw Wilson erblickte am 24. November 1912 in Austin, Texas das Licht der Welt und wuchs im Staate Alabama auf. Sein Vater leitete an der Tuskogee University das Institut für Anglistik und seine Mutter die Universitätsbibliothek. Seine ersten musikalischen Gehversuche fanden auf dem Gebiet der klassischen Musik statt, doch er lernte auch Ragtime. Er wurde nicht nur im Klavierspiel unterwiesen, sondern studierte auch Musiktheorie, Violine und Oboe. Als er 1928 nach Chicago kam, war er vom dortigen Jazz so überwältigt, dass er Jazzpianist werden wollte. In Toledo traf er Art Tatum, der Pianist bei Milton Senior war. 1931 bildete Wilson ein leider nie aufgenommenes, informelles Klavierduo mit Art Tatum. „Wir waren jeden Abend unterwegs“, erzählte Wilson einmal, „zogen durch die Kneipen und bearbeiteten die Klaviere bis in den Vormittag hinein, manchmal sogar bis in den frühen Nachmittag.“ Als Tatum das Milton Senior Orchestra verließ, wurde Wilson sein Nachfolger. Später wurde Tatum der größte Pianist der Swing-Ära und Wilson der stilistisch einflussreichste – nicht zuletzt, weil sein Stil leichter imitierbar schien. Wieder in Chicago, spielte Wilson unter anderem 1933 drei Monate bei Louis Armstrong. Er arrangierte auch für Earl Hines. Als er einmal für Earl Hines in dessen Orchester einsprang, hörte ihn der große Talentscout John Hammond im Radio. Der erinnerte sich: „Mir wurde klar, dass Hines’ Ersatzmann absolut einzigartig war. Er klang sauberer und eleganter, war nie aufdringlich, hatte Swing und eine exzellente linke Hand“. Aufnahmen beweisen, dass Wilson in den Anfangsjahren seiner Karriere Hines doch noch recht ähnelte. Im Laufe der Jahre wurde der Gegensatz größer: Ähneln Hines’ Improvisationen einer zerklüfteten Felslandschaft mit überraschenden Ecken und Kanten, Vorsprüngen und Spalten, so erblickt man bei Wilson ebenmäßige, sanft vor sich hin fließende Hügel. Hammond empfahl Teddy Wilson Benny Carter, dann Benny Goodman, mit denen er, nach New York übersiedelt, ab 1933 beziehungsweise 1934 Aufnahmen machte. 1934 und 1935 gab er mit Soloaufnahmen eine geradezu sensationelle Visitenkarte ab. Hört man sie, ist klar, dass die sprichwörtliche Coolness und das Understatement Wilsons relativ zu seinen Vorbildern zu verstehen ist. Noch weit entfernt davon, der abgeklärte, nüchterne Pianist zu sein, als den man ihn aus späten Jahren in Erinnerung hat, spielte er mit all dem Feuer seiner Jugend und schon mit seiner unfehlbaren Technik. Es ist freilich das kontrollierte Feuer dessen, der planvoll und präzise ans Werk geht. Er brauchte weder Bass noch Schlagzeug, um zu swingen. Wilson verfügte über einen pulsierenden Rhythmus und ein unbeirrbares Zeit-Gefühl. Ende 1935 kam es zur Gründung des Benny Goodman Trios, dem sich Mitte 1936 der Vibraphonist Lionel Hampton anschloss. Sie wurden also als Gäste, als besondere Attraktion vorgestellt und waren keine festen Orchestermitglieder. In einer Zeit, als selbst im Baseball Rassentrennung herrschte, bedeuteten Goodmans gemischtrassige Gruppen einen gesellschaftlichen Durchbruch. Zugleich schufen sie einen Schule machenden kammermusikalisch-virtuosen Sound. Teddy Wilson blieb bis 1939 bei Goodman, doch er hat bis an sein Lebensende immer wieder kurzfristig oder in längeren Perioden mit dem Klarinettisten gespielt. Seit 1935 versammelte Wilson als Bandleader und Arrangeur regelmäßig ein Who’s Who des Jazz im Aufnahmestudio. Größen wie z. B. Lester Young, Ben Webster, Johnny Hodges, Harry Carney, Buster Bailey und natürlich die Kollegen der Goodman-Gruppen gehörten zu seinen All-Stars. Oft erst im Studio lernten die Musiker die Stücke und sich gegenseitig kennen. Wilson, ein Genie der Begleitung, gab jedem Solisten genau was er brauchte, unauffällig und aufmerksam, doch letztlich als Salz in der Suppe. Oft begleiteten Wilsons Studiogruppen Sängerinnen wie Mildred Bailey, Ella Fitzgerald, Sarah Vaughan und Lena Horne. Seine Aufnahmen mit Billie Holiday, insbesondere jene, auf denen ihr Lieblingssaxophonist Lester Young mitwirkte, sind ihre besten und maßgeblich für ihren Durchbruch verantwortlich. 1939 gründete Teddy Wilson seine Bigband, nach deren Scheitern er in den 40er-Jahren eine Reihe hervorragender kleinerer Gruppen leitete, in denen, um nur einmal Trompeter herauszugreifen, Größen wie Charlie Shavers, Emmett Berry, Hot Lips Page oder Bill Coleman mitwirkten. In der Bebop-Ära war Teddy Wilsons stilistische Entwicklung längst abgeschlossen. Auch wenn er vereinzelt mit Parker, Gillespie & Co spielte, änderte er kein Jota an seiner erfolgreichen Spielweise. Er ahnte wohl, dass sie zeitlos klassisch war und es auch nach etlichen Stilwenden noch bleiben würde. Nach dem zweiten Weltkrieg arbeitete Teddy Wilson als Studiomusiker, unterrichtete an den Colleges und tourte durch die Kontinente dieser Erde. Wenn er auf Spielgefährten aus alten Tagen traf, zum Beispiel auf Roy Eldridge und Lester Young konnte man jene Art Magie erleben, die entsteht, wenn sich gleichgesinnte Weggefährten treffen, die inzwischen etwas reifer geworden sind. Bis zu seinem Tod am 31. Juli 1986 auf hohem Niveau – immer ganz Gentleman. Marcus A. Woelfle
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