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Jazzzeitung

2012/05  ::: seite 19

education

 

Inhalt 2012/05

Inhaltsverzeichnis

Sternlein STANDARDS

Editorial / break / Nachrichten aus der Jazzszene / kurz, aber wichtig Jazz-ABC: Billy Taylor no chaser: Silberglanz Farewell: Zum Tode von Günter Dische

Sternlein TITELSTORY: Kunst hält das System in Gang
Heinz Sauer zum 80. Geburtstag

Sternlein DOSSIER/GESCHICHTE -
Wenn Liebe die letzte Rettung ist
„Liliom“ vereinte Jazz der NDR Bigband mit der Melodik der Philharmoniker Hamburg
Dizzy lives!
Vor 20 Jahren verstarb Dizzy Gillespie
Der Gentleman des Swingpianos
Zum 100. Geburtstag von Teddy Wilson

Sternlein Berichte
Leipziger Jazztage //Regensburgs Jazzclub feierte sein 25. Jubiläum //St. Wendeler Jazztage 2012

Sternlein Portraits / Jubilee
Mulo Francel // Benedikt Jahnel//Manu Katché //Gitarrist Alex Machacek //Pianist Iiro Rantala //Caroll Vanwelden

Sternlein Jazz heute und Education
40 Jahre „Interessengemeinschaft Jazz Burghausen“ //Jazz und Ehrenamt // 50 Jahre Jazzkränzchen Immergrü // Dominik Seidler, der neue Projektleiter BuJazzo und „Jugend jazzt“ im Interview // Gespräch mit Thomas Zoller zum Thema Bigband-Leitung // 25 Jahre Landes-Jugendjazzorchester Bayern // Abgehört: Intim und wunderbar melodisch
Chet Bakers Solo über „In Your Own Sweet Way“

Rezensionen und mehr im Inhaltsverzeichnis

Swingende Erlebnispädagogik

Ein Gespräch mit Thomas Zoller zum Thema Bigband-Leitung

„Wenn sich Dinge bewegen, egal auf welchem Niveau, kriegt man immer etwas zurück, automatisch.“ Thomas Zoller ist einer jener begeisterten Pädagogen, die es verstehen, andere zu begeistern. Die anderen, das sind zum Beispiel Lehrer an allgemeinbildenden Schulen, die an dem Kurs „Know How für Big Band Leiter“ in der Musikakademie Alteglofsheim teilnehmen (siehe dazu auch „Ein Netzwerk der Jazzförderung“ unten auf dieser Seite), also mehr erfahren wollen über ein Thema, über das es im deutschsprachigen Raum kaum Literatur gibt. Wie die alljährlich hohe Teilnehmerzahl in Zollers Kurs beweist, besteht hier großer Informationsbedarf. Julian Schunter, ebenfalls Bigband-Leiter und ehemaliger Kursteilnehmer, traf sich mit Thomas Zoller, um zu erfahren, was in den Augen des Dresdner Professors für Jazz-Komposition und -Arrangement und Leiters der Lehrer Big Band Bayern bei der Arbeit mit großen Besetzungen im Jazz wichtig ist.

Bigband-Experte als Workshopdozent: Thomas Zoller. Foto: LJJB/„Jugend jazzt“

Bigband-Experte als Workshopdozent: Thomas Zoller. Foto: LJJB/„Jugend jazzt“

In der Musik gibt es nur Null oder Eins. Entweder die Musik passiert, dann ist es Eins oder die Musik passiert nicht, dann ist es Null.“ Zoller ist sehr klar in seinen Aussagen und man spürt, dass hier einer sitzt, der sich viele Gedanken gemacht hat über das, was er macht und sagt. Und gleichzeitig ist für ihn die eigene, praktische Erfahrung von zentraler Bedeutung für die pädagogische Arbeit: „Ich erzähle nichts, was ich nicht persönlich erlebt hab.“

Die Aufgaben eines Bigband-Leiters liegen für Zoller unter anderem in einer auf den Jazz abgestimmten Probenarbeit. Zentrale Themen sind dabei Stilistik und ganz besonders Artikulation. So braucht man als Bandleader beispielsweise eine Vorstellung davon, wie breit eine Viertelnote bei Count Basie gespielt wird, wie man eine Achtellinie im Bebop-Kontext dynamisch ausgestaltet oder wie der rhythmische Unterbau einer Jazz-Rock-Nummer funktioniert. Ein weiteres Augenmerk sollte immer der Rhythmusgruppe gelten und speziell dem Schlagzeuger, der einen entscheidenden Einfluss auf die Band hat. Als Bigband-Leiter sollte man sich über die Funktionen und Aufgabenbereiche klar sein, die die verschiedenen Instrumente der Rhythmusgruppe einnehmen. Sowohl beim Thema Stilistik als auch beim Thema Rhythmusgruppe ist die eigene Hörerfahrung essentiell. Man sollte ein Gefühl dafür entwickeln, wie eine bestimmte Stilistik klingt und sich speziell dem Bereich Schlagzeug durch analytisches Hören von Aufnahmen nähern.

Zoller arbeitet in Proben immer mit dem musikalischen Material, das gerade aktuell ist, also anhand von Stücken, damit er nicht viel erklären muss und man schnell auf den Kern der Thematik stößt. Auch ist ihm die Echtheit, die Authentizität des Materials wichtig. Wenn aber andere Bigband-Leiter isolierte Übungen, zum Beispiel gemeinsame Einspielübungen, einsetzen, hält er das durchaus auch für sinnvoll. Improvisation steht für ihn nicht im Mittelpunkt der Probenarbeit: „Ich bin nicht der Meinung, dass jeder in einer Bigband improvisieren muss.“ Wenn die Spieler aber von sich aus improvisieren wollen, dann solle man das durchaus fördern. Er warnt jedoch vor einer zu verkopften Herangehensweise bei diesem Thema: „Für mich ist es wichtig, die Spielpraxis in der Improvisation gleich von Anfang an einzubinden. Ich habe es sehr mit den New-Orleans-Leuten und den frühen Swing-Leuten, die eigentlich immer an der Melodie waren und diese variiert haben. Das finde ich effektiv und nahe an der tatsächlichen Situation eines beginnenden Musikers, der etwas mit Improvisation zu tun haben will. Einfach nur Skalen spielen finde ich nicht so sinnvoll.“

Eine zentrale Aufgabe des Dirigenten ist es, „die Aufmerksamkeit der Musiker zu erregen oder sie notfalls einzufordern.“ Und das kann gerade in einer Schulbigband essentiell wichtig sein: „Ich muss als Leiter zumindest eine Chance sehen, dass die Musik passieren kann. Das ist für mich die Grundvoraussetzung. Wenn nicht mal die Chance da ist, weil keine Aufmerksamkeit da ist, dann muss ich handeln. Musik ist zu wichtig, als dass man Leute mitschleppt, die eigentlich gar nicht wollen. Ich spiele lieber mit fünf Leuten, die wirklich dabei sind, als mit fünfzehn, von denen drei Viertel nicht kapieren wollen, was es eigentlich heißt, in einer Musikgruppe zu spielen. Disziplin, soziales Verhalten, Aufmerksamkeit, Achtsamkeit sind zentrale Begriffe, die in der Musik praktiziert werden.“

Das Dirigat eines Bigband-Leiters unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von dem eines klassischen Dirigenten: „Man dirigiert nicht das Kontinuum, keinen regelmäßigen Grundschlag, oder nur, wenn‘s sozusagen kurz vor dem Auseinanderbrechen ist.“ Allerdings ist es notwendig, Einsätze zu geben oder besser: diese vorzubereiten. „Denn wenn die Einsätze kommen, ist es schon zu spät für den Dirigenten. Das ist dann nur für die Galerie. Die Vorbereitung der Einsätze, das ist die Aufgabe des Dirigenten.“ Auf der Bühne nimmt der Bigband-Leiter außerdem eine „Prismafunktion“ ein, er ist der „energetische Brennpunkt“ der Band. „Das heißt, die Energie der Musiker bündelt sich im Dirigenten und strahlt nach hinten zum Publikum aus.“

Wie lernt man, all diesen Aufgaben gerecht zu werden, wie wird man ein guter Bigband-Leiter? „Die persönliche Praxis als Instrumentalist ist für einen Bandleader genauso wichtig wie für einen Spieler. Die eigene Praxis was Artikulation und Probentechnik, was Timing, Rhythmus und all diese Sachen betrifft. Das heißt nicht, dass ich alles können muss, aber ich brauche eine Erfahrung und ein Erlebnis in der Musik, das mich nährt. Wenn ich diese Erlebnisnahrung nicht habe, wird’s schwieriger oder theoretisch. Ich brauche eine gewisse Authentizität, wenn ich vor einer Band stehe.“ Jeder Bigband-Leiter sollte also möglichst viel eigene, praktische Erfahrung mit Jazz und Bigband-Spiel sammeln. Eine großartige Gelegenheit dazu bietet in Bayern unter anderem der alljährlich stattfindende Kurs „Know How für Big Band Leiter“, in dem die Teilnehmer auch selbst eine Bigband bilden (Infos unter www.ljjb.de), und auch die Lehrer Big Band Bayern zielt in diese Richtung (www.lbb-bay.de).

Auf die Frage nach seinen Zielen in der Bigband-Arbeit antwortet Zoller, er habe keine Ziele. Er versuche jedoch, fügt er relativierend hinzu, „die Situation immer so zu gestalten, dass die Möglichkeit erhöht wird, dass Musik passieren kann. Wenn man so will, ist das ein Ziel.“ Er möchte einer Probensituation also mit einer gewissen Offenheit begegnen, ohne zu sehr auf bestimmte gewünschte Ergebnisse fixiert zu sein. Das Erlebnis ist für ihn immer das Wesentliche: „Wir leben für das, für diesen Augenblick, in dem das Denken aufhört. Und dann, wenn das Denken aufhört, beginnt die Musik.“

Julian Schunter

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