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Ein wichtiger Zeitzeuge für die Leidenschaft und die Leiden der deutschen Swingjugend während der Naziherrschaft ist verstummt: Günter Discher war einer der letzten noch lebenden „Swingboys“, die von Gestapo, SS und Hitlerjugend vor allem in Hamburg brutal verfolgt wurden, weil sie sich mit ihrer Liebe zum Swing und ihrem lässigen Dandy Look der Gleichschaltung der Jugend und dem einer ganzen Gesellschaft verordneten Gleichschritt widersetzten. Für Günter Discher und seine Freunde, Jungen wie Mädchen, war Swingmusik gleichbedeutend mit Freiheit. Günter Discher. Foto: Archiv Discher wurde am 20. März 1925 in Hamburg-Eimsbüttel geboren. Er starb am 9. September im hohen Alter von 87 Jahren in seiner Heimatstadt,, friedlich im Schlaf, nachdem er noch am Abend zuvor in einem Altenheim Swingplatten aufgelegt hatte. Er sah sich gern als „ältester Jazz-DJ Deutschlands“, trat aber mit seinen LPs und CDs beileibe nicht nur bei Senioren auf, sondern tourte allein oder mit der um viele Jahre jüngeren „Swingin’ Swanee“, der hippen DJ-Ikone der Swing Dance Szene, durch Clubs und Großraumdiskos in der halben Republik. Gegenüber der „Jazzzeitung“ erinnert sie sich unter anderem „an wilde Partys in überfüllten Techno-Clubs mit entfesselten Tänzern, die aber ‚den Günter’, den alten Herrn am Pult, absolut ‚cool’ fanden. Wenn die Bläser vom Count oder Duke losschmetterten, strahlte er über das ganze Gesicht und wenn dann noch die tobende Menge brüllte: ‚Das ist echt Punk’, war er glücklich und legte mit diebischem Vergnügen – denn er war und blieb ein rebellischer Geist – unglaublich schnelle Live-Aufnahmen oder Drum Soli auf – und die verblüfften Tänzer blieben trotzdem auf der Tanzfläche. Er konnte jeden zum Swing bekehren und es hat wahnsinnigen Spaß gemacht, mit ihm zusammen Swingplatten aufzulegen und so unserer gemeinsamen Leidenschaft zu frönen.“ Für diese Leidenschaft hatte Discher – wie so viele der „Swingboys“ und „Swinggirls“ während der Nazizeit und vor allem während des Krieges – einen hohen Preis zu zahlen. Er wurde im Januar 1943 von der Gestapo in „Schutzhaft“ genommen, weil er „illegal“ mit aus dem Ausland bezogenen Schallplatten gehandelt habe, ein „zersetzendes und staatsabträgliches Treiben“, wodurch er „erhebliche Unruhe in die Bevölkerung“ trage. Tatsächlich hatte er aus dem besetzten Ausland und von eingeweihten Händlern Platten mit vorwiegend englischem Swing bezogen und sie an Kneipen und Cafés, in deren Hinterzimmern sich Swingfans noch zu treffen wagten, sowie an seine Freunde weiter verteilt. Er selbst hatte bereits eine Sammlung von rund 400 Platten. Der Siebzehnjährige wurde in das berüchtigte Jugend-KZ Moringen eingeliefert, wo „renitente“ Jugendliche, darunter „wir 18 Swingboys“, unter unmenschlichen Bedingungen, geplagt von Hunger und Krankheiten, Zwangsarbeit in einer unterirdischen Munitionsfabrik leisten mussten. Und dennoch: „Der Swing“, so schildert er später, „hält uns über Wasser. Das Salzbergwerk hat eine phantastische Akustik. Auf den Kartuschen … spielen wir Schlagzeug, und mit den Stimmen wird improvisiert: ‚Jeepers Creepers’ oder ‚A Tisket A Tasket’, was wir alle kennen, weil es das noch bis 1939 von Teddy Stauffer auf Telefunken gegeben hat“ (in: Franz Ritter (Hg.): „Heinrich Himmler und die Liebe zum Swing“, Leipzig 1994). Übrigens litten die Mädchen und jungen Frauen der Hamburger Swingszene unter ähnlich harten Bedingungen im „Jugendschutzlager“ Uckermark, das zum KZ Ravensbrück gehörte. Erst im Mai 1945 wird das KZ Moringen von den Amerikanern befreit. Nicht alle seiner Freunde hatten überlebt, und viele schleppten sich lange mit Krankheiten und Traumata herum. Discher selbst hatte noch nach vier Jahrzehnten Albträume. Er musste sich mehreren Operationen unterziehen, ehe er einen Beruf erlernen konnte (er wurde schließlich EDV-Fachmann in leitender Position). Ungebrochen blieb seine Liebe zum Jazz und vor allem zum Swing. Seine Sammlung war im Bombenkrieg verloren gegangen. Eine einzige Teddy-Stauffer-Platte blieb erhalten, der Grundstein zu einer neuen Sammlung, die schließlich die unglaubliche Zahl von 25 000 LPs und CDs umfasste. Dass auf Swing und historische Jazzaufnahmen spezialisierte Hamburger Label Ceraton veröffentlichte aus diesem Archiv als Günter Discher Edition 30 CDs, von Discher ausgewählte und zum Teil auch kommentierte Titel von sorgfältig restaurierten Schellacks, darunter manche wieder entdeckten Preziosen (www.ceraton.com). Auf einigen CDs berichtet er auch über die Hamburger Swingszene während der Nazizeit, so wie er das auch in Schulen und im NDR immer wieder getan hat, neben seinem Job als DJ, der sein Leben nach der Pensionierung ausfüllte. Für den Hollywood-Film „Swing Kids“ (1993) war er als Berater tätig. Bei aller Traditionspflege aufgeschlossen für technische Neuigkeiten installierte er 2006 auf seiner Homepage sogar noch den Podcast „Hotkoffer“, wie die Swinger ihre Koffergrammophone nannten. Vom Hamburger Senat erhielt er die Biermann-Ratjen-Medaille für künstlerische Verdienste und für seine Radiosendungen den Hamburg Jazz Award. Im Nachruf auf seiner Homepage findet sich als letztes Zitat sein Motto: „Swingmusik war Freiheit – grenzenlose Freiheit“. Dafür hat Günter Discher einst gelitten und später danach gelebt. Dietrich Schlegel
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