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Tränen. Zehn Minuten lang Tränen. Ein ewiges Weinen, das archaische Schmerzen von ureinst mit ganz konkretem Leid jüngerer Vergangenheit und sehr heutigem Gedenken an all die unfassbaren Schrecken der Menschheit vereint. Auf hohen und tiefen Saiten wird das Grauen wieder wachgerufen, das sprachlos macht, für das es keine Erklärung gibt. Nur Tränen. Und nun auch Musik. Günter Baby Sommer, der schon wiederholt mit inhaltlich schwergewichtigen Projekten nicht nur Mut und Engagement bewiesen, sondern aus Sicht des Künstlers tiefe Betroffenheit lauthals in die Welt hinausgeschrien hat, schrieb im Gedenken an eines der vielen von der deutschen Wehrmacht in Europa verübten Verbrechen seine „Songs for Kommeno“, die am 16. August – genau 69 Jahre nach diesem ursächlichen Massaker – live in diesem griechischen Dorf uraufgeführt worden sind. Zeitgleich erschien die gleichnamige CD: „Gewidmet den Bewohnerinnen und Bewohnern von Kommeno – im Gedenken an die Opfer“. Was den weltbekannten Jazzschlagzeuger und Improvisator aus Dresden dazu bewog, diesen klingenden Kraftakt zu stemmen, das dürften vor allem seine Eindrücke – als Deutscher des Jahrgangs 1943 – an diesem 1943 von Deutschen geschundenen Ort gewesen sein. Das Resultat gibt ihm Recht. Eine Entschuldigung ist nicht möglich, Vergessen darf nicht sein. Aber es gibt eine Form des Vergebens, die größer ist als jedes Verbrechen, weil sie nach vorn weist und die Chance bietet, zumindest die Hoffnung darauf, dass sich so etwas wie das Massaker von Kommeno nie wiederholt. 317 unschuldige Menschen wurden damals, am 16. August 1943, von deutschen Soldaten und Offizieren grausam ermordet. Denen sind Konzert und CD nun gewidmet. Dem Tränen-Stück zu schrägem Klang von Yayli Tanbur und Kontrabass folgen erzählende Musiken, die sich etwa der Flusslandschaft des Arachthos widmen, dessen Mäander von Baby Sommer am resonanzvollen Instrument Hang und vokal von der Sängerin Savina Yannatou umtönt wird – auch in den Fluten des Flusses starben damals Menschen auf der Flucht vor den Deutschen. Sehr perkussiv beschreibt Sommer den Partisanenkampf der – einander verfeindeten – Andartes, versöhnend wird ein Schlaflied angestimmt, ein Kinderlied erinnert an die vielen Minderjährigen, die im „Nahkampf“ getötet worden sind. 13 Säuglinge wurden ermordet, 29 Kinder erreichten nicht mal das fünfte Lebensjahr. Im Zentrum der acht Titel umfassenden CD „Songs for Kommeno“ steht „Marias Miroloi“, ein archaisches Klagelied, das wie aus der Antike herübergeweht scheint. Gesungen wird es von Maria Labri, einer damals Zehnjährigen, die das Massaker nur durch Zufall überlebte. Mit ihrer inzwischen recht spröden Stimme besingt sie das Grauen von einst, das wohl ihr ganzes Leben geprägt hat. Um diesen Kernpunkt herum hat der Jazzer aus Dresden sein in höchstem Maße berührendes Konstrukt gestrickt. Mit vier griechischen Musikern – neben Savina Yannatou sind dies der Klarinettist Floros Floridis, Spilios Kastanis am Bass sowie Evgenios Voulgaris an Yayli Tanbur – hat er diese sehr nahegehende CD eingespielt, der ein so umfangreiches wie informatives Booklet beigefügt ist. Auf 150 Seiten wird da, sorgsam ediert, dreisprachig an die Tragödie von Kommeno erinnert. Günter Baby Sommer blickt mit seinen auch den elegischen Wohlklang wagenden „Songs“ aber nicht nur zurück, sondern krönt die durchweg unter die Haut gehende CD mit „Kommeno Today“. In diesem Stück machen sich hoffnungsfrohe Klänge aus einem wieder lebendigen Ort breit. Michael Ernst CD-Tipp „Songs for Kommeno“ Günter Baby Sommer und sein Projekt „Songs for Kommeno“ live zu erleben am Freitag. 2. November, Jazzfest Berlin Mehr zum Thema unter |
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